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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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Das deutsch-englische Abkommen

entwickeln möchten. Schade nur, das; ein dnrch Jahrzehnte eingelcbter Verkehr
sich nicht so rasch verschiebt, daß auch nicht neue Städte so leicht in halb¬
wildem Lande emporwachsen. Jeder weitere Aufschluß über die Bedeutung
der Insel, den wir uns in diesem Zusammenhange versagen müssen, würde
ihren Wert noch in andern Richtungen und in immer erhöhtem Maße auf¬
weisen. Es ist natürlich hier wie überhaupt bei dem ganzen Verteilungs¬
geschäft unmöglich, auch nur mit annähernd richtigen Ziffern die gegebenen
und empfangenen Werte zu berechnen. Nur ein Gesamtnrteil ist möglich, und
dieses kann nach dem Gesagten nicht anders lauten, als daß wir, wenn wir
die Sache rein kolonialpvlitisch ansehen, uns einfach aufgeopfert haben, um
unsre Mitbewerber unermeßlich zu bereichern.

Aber suchen wir anch der .Kehrseite gerecht zu werden. Helgoland ist
unser. Die 'Imrvs sagt wohl mit Recht, daß das kleine Felseneiland für
England keinen, für Deutschland aber einen Gefühlswert habe. Es ist ein
stammverwandtes Völkchen, das dort in eigenartigen Verhältnissen sein weder
ärmliches noch reichliches Dasein führt, und ein Gewinn an deutscher Lands¬
mannschaft in einem Bereich, der auch in geographischer Beziehung von Gottes
und Rechts wegen zu unserm Vaterlande gehört, thut in der That nnserm
Nationalgefühle wohl. Die Begeisterung aber, in der viele Zeitungen, vielleicht
um sich über unsre Verluste zu beruhigen oder hinwegzutäuschen, jetzt diesen
"nationalpvlitischcn" Erfolg verherrlichen, vermögen wir beim besten Willen
nicht nachznempfinden. Es giebt auch in den Ostseeprovinzen und anderswo
reindeutsche Städte und Dörfer, und gleichwohl schmerzt es unsern Patriotismus
nicht, sie nicht Glieder unsers Reiches nennen zu dürfen. Das überaus
freudige Echo in allen gutgesinnten Kreisen der Bevölkerung, das die "norddeutsche
Allgemeine Zeitung" erwartet, dürfte in Wahrheit doch in recht gedämpfter Stärke
erklingen. Die strategische Bedeutung Helgolands wagen wir nicht zu schätzen,
doch soll sie keineswegs hoch sein. Dürfen wir denn aber Helgoland bei der
noch ausstehenden Zustimmung des Parlaments überhaupt schon als unser
Besitztum betrachten? Die englischen Blätter fangen schon an, über die den
englischen Nntionalstolz kränkende Zumutung zu lärmen. Doch mag das ja
Blendwerk sein, um die englischen Zugeständnisse in bengalischer Beleuchtung
zu zeigen und unsre eignen uns mundgerechter zu machen.

England lohnt uns aber auch mit diplomatischen Diensten. Es verspricht, mit
allem Ernst auf seinen nunmehrigen Schützling, den Sultan von Sansibar,
dahin einwirken zu wollen, daß er den .Küstenstrich, der gegenwärtig nur pcicht-
und zeitweise in Besitz der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft ist, mit allen
Rechten gegen eine billige Abfindung dem deutschen Reiche eigentümlich über¬
trage. Wir zweifeln nicht, daß diese Fürsprache die Erfüllung unsers Wunsches
befördern wird, sind aber doch anderseits so kühn, zu glauben, daß sie anch
ohnedies nur eine Frage der Zeit gewesen wäre.


Das deutsch-englische Abkommen

entwickeln möchten. Schade nur, das; ein dnrch Jahrzehnte eingelcbter Verkehr
sich nicht so rasch verschiebt, daß auch nicht neue Städte so leicht in halb¬
wildem Lande emporwachsen. Jeder weitere Aufschluß über die Bedeutung
der Insel, den wir uns in diesem Zusammenhange versagen müssen, würde
ihren Wert noch in andern Richtungen und in immer erhöhtem Maße auf¬
weisen. Es ist natürlich hier wie überhaupt bei dem ganzen Verteilungs¬
geschäft unmöglich, auch nur mit annähernd richtigen Ziffern die gegebenen
und empfangenen Werte zu berechnen. Nur ein Gesamtnrteil ist möglich, und
dieses kann nach dem Gesagten nicht anders lauten, als daß wir, wenn wir
die Sache rein kolonialpvlitisch ansehen, uns einfach aufgeopfert haben, um
unsre Mitbewerber unermeßlich zu bereichern.

Aber suchen wir anch der .Kehrseite gerecht zu werden. Helgoland ist
unser. Die 'Imrvs sagt wohl mit Recht, daß das kleine Felseneiland für
England keinen, für Deutschland aber einen Gefühlswert habe. Es ist ein
stammverwandtes Völkchen, das dort in eigenartigen Verhältnissen sein weder
ärmliches noch reichliches Dasein führt, und ein Gewinn an deutscher Lands¬
mannschaft in einem Bereich, der auch in geographischer Beziehung von Gottes
und Rechts wegen zu unserm Vaterlande gehört, thut in der That nnserm
Nationalgefühle wohl. Die Begeisterung aber, in der viele Zeitungen, vielleicht
um sich über unsre Verluste zu beruhigen oder hinwegzutäuschen, jetzt diesen
„nationalpvlitischcn" Erfolg verherrlichen, vermögen wir beim besten Willen
nicht nachznempfinden. Es giebt auch in den Ostseeprovinzen und anderswo
reindeutsche Städte und Dörfer, und gleichwohl schmerzt es unsern Patriotismus
nicht, sie nicht Glieder unsers Reiches nennen zu dürfen. Das überaus
freudige Echo in allen gutgesinnten Kreisen der Bevölkerung, das die „norddeutsche
Allgemeine Zeitung" erwartet, dürfte in Wahrheit doch in recht gedämpfter Stärke
erklingen. Die strategische Bedeutung Helgolands wagen wir nicht zu schätzen,
doch soll sie keineswegs hoch sein. Dürfen wir denn aber Helgoland bei der
noch ausstehenden Zustimmung des Parlaments überhaupt schon als unser
Besitztum betrachten? Die englischen Blätter fangen schon an, über die den
englischen Nntionalstolz kränkende Zumutung zu lärmen. Doch mag das ja
Blendwerk sein, um die englischen Zugeständnisse in bengalischer Beleuchtung
zu zeigen und unsre eignen uns mundgerechter zu machen.

England lohnt uns aber auch mit diplomatischen Diensten. Es verspricht, mit
allem Ernst auf seinen nunmehrigen Schützling, den Sultan von Sansibar,
dahin einwirken zu wollen, daß er den .Küstenstrich, der gegenwärtig nur pcicht-
und zeitweise in Besitz der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft ist, mit allen
Rechten gegen eine billige Abfindung dem deutschen Reiche eigentümlich über¬
trage. Wir zweifeln nicht, daß diese Fürsprache die Erfüllung unsers Wunsches
befördern wird, sind aber doch anderseits so kühn, zu glauben, daß sie anch
ohnedies nur eine Frage der Zeit gewesen wäre.


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[0618] Das deutsch-englische Abkommen entwickeln möchten. Schade nur, das; ein dnrch Jahrzehnte eingelcbter Verkehr sich nicht so rasch verschiebt, daß auch nicht neue Städte so leicht in halb¬ wildem Lande emporwachsen. Jeder weitere Aufschluß über die Bedeutung der Insel, den wir uns in diesem Zusammenhange versagen müssen, würde ihren Wert noch in andern Richtungen und in immer erhöhtem Maße auf¬ weisen. Es ist natürlich hier wie überhaupt bei dem ganzen Verteilungs¬ geschäft unmöglich, auch nur mit annähernd richtigen Ziffern die gegebenen und empfangenen Werte zu berechnen. Nur ein Gesamtnrteil ist möglich, und dieses kann nach dem Gesagten nicht anders lauten, als daß wir, wenn wir die Sache rein kolonialpvlitisch ansehen, uns einfach aufgeopfert haben, um unsre Mitbewerber unermeßlich zu bereichern. Aber suchen wir anch der .Kehrseite gerecht zu werden. Helgoland ist unser. Die 'Imrvs sagt wohl mit Recht, daß das kleine Felseneiland für England keinen, für Deutschland aber einen Gefühlswert habe. Es ist ein stammverwandtes Völkchen, das dort in eigenartigen Verhältnissen sein weder ärmliches noch reichliches Dasein führt, und ein Gewinn an deutscher Lands¬ mannschaft in einem Bereich, der auch in geographischer Beziehung von Gottes und Rechts wegen zu unserm Vaterlande gehört, thut in der That nnserm Nationalgefühle wohl. Die Begeisterung aber, in der viele Zeitungen, vielleicht um sich über unsre Verluste zu beruhigen oder hinwegzutäuschen, jetzt diesen „nationalpvlitischcn" Erfolg verherrlichen, vermögen wir beim besten Willen nicht nachznempfinden. Es giebt auch in den Ostseeprovinzen und anderswo reindeutsche Städte und Dörfer, und gleichwohl schmerzt es unsern Patriotismus nicht, sie nicht Glieder unsers Reiches nennen zu dürfen. Das überaus freudige Echo in allen gutgesinnten Kreisen der Bevölkerung, das die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" erwartet, dürfte in Wahrheit doch in recht gedämpfter Stärke erklingen. Die strategische Bedeutung Helgolands wagen wir nicht zu schätzen, doch soll sie keineswegs hoch sein. Dürfen wir denn aber Helgoland bei der noch ausstehenden Zustimmung des Parlaments überhaupt schon als unser Besitztum betrachten? Die englischen Blätter fangen schon an, über die den englischen Nntionalstolz kränkende Zumutung zu lärmen. Doch mag das ja Blendwerk sein, um die englischen Zugeständnisse in bengalischer Beleuchtung zu zeigen und unsre eignen uns mundgerechter zu machen. England lohnt uns aber auch mit diplomatischen Diensten. Es verspricht, mit allem Ernst auf seinen nunmehrigen Schützling, den Sultan von Sansibar, dahin einwirken zu wollen, daß er den .Küstenstrich, der gegenwärtig nur pcicht- und zeitweise in Besitz der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft ist, mit allen Rechten gegen eine billige Abfindung dem deutschen Reiche eigentümlich über¬ trage. Wir zweifeln nicht, daß diese Fürsprache die Erfüllung unsers Wunsches befördern wird, sind aber doch anderseits so kühn, zu glauben, daß sie anch ohnedies nur eine Frage der Zeit gewesen wäre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/618>, abgerufen am 16.06.2024.