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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr.

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seines Volkes tief begründet, es wird sich auch niemals etwas daran ändern. Von
einer "zuverlässigen" Freundschaft Englands und Deutschlands ist also nie die
Rede gewesen und wird niemals die Rede sein, Stammesverwandtschaft oder
persönliche Versicherungen und Beziehungen ändern daran gar nichts. Das
muß offen ausgesprochen werden. Die Engländer sollen darüber klar werden,
daß wir Deutschen das wissen. Unsre Reichsregierung muß durch schwer¬
wiegende Gründe der gesamten europäischen Lage, die sich der öffentlichen
Kenntnis noch entziehen, bestimmt worden sein, dein englischen Standpunkt in
der ostafrikanischen Frage so weit entgegenzukommen, wie sie es jetzt und wie
sie es schon früher gethan hat. Denn sagen wir es gerade heraus: dies Ab¬
kommen gilt in weiten Kreisen patriotischer Männer durchaus nicht sür einen
Sieg der deutschen Interessen. Helgoland mag für uus nicht nur aus "senti¬
mentalen" Gründen, wie die Engländer sagen, sondern auch aus militärischen
Rücksichten wertvoll sein, tilgt doch dieser Erwerb einen letzten Rest der Fremd¬
herrschaft von alter deutscher Erde und die Erinnerung an eine Zeit des
Niederganges, aber wir haben für diese kleine Felseninsel, diesen "Sperling in
der Hand," wahrhaftig keine "Taube auf dem Dache" preisgegeben. Witu-
land und die Svmaliküste hatten wir längst in der Hand, und wir fürchten,
daß die freie Handelsstraße, die den Engländern im Seengebiet bewilligt
worden ist, nicht minder unklare und streitige Verhältnisse schaffen wird, als
die sind, die jetzt durch die Erwerbung der sansibarischen Festlandsküste aus
der Welt geschafft werden sollen, und wir sehen in dein englischen Protektorat
über Sansibar eine Gefahr für die ganze Zukunft unsers ostafrikanischen Fest¬
landes. Denn darüber können und dürfen wir uns nicht täuschen: wenn
Deutschland auf eine "zuverlässige" politische Freundschaft Englands nicht
rechnen darf, so besteht auf wirtschaftlichem Gebiete zwischen uns und den
Engländern offene Gegnerschaft, denn wir sind die einzigen Mitbewerber im
Kampfe um die Handelsherrschaft, die sie wirklich fürchten. Daß wir uns in
Afrika überhaupt festgesetzt haben, ist ein unbestrittener und glänzender Triumph
der Bismarckschen Staatskunst; daß wir dort auf möglichst gutes Einvernehmen
mit England angewiesen sind, wird niemand in Abrede stellen; aber daß Eng¬
land uns nur soweit und nur so lange nachgiebt, als es unbedingt muß, und
daß es jetzt wie immer kaltblütig unsre europäische Lage abschätzt, das steht
nicht minder fest. Darauf müssen wir Deutschen uns einrichten, mit derselben
kaltblütigen Überlegung wie die Engländer, ohne Haß, aber auch ohne jede
falsche Vertrauensseligkeit.




seines Volkes tief begründet, es wird sich auch niemals etwas daran ändern. Von
einer „zuverlässigen" Freundschaft Englands und Deutschlands ist also nie die
Rede gewesen und wird niemals die Rede sein, Stammesverwandtschaft oder
persönliche Versicherungen und Beziehungen ändern daran gar nichts. Das
muß offen ausgesprochen werden. Die Engländer sollen darüber klar werden,
daß wir Deutschen das wissen. Unsre Reichsregierung muß durch schwer¬
wiegende Gründe der gesamten europäischen Lage, die sich der öffentlichen
Kenntnis noch entziehen, bestimmt worden sein, dein englischen Standpunkt in
der ostafrikanischen Frage so weit entgegenzukommen, wie sie es jetzt und wie
sie es schon früher gethan hat. Denn sagen wir es gerade heraus: dies Ab¬
kommen gilt in weiten Kreisen patriotischer Männer durchaus nicht sür einen
Sieg der deutschen Interessen. Helgoland mag für uus nicht nur aus „senti¬
mentalen" Gründen, wie die Engländer sagen, sondern auch aus militärischen
Rücksichten wertvoll sein, tilgt doch dieser Erwerb einen letzten Rest der Fremd¬
herrschaft von alter deutscher Erde und die Erinnerung an eine Zeit des
Niederganges, aber wir haben für diese kleine Felseninsel, diesen „Sperling in
der Hand," wahrhaftig keine „Taube auf dem Dache" preisgegeben. Witu-
land und die Svmaliküste hatten wir längst in der Hand, und wir fürchten,
daß die freie Handelsstraße, die den Engländern im Seengebiet bewilligt
worden ist, nicht minder unklare und streitige Verhältnisse schaffen wird, als
die sind, die jetzt durch die Erwerbung der sansibarischen Festlandsküste aus
der Welt geschafft werden sollen, und wir sehen in dein englischen Protektorat
über Sansibar eine Gefahr für die ganze Zukunft unsers ostafrikanischen Fest¬
landes. Denn darüber können und dürfen wir uns nicht täuschen: wenn
Deutschland auf eine „zuverlässige" politische Freundschaft Englands nicht
rechnen darf, so besteht auf wirtschaftlichem Gebiete zwischen uns und den
Engländern offene Gegnerschaft, denn wir sind die einzigen Mitbewerber im
Kampfe um die Handelsherrschaft, die sie wirklich fürchten. Daß wir uns in
Afrika überhaupt festgesetzt haben, ist ein unbestrittener und glänzender Triumph
der Bismarckschen Staatskunst; daß wir dort auf möglichst gutes Einvernehmen
mit England angewiesen sind, wird niemand in Abrede stellen; aber daß Eng¬
land uns nur soweit und nur so lange nachgiebt, als es unbedingt muß, und
daß es jetzt wie immer kaltblütig unsre europäische Lage abschätzt, das steht
nicht minder fest. Darauf müssen wir Deutschen uns einrichten, mit derselben
kaltblütigen Überlegung wie die Engländer, ohne Haß, aber auch ohne jede
falsche Vertrauensseligkeit.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Zweites Vieteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207294/628>, abgerufen am 15.06.2024.