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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Künstler auf die charakteristische Ausbildung seiner Erscheinung ein besondres
Gewicht gelegt hätte". Es mag dabei bemerkt werden, daß sich die bildende
Kunst von der Berufung Bismarcks zum Ministerpräsidenten bis zum Jahre 187">
mir sehr wenig mit ihm beschäftigt hat, und daß ihm mich die politische Karri-
katur nur eine verhältnismäßig geringe Nnfmerksamkeit geschenkt hat. "Man
durchblättere die in Spanien, Italien, England und Nmerika von 1867 bis 1870
erschienenen satirischen Journale, sagt Grand-Carteret in seinem Buche, und man
wird nirgends das Antlitz Bismarcks sehen, während überall das Gesicht
Napoleons III. mit der lächerlich gekrümmten Nase erscheint, aus dein die
Spanier schließlich einen leibhaftigen Polichinell machten. Europa grollt nicht
gegen Preußen; dieses ist ja so vernünftig, macht sich so wenig beschwerlich
und zeigt sich so wenig beschäftigt mit seinen Nachbarn. Der, den Europa
mit seinen Sarkasmen verfolgt, ist der Kaiser der Franzosen." Selbst die
französische Presse drückt nach Grand-Carterets Versicherung in den wenigen
ans Bismarck bezüglichen Bildern, denen man bis zum Jahre 1870 hie und
da begegnet, keine feindliche Stimmung gegen den preußischen Minister aus,
was der französische Schriftsteller daraus zu erklären sucht, daß Bismarck,
obwohl er alles gewesen ist, sich doch nicht sehen ließ, sondern sich als treuer
Minister und vollkommener Politiker hinter seinem Souverän verschanzte. In
dem Augenblicke aber, wo "der Tuilerieuhof sich getäuscht sah, rächte er
sich und schleuderte die Zeichenstifte gegen den "nordischen Menschenfresser.""
Von da ab regnete es fast zwei Jahre lang Karrikaturen auf Bismarck, überall
tritt seine Gestalt ans, weil sie die Zeichner kurzer Hand als Vertreter in der
germanischen Rasse verwendeten. Künstlerischen Wert besitzen diese Karrikaturen
nicht. Es gebricht ihnen sogar an Originalität, da ein Teil der Motive den
Karrikatnre" des Jahres 1792 entlehnt ist, wo sich die französischen Karrikaturen-
zeichner zuerst mit den Preußen beschäftigten, und Grand-Carteret gesteht selbst
zu, daß ein Gedanke in ihnen selten zu finden sei.

Die französischen .Karrikaturen aus den Kriegsjahren sind übrigens nicht
viel bissiger und gehässiger als die, die einige deutsche Witzblätter gegen
Bismarck in den sechziger Jahren veröffentlichten. Grand-Carteret giebt einige
Proben aus dem Münchener "Punsch" und der "Frankfurter Laterne." Heftiger
wurden Bismarck und seine Politik damals in den "Hamburger Wespen" be¬
kämpft, die dem französischen Sammler nicht zu Gesicht gekommen sind. Das Blatt
war in Preußen Verbote"; trotzdem gingen Exemplare insgeheim von Hand zu
Hand, n"d ich erinnere mich noch deutlich des großen Aufsehens, das besonders
eine Zeichnung, die den König von Preußen als blinden Mann und Bismarck
als Hund darstellte, der den seiner Führung anvertraute", Blinden eilig einem
Abgrunde zuführt, in den Kreisen der ausschließlich von der Fortschrittspresse
erleuchteten Bierbankpolitiker erregte. Eine Ausnahme von diesem oft zucht-
und schonungsloser Treiben deutscher und ausländischer Karrikaturenzeichner


Künstler auf die charakteristische Ausbildung seiner Erscheinung ein besondres
Gewicht gelegt hätte». Es mag dabei bemerkt werden, daß sich die bildende
Kunst von der Berufung Bismarcks zum Ministerpräsidenten bis zum Jahre 187«>
mir sehr wenig mit ihm beschäftigt hat, und daß ihm mich die politische Karri-
katur nur eine verhältnismäßig geringe Nnfmerksamkeit geschenkt hat. „Man
durchblättere die in Spanien, Italien, England und Nmerika von 1867 bis 1870
erschienenen satirischen Journale, sagt Grand-Carteret in seinem Buche, und man
wird nirgends das Antlitz Bismarcks sehen, während überall das Gesicht
Napoleons III. mit der lächerlich gekrümmten Nase erscheint, aus dein die
Spanier schließlich einen leibhaftigen Polichinell machten. Europa grollt nicht
gegen Preußen; dieses ist ja so vernünftig, macht sich so wenig beschwerlich
und zeigt sich so wenig beschäftigt mit seinen Nachbarn. Der, den Europa
mit seinen Sarkasmen verfolgt, ist der Kaiser der Franzosen." Selbst die
französische Presse drückt nach Grand-Carterets Versicherung in den wenigen
ans Bismarck bezüglichen Bildern, denen man bis zum Jahre 1870 hie und
da begegnet, keine feindliche Stimmung gegen den preußischen Minister aus,
was der französische Schriftsteller daraus zu erklären sucht, daß Bismarck,
obwohl er alles gewesen ist, sich doch nicht sehen ließ, sondern sich als treuer
Minister und vollkommener Politiker hinter seinem Souverän verschanzte. In
dem Augenblicke aber, wo „der Tuilerieuhof sich getäuscht sah, rächte er
sich und schleuderte die Zeichenstifte gegen den »nordischen Menschenfresser.«"
Von da ab regnete es fast zwei Jahre lang Karrikaturen auf Bismarck, überall
tritt seine Gestalt ans, weil sie die Zeichner kurzer Hand als Vertreter in der
germanischen Rasse verwendeten. Künstlerischen Wert besitzen diese Karrikaturen
nicht. Es gebricht ihnen sogar an Originalität, da ein Teil der Motive den
Karrikatnre» des Jahres 1792 entlehnt ist, wo sich die französischen Karrikaturen-
zeichner zuerst mit den Preußen beschäftigten, und Grand-Carteret gesteht selbst
zu, daß ein Gedanke in ihnen selten zu finden sei.

Die französischen .Karrikaturen aus den Kriegsjahren sind übrigens nicht
viel bissiger und gehässiger als die, die einige deutsche Witzblätter gegen
Bismarck in den sechziger Jahren veröffentlichten. Grand-Carteret giebt einige
Proben aus dem Münchener „Punsch" und der „Frankfurter Laterne." Heftiger
wurden Bismarck und seine Politik damals in den „Hamburger Wespen" be¬
kämpft, die dem französischen Sammler nicht zu Gesicht gekommen sind. Das Blatt
war in Preußen Verbote»; trotzdem gingen Exemplare insgeheim von Hand zu
Hand, n»d ich erinnere mich noch deutlich des großen Aufsehens, das besonders
eine Zeichnung, die den König von Preußen als blinden Mann und Bismarck
als Hund darstellte, der den seiner Führung anvertraute», Blinden eilig einem
Abgrunde zuführt, in den Kreisen der ausschließlich von der Fortschrittspresse
erleuchteten Bierbankpolitiker erregte. Eine Ausnahme von diesem oft zucht-
und schonungsloser Treiben deutscher und ausländischer Karrikaturenzeichner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/15>, abgerufen am 19.05.2024.