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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Feldbibliothek des Fürsten von Soubise

Voltaire einen Corneille und .Racine über Sophokles und Euripides. Und
auch das Fehlen der deutschen Litteratur ist nicht wunderbar; man er¬
innere sich nur des absprechender Urteils Friedrichs des Großen! Wenn dieser
deutsche Fürst von der deutschen Dichtkunst nichts wissen wollte, ist es gewiß
verzeihlich, daß wir die schwerfälligen Gottscheds, Hallers und Klopstocks in
der Bibliothek des Fürsten von Soubise nicht vorfinden. Aus ähnlichen
Gründen fehlt ans der englischen Litteratur Shakespeare, dessen Würdigung ja
erst durch Lessing angebahnt worden ist. Etwas anders ist das Verhältnis
unsrer Bibliothek zu deu englischen Romanschriftstellern und Philosophen. Die
großen französischen Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts, ein Montesquieu,
Rousseau und Voltaire, sind bei den englischen Philosophen in die Schule
gegangen, und seit Diderot galten die Romane von Richnrdson und Fielding
auch den Franzosen als Vorbilder. Es entstand damals in Frankreich eine
förmliche Schwärmerei, ein Kultus englischen Wesens und englischer Staats-
einrichtungen. So finden Nur auch in der Bibliothek des Fürsten ein l'rossr-
vstik ooutro l'^nglonmiriv (S. 18) und eine Iclvs as 1a ^"Aloisö, zih>r
1'^1>I>ö ^inxl (vierbändig, S. 20); von Richardson ist die IliswirL i1(! 3ir
(^rAnliLon (in sieben Bänden, S. 22) übersetzt, von Fielding die Kistviro "1v
?our 5vno8 (in vier Bände", S. 22), Swifts Voy-iZvs <Jo <Z-u11ivsr (zweibändig,
S. 18) und Miltons I'MuI!,? ^grilu (er-uluit pu- N. liavintZ, in drei Bänden,
S. 19); auch von Newton, Locke und Hume sind mehrere Übersetzungen da,
und mehrere Bücher beschäftigen sich mit der englischen Staatskunst, dem Handel
und der Kolonialmacht Englands.

Nächst der schönen Litteratur ist die Geschichte am stärksten vertreten.
Doch finden sich darin recht sonderbare Lücken. Während z. B. die römische
Geschichte mit zwölf Büchern, die Geschichte Frankreichs mit mehr als sechzig,
ja sogar die jüdische Geschichte mit wenigsteus vier Büchern bedacht ist, ist die
Geschichte Deutschlands, des Nachbarlandes von Frankreich, nur durch zwei
Bücher von je einem Bande vertreten. Die Entwicklung Preußens kaun dem
Fürsten von Soubise sehr wenig Teilnahme abgewonnen haben; denn über
Preußen ist kein einziges Buch da, während Österreich wenigstens durch eine
Lebensbeschreibung des Prinzen Eugen vertreten ist. Über China und Japan
kann man sich aus zwei Büchern belehren; über England, Dänemark, Schweden,
Rußland, über die Türkei, Genua und Portugal, über Persien und Georgien,
über Peru, Mexiko und Paraguay, ja sogar über das Knpland lind über
Australien sind geschichtlich-geographische Werke in die Bibliothek aufge¬
nommen -- Preußen fehlt! Und doch war Preußen Jahre lang Frankreichs
Buttdesgeuosse gewesen, und manchem Franzosen, der Heller blickte als der Fürst
von Soubise, waren schon vor dem Schlage von Roßbach die Augen ange¬
gangen über die wahre Bedeutung des Mannes, der damals die Sandbüchse
des heiligen römischen Reichs in fester Hand hielt. Man hat in den letzten


Die Feldbibliothek des Fürsten von Soubise

Voltaire einen Corneille und .Racine über Sophokles und Euripides. Und
auch das Fehlen der deutschen Litteratur ist nicht wunderbar; man er¬
innere sich nur des absprechender Urteils Friedrichs des Großen! Wenn dieser
deutsche Fürst von der deutschen Dichtkunst nichts wissen wollte, ist es gewiß
verzeihlich, daß wir die schwerfälligen Gottscheds, Hallers und Klopstocks in
der Bibliothek des Fürsten von Soubise nicht vorfinden. Aus ähnlichen
Gründen fehlt ans der englischen Litteratur Shakespeare, dessen Würdigung ja
erst durch Lessing angebahnt worden ist. Etwas anders ist das Verhältnis
unsrer Bibliothek zu deu englischen Romanschriftstellern und Philosophen. Die
großen französischen Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts, ein Montesquieu,
Rousseau und Voltaire, sind bei den englischen Philosophen in die Schule
gegangen, und seit Diderot galten die Romane von Richnrdson und Fielding
auch den Franzosen als Vorbilder. Es entstand damals in Frankreich eine
förmliche Schwärmerei, ein Kultus englischen Wesens und englischer Staats-
einrichtungen. So finden Nur auch in der Bibliothek des Fürsten ein l'rossr-
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S. 18) und Miltons I'MuI!,? ^grilu (er-uluit pu- N. liavintZ, in drei Bänden,
S. 19); auch von Newton, Locke und Hume sind mehrere Übersetzungen da,
und mehrere Bücher beschäftigen sich mit der englischen Staatskunst, dem Handel
und der Kolonialmacht Englands.

Nächst der schönen Litteratur ist die Geschichte am stärksten vertreten.
Doch finden sich darin recht sonderbare Lücken. Während z. B. die römische
Geschichte mit zwölf Büchern, die Geschichte Frankreichs mit mehr als sechzig,
ja sogar die jüdische Geschichte mit wenigsteus vier Büchern bedacht ist, ist die
Geschichte Deutschlands, des Nachbarlandes von Frankreich, nur durch zwei
Bücher von je einem Bande vertreten. Die Entwicklung Preußens kaun dem
Fürsten von Soubise sehr wenig Teilnahme abgewonnen haben; denn über
Preußen ist kein einziges Buch da, während Österreich wenigstens durch eine
Lebensbeschreibung des Prinzen Eugen vertreten ist. Über China und Japan
kann man sich aus zwei Büchern belehren; über England, Dänemark, Schweden,
Rußland, über die Türkei, Genua und Portugal, über Persien und Georgien,
über Peru, Mexiko und Paraguay, ja sogar über das Knpland lind über
Australien sind geschichtlich-geographische Werke in die Bibliothek aufge¬
nommen — Preußen fehlt! Und doch war Preußen Jahre lang Frankreichs
Buttdesgeuosse gewesen, und manchem Franzosen, der Heller blickte als der Fürst
von Soubise, waren schon vor dem Schlage von Roßbach die Augen ange¬
gangen über die wahre Bedeutung des Mannes, der damals die Sandbüchse
des heiligen römischen Reichs in fester Hand hielt. Man hat in den letzten


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[0173] Die Feldbibliothek des Fürsten von Soubise Voltaire einen Corneille und .Racine über Sophokles und Euripides. Und auch das Fehlen der deutschen Litteratur ist nicht wunderbar; man er¬ innere sich nur des absprechender Urteils Friedrichs des Großen! Wenn dieser deutsche Fürst von der deutschen Dichtkunst nichts wissen wollte, ist es gewiß verzeihlich, daß wir die schwerfälligen Gottscheds, Hallers und Klopstocks in der Bibliothek des Fürsten von Soubise nicht vorfinden. Aus ähnlichen Gründen fehlt ans der englischen Litteratur Shakespeare, dessen Würdigung ja erst durch Lessing angebahnt worden ist. Etwas anders ist das Verhältnis unsrer Bibliothek zu deu englischen Romanschriftstellern und Philosophen. Die großen französischen Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts, ein Montesquieu, Rousseau und Voltaire, sind bei den englischen Philosophen in die Schule gegangen, und seit Diderot galten die Romane von Richnrdson und Fielding auch den Franzosen als Vorbilder. Es entstand damals in Frankreich eine förmliche Schwärmerei, ein Kultus englischen Wesens und englischer Staats- einrichtungen. So finden Nur auch in der Bibliothek des Fürsten ein l'rossr- vstik ooutro l'^nglonmiriv (S. 18) und eine Iclvs as 1a ^»Aloisö, zih>r 1'^1>I>ö ^inxl (vierbändig, S. 20); von Richardson ist die IliswirL i1(! 3ir (^rAnliLon (in sieben Bänden, S. 22) übersetzt, von Fielding die Kistviro «1v ?our 5vno8 (in vier Bände», S. 22), Swifts Voy-iZvs <Jo <Z-u11ivsr (zweibändig, S. 18) und Miltons I'MuI!,? ^grilu (er-uluit pu- N. liavintZ, in drei Bänden, S. 19); auch von Newton, Locke und Hume sind mehrere Übersetzungen da, und mehrere Bücher beschäftigen sich mit der englischen Staatskunst, dem Handel und der Kolonialmacht Englands. Nächst der schönen Litteratur ist die Geschichte am stärksten vertreten. Doch finden sich darin recht sonderbare Lücken. Während z. B. die römische Geschichte mit zwölf Büchern, die Geschichte Frankreichs mit mehr als sechzig, ja sogar die jüdische Geschichte mit wenigsteus vier Büchern bedacht ist, ist die Geschichte Deutschlands, des Nachbarlandes von Frankreich, nur durch zwei Bücher von je einem Bande vertreten. Die Entwicklung Preußens kaun dem Fürsten von Soubise sehr wenig Teilnahme abgewonnen haben; denn über Preußen ist kein einziges Buch da, während Österreich wenigstens durch eine Lebensbeschreibung des Prinzen Eugen vertreten ist. Über China und Japan kann man sich aus zwei Büchern belehren; über England, Dänemark, Schweden, Rußland, über die Türkei, Genua und Portugal, über Persien und Georgien, über Peru, Mexiko und Paraguay, ja sogar über das Knpland lind über Australien sind geschichtlich-geographische Werke in die Bibliothek aufge¬ nommen — Preußen fehlt! Und doch war Preußen Jahre lang Frankreichs Buttdesgeuosse gewesen, und manchem Franzosen, der Heller blickte als der Fürst von Soubise, waren schon vor dem Schlage von Roßbach die Augen ange¬ gangen über die wahre Bedeutung des Mannes, der damals die Sandbüchse des heiligen römischen Reichs in fester Hand hielt. Man hat in den letzten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/173>, abgerufen am 17.06.2024.