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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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darauf verzichten müssen, ein Spiegelbild des jeweiligen Standes der Kunst
oder auch nur der Knnstbestrebnngen des ganzen Deutschlands zu biete".
Schwerer noch als im vorigen Jahre lastet auf der diesjährigen Berliner
Ausstellung der Wettbewerb der Münchner, und wenn es in dieser auch nicht
von Meisterwerke" wimmelt, so ist doch die Gesamtphysiognomie jeuer -- und
das ist entscheidend -- derart, daß sie zu trübseligen Betrachtungen reich¬
lichen Anlaß bietet, selbst wenn man alle mildernden Umstände gelten läßt.
Zunächst einen, der, wie es scheint, aus den allgemeinen Zeitverhältnissen er¬
wachsen ist. Mau spricht und schreibt seit Jahren -- ob mit Recht oder
Unrecht, wollen nur in diesen. Zusammenhange nicht untersuchen -- so viel
und so nachdrücklich von dem Rückgänge unsers nationalen Lebens seit dem
Aufschwünge von 1870, daß die bildenden Künste kein persönlicher Borwurf
treffen kann, wenn sie an diesem Rückgänge als einer unter vielen Faktoren
und Trägern der Kultur teilgenommen haben. Und auf ihre sämtlichen Zweige
trifft nicht einmal das boshafte Wort zu, das -- sicherlich zur Freude seines
jesuitischen Urhebers -- schou seit Jahren ans unserm öffentlichen Leben wie
ein Alp zu lasten scheint: "Es gelingt nichts mehr!" Der Architektur und
der mit ihr verbundnen Ingenieurkunst ist es vielmehr gelungen, einerseits
alle Stilnrten und künstlerische" Ausdrucksformen vergangner Zeiten bis zur
Täuschung nachzuahmen, wobei sie von den freigebigsten Händen der Finanz-,
Industrie- und Handelswelt unterstützt wird, anderseits mit den kühnste" Er¬
findungen der konstrnirenden Rechenkunst alle von der schaffenden Natur und
den zerstörenden Elementen bereiteten Hindernisse zu überwinden und zu um¬
gehen, wobei wiederum dieselben Vertreter des speknlirenden Kapitals ihre
Millionen zur Verfügung gestellt haben. Das mit der Baukunst zusammen¬
wirkende, wie das von ihr unabhängige Kunstgewerbe hat in so überraschend
kurzer Zeit die Herrschaft über deu technischen Teil seines Schaffens gewonnen,
daß ihm kein Verfahren eines orientalischen oder ostasiatischen Handwerkers
mehr fremd oder unnachahmbar ist, und es wäre ein Unrecht, wenn man be¬
haupten wollte, daß die Läuterung des Geschmacks mit dieser technischen Aus¬
bildung nicht gleiche" Schritt gehalten habe. Nach langem Winterschlafe sind
die monumentale und die dekorative Kunst, dank der nach wohlerwogenen
Grundsätzen geregelten Pflege des Staates, zu neuem und reichem Leben er¬
wacht. Wen" man auch bei der Verteilung der Aufgaben bisweilen einen
Mißgriff in der Wahl der mit der Ausführung betrauten Kräfte begangen
hat, wenn die Leistungen auch hie und da hinter den Erwartungen zurück¬
geblieben find, so ist doch das Gesamtbild, das uns die Thätigkeit aus diesen
Gebieten während der letzten zehn Jahre gewährt hat, überwiegend erfreulich
und vertrauenerweckend, wobei man freilich nicht außer Acht lassen darf, daß
die moderne Wahrheits-, Wirklichkeits- und Naturliebe dem monumentalen Stil
andre Gesetze aufgezwungen hat, als sie Cornelius, Schmorr, Deger, Nethel


darauf verzichten müssen, ein Spiegelbild des jeweiligen Standes der Kunst
oder auch nur der Knnstbestrebnngen des ganzen Deutschlands zu biete».
Schwerer noch als im vorigen Jahre lastet auf der diesjährigen Berliner
Ausstellung der Wettbewerb der Münchner, und wenn es in dieser auch nicht
von Meisterwerke» wimmelt, so ist doch die Gesamtphysiognomie jeuer — und
das ist entscheidend — derart, daß sie zu trübseligen Betrachtungen reich¬
lichen Anlaß bietet, selbst wenn man alle mildernden Umstände gelten läßt.
Zunächst einen, der, wie es scheint, aus den allgemeinen Zeitverhältnissen er¬
wachsen ist. Mau spricht und schreibt seit Jahren — ob mit Recht oder
Unrecht, wollen nur in diesen. Zusammenhange nicht untersuchen — so viel
und so nachdrücklich von dem Rückgänge unsers nationalen Lebens seit dem
Aufschwünge von 1870, daß die bildenden Künste kein persönlicher Borwurf
treffen kann, wenn sie an diesem Rückgänge als einer unter vielen Faktoren
und Trägern der Kultur teilgenommen haben. Und auf ihre sämtlichen Zweige
trifft nicht einmal das boshafte Wort zu, das — sicherlich zur Freude seines
jesuitischen Urhebers — schou seit Jahren ans unserm öffentlichen Leben wie
ein Alp zu lasten scheint: „Es gelingt nichts mehr!" Der Architektur und
der mit ihr verbundnen Ingenieurkunst ist es vielmehr gelungen, einerseits
alle Stilnrten und künstlerische» Ausdrucksformen vergangner Zeiten bis zur
Täuschung nachzuahmen, wobei sie von den freigebigsten Händen der Finanz-,
Industrie- und Handelswelt unterstützt wird, anderseits mit den kühnste» Er¬
findungen der konstrnirenden Rechenkunst alle von der schaffenden Natur und
den zerstörenden Elementen bereiteten Hindernisse zu überwinden und zu um¬
gehen, wobei wiederum dieselben Vertreter des speknlirenden Kapitals ihre
Millionen zur Verfügung gestellt haben. Das mit der Baukunst zusammen¬
wirkende, wie das von ihr unabhängige Kunstgewerbe hat in so überraschend
kurzer Zeit die Herrschaft über deu technischen Teil seines Schaffens gewonnen,
daß ihm kein Verfahren eines orientalischen oder ostasiatischen Handwerkers
mehr fremd oder unnachahmbar ist, und es wäre ein Unrecht, wenn man be¬
haupten wollte, daß die Läuterung des Geschmacks mit dieser technischen Aus¬
bildung nicht gleiche» Schritt gehalten habe. Nach langem Winterschlafe sind
die monumentale und die dekorative Kunst, dank der nach wohlerwogenen
Grundsätzen geregelten Pflege des Staates, zu neuem und reichem Leben er¬
wacht. Wen» man auch bei der Verteilung der Aufgaben bisweilen einen
Mißgriff in der Wahl der mit der Ausführung betrauten Kräfte begangen
hat, wenn die Leistungen auch hie und da hinter den Erwartungen zurück¬
geblieben find, so ist doch das Gesamtbild, das uns die Thätigkeit aus diesen
Gebieten während der letzten zehn Jahre gewährt hat, überwiegend erfreulich
und vertrauenerweckend, wobei man freilich nicht außer Acht lassen darf, daß
die moderne Wahrheits-, Wirklichkeits- und Naturliebe dem monumentalen Stil
andre Gesetze aufgezwungen hat, als sie Cornelius, Schmorr, Deger, Nethel


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[0226] darauf verzichten müssen, ein Spiegelbild des jeweiligen Standes der Kunst oder auch nur der Knnstbestrebnngen des ganzen Deutschlands zu biete». Schwerer noch als im vorigen Jahre lastet auf der diesjährigen Berliner Ausstellung der Wettbewerb der Münchner, und wenn es in dieser auch nicht von Meisterwerke» wimmelt, so ist doch die Gesamtphysiognomie jeuer — und das ist entscheidend — derart, daß sie zu trübseligen Betrachtungen reich¬ lichen Anlaß bietet, selbst wenn man alle mildernden Umstände gelten läßt. Zunächst einen, der, wie es scheint, aus den allgemeinen Zeitverhältnissen er¬ wachsen ist. Mau spricht und schreibt seit Jahren — ob mit Recht oder Unrecht, wollen nur in diesen. Zusammenhange nicht untersuchen — so viel und so nachdrücklich von dem Rückgänge unsers nationalen Lebens seit dem Aufschwünge von 1870, daß die bildenden Künste kein persönlicher Borwurf treffen kann, wenn sie an diesem Rückgänge als einer unter vielen Faktoren und Trägern der Kultur teilgenommen haben. Und auf ihre sämtlichen Zweige trifft nicht einmal das boshafte Wort zu, das — sicherlich zur Freude seines jesuitischen Urhebers — schou seit Jahren ans unserm öffentlichen Leben wie ein Alp zu lasten scheint: „Es gelingt nichts mehr!" Der Architektur und der mit ihr verbundnen Ingenieurkunst ist es vielmehr gelungen, einerseits alle Stilnrten und künstlerische» Ausdrucksformen vergangner Zeiten bis zur Täuschung nachzuahmen, wobei sie von den freigebigsten Händen der Finanz-, Industrie- und Handelswelt unterstützt wird, anderseits mit den kühnste» Er¬ findungen der konstrnirenden Rechenkunst alle von der schaffenden Natur und den zerstörenden Elementen bereiteten Hindernisse zu überwinden und zu um¬ gehen, wobei wiederum dieselben Vertreter des speknlirenden Kapitals ihre Millionen zur Verfügung gestellt haben. Das mit der Baukunst zusammen¬ wirkende, wie das von ihr unabhängige Kunstgewerbe hat in so überraschend kurzer Zeit die Herrschaft über deu technischen Teil seines Schaffens gewonnen, daß ihm kein Verfahren eines orientalischen oder ostasiatischen Handwerkers mehr fremd oder unnachahmbar ist, und es wäre ein Unrecht, wenn man be¬ haupten wollte, daß die Läuterung des Geschmacks mit dieser technischen Aus¬ bildung nicht gleiche» Schritt gehalten habe. Nach langem Winterschlafe sind die monumentale und die dekorative Kunst, dank der nach wohlerwogenen Grundsätzen geregelten Pflege des Staates, zu neuem und reichem Leben er¬ wacht. Wen» man auch bei der Verteilung der Aufgaben bisweilen einen Mißgriff in der Wahl der mit der Ausführung betrauten Kräfte begangen hat, wenn die Leistungen auch hie und da hinter den Erwartungen zurück¬ geblieben find, so ist doch das Gesamtbild, das uns die Thätigkeit aus diesen Gebieten während der letzten zehn Jahre gewährt hat, überwiegend erfreulich und vertrauenerweckend, wobei man freilich nicht außer Acht lassen darf, daß die moderne Wahrheits-, Wirklichkeits- und Naturliebe dem monumentalen Stil andre Gesetze aufgezwungen hat, als sie Cornelius, Schmorr, Deger, Nethel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/226>, abgerufen am 14.05.2024.