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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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diese beklagenswerten Ausschreitungen gelehrt, daß wir uns glücklich schätzen
können, eine kraftvolle Negierung zu haben, die sich nicht bloß gegen ihre
Gegner, sondern auch gegen verblendete Freunde zu wehren und die Zügel
fest zu führen vermag. Hätte sie den erregten Äußerungen der irregeleiteten
öffentlichen Meinung nachgegeben, dann würden hente unsre Kolvnial-
schwcirmer sich über die Frage klar sein, ob es besser sei, das wertlose Gebiet
um den Ngnmisee und die im Verhärten begriffene Walfischbai, ja selbst das
immer noch wenig bekannte Königreich Uganda zu besitzen oder einen Krieg
mit England zu führen, denn dahin zielten doch zuletzt die kolouialpolitischeu
Strömungen ab. Wenn gegenüber diesem unbegreiflichen Gebaren die Gegner
der Kolonialpolitik nicht den Sieg davon tragen, sondern wenn es noch ge¬
lingt, trotz dieser Anfeindungen von beiden Seiten eine kräftige Kolonialpolitik
für die Zukunft zu sichern, so wird dies das Verdienst der so sehr verketzerten
Negierung unter der Leitung des Herrn von Caprivi bleiben. Einer
Kolonialpolitik bedarf unser deutsches Volk, wenn es nicht seine Stellung
im Wettbewerb der Völker verlieren soll. Aber diese Kolonialpolitik ist
eine ernste Arbeit, die mit Umsicht geleitet, mit Kraft durchgeführt und
mit Geduld getrieben werdeu muß. Nicht von dein Strohfeuer augen¬
blicklicher Begeisterung darf sie abhängen, sondern sie muß auf der festen Grund-
lage einer dauernden Überzeugung stehen. Nicht blindlings und einseitig darf
darnach gestrebt werden, auf der Landkarte weite Gebiete zu erwerben, sondern
unter Berücksichtigung der politischen Lage, unter Abschätzung der verwendbaren
Mittel und Kräfte muß planmäßig und mit Vertrauen vorgegangen und das
Erworbene auch ernstlich für die Kultur verwertet werden. Eine solche
Kolonialpolitik ist bisher von Deutschland nicht betrieben worden. Nationale
Begeisterung hat sie geschaffen, aber sie hat weder in den wirtschaftlichen
Kreisen noch bei der Regierung bisher die erforderliche Unterstützung gefunden
und auch nicht finden können, weil die Vorbedingungen fehlten, die in der
Sicherheit des Besitzes und in dessen Beherrschung liegen. Diese Sicherheit
ist durch das deutsch-englische Abkommen geschaffen. Jetzt wird es sich zeigen,
ob in dem deutschen Volke so viel Kraft an Männern und Mitteln übrig ist,
daß die Kolonialbewegung von der Begeisterung in die Arbeit übergeleitet
werden kann. Der Negierung wird man jetzt nicht mehr den Vorwurf machen
können, daß sie nicht ihrerseits alles gethan habe, um dem deutscheu Unter¬
nehmungsgeist die Wege zu ebnen. Die Kolonialpolitik hat aber noch mit
sehr mächtigen Gegnern, namentlich im Reichstage, zu kämpfen. Diese
werden die Ausschreitungen der letzten Wochen nicht überzeugt, vielmehr in
ihrer Gegnerschaft bestärkt haben. Denn wenn man selbst von den Verun¬
glimpfungen und Verleumdungen absieht, mit denen in Versammlungen und
Presse die Negierung des Kaisers überschüttet worden ist, so wird man doch
geringes Vertrauen in die Einsicht derer setzen können, die Kolonialpolitik


diese beklagenswerten Ausschreitungen gelehrt, daß wir uns glücklich schätzen
können, eine kraftvolle Negierung zu haben, die sich nicht bloß gegen ihre
Gegner, sondern auch gegen verblendete Freunde zu wehren und die Zügel
fest zu führen vermag. Hätte sie den erregten Äußerungen der irregeleiteten
öffentlichen Meinung nachgegeben, dann würden hente unsre Kolvnial-
schwcirmer sich über die Frage klar sein, ob es besser sei, das wertlose Gebiet
um den Ngnmisee und die im Verhärten begriffene Walfischbai, ja selbst das
immer noch wenig bekannte Königreich Uganda zu besitzen oder einen Krieg
mit England zu führen, denn dahin zielten doch zuletzt die kolouialpolitischeu
Strömungen ab. Wenn gegenüber diesem unbegreiflichen Gebaren die Gegner
der Kolonialpolitik nicht den Sieg davon tragen, sondern wenn es noch ge¬
lingt, trotz dieser Anfeindungen von beiden Seiten eine kräftige Kolonialpolitik
für die Zukunft zu sichern, so wird dies das Verdienst der so sehr verketzerten
Negierung unter der Leitung des Herrn von Caprivi bleiben. Einer
Kolonialpolitik bedarf unser deutsches Volk, wenn es nicht seine Stellung
im Wettbewerb der Völker verlieren soll. Aber diese Kolonialpolitik ist
eine ernste Arbeit, die mit Umsicht geleitet, mit Kraft durchgeführt und
mit Geduld getrieben werdeu muß. Nicht von dein Strohfeuer augen¬
blicklicher Begeisterung darf sie abhängen, sondern sie muß auf der festen Grund-
lage einer dauernden Überzeugung stehen. Nicht blindlings und einseitig darf
darnach gestrebt werden, auf der Landkarte weite Gebiete zu erwerben, sondern
unter Berücksichtigung der politischen Lage, unter Abschätzung der verwendbaren
Mittel und Kräfte muß planmäßig und mit Vertrauen vorgegangen und das
Erworbene auch ernstlich für die Kultur verwertet werden. Eine solche
Kolonialpolitik ist bisher von Deutschland nicht betrieben worden. Nationale
Begeisterung hat sie geschaffen, aber sie hat weder in den wirtschaftlichen
Kreisen noch bei der Regierung bisher die erforderliche Unterstützung gefunden
und auch nicht finden können, weil die Vorbedingungen fehlten, die in der
Sicherheit des Besitzes und in dessen Beherrschung liegen. Diese Sicherheit
ist durch das deutsch-englische Abkommen geschaffen. Jetzt wird es sich zeigen,
ob in dem deutschen Volke so viel Kraft an Männern und Mitteln übrig ist,
daß die Kolonialbewegung von der Begeisterung in die Arbeit übergeleitet
werden kann. Der Negierung wird man jetzt nicht mehr den Vorwurf machen
können, daß sie nicht ihrerseits alles gethan habe, um dem deutscheu Unter¬
nehmungsgeist die Wege zu ebnen. Die Kolonialpolitik hat aber noch mit
sehr mächtigen Gegnern, namentlich im Reichstage, zu kämpfen. Diese
werden die Ausschreitungen der letzten Wochen nicht überzeugt, vielmehr in
ihrer Gegnerschaft bestärkt haben. Denn wenn man selbst von den Verun¬
glimpfungen und Verleumdungen absieht, mit denen in Versammlungen und
Presse die Negierung des Kaisers überschüttet worden ist, so wird man doch
geringes Vertrauen in die Einsicht derer setzen können, die Kolonialpolitik


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[0256] diese beklagenswerten Ausschreitungen gelehrt, daß wir uns glücklich schätzen können, eine kraftvolle Negierung zu haben, die sich nicht bloß gegen ihre Gegner, sondern auch gegen verblendete Freunde zu wehren und die Zügel fest zu führen vermag. Hätte sie den erregten Äußerungen der irregeleiteten öffentlichen Meinung nachgegeben, dann würden hente unsre Kolvnial- schwcirmer sich über die Frage klar sein, ob es besser sei, das wertlose Gebiet um den Ngnmisee und die im Verhärten begriffene Walfischbai, ja selbst das immer noch wenig bekannte Königreich Uganda zu besitzen oder einen Krieg mit England zu führen, denn dahin zielten doch zuletzt die kolouialpolitischeu Strömungen ab. Wenn gegenüber diesem unbegreiflichen Gebaren die Gegner der Kolonialpolitik nicht den Sieg davon tragen, sondern wenn es noch ge¬ lingt, trotz dieser Anfeindungen von beiden Seiten eine kräftige Kolonialpolitik für die Zukunft zu sichern, so wird dies das Verdienst der so sehr verketzerten Negierung unter der Leitung des Herrn von Caprivi bleiben. Einer Kolonialpolitik bedarf unser deutsches Volk, wenn es nicht seine Stellung im Wettbewerb der Völker verlieren soll. Aber diese Kolonialpolitik ist eine ernste Arbeit, die mit Umsicht geleitet, mit Kraft durchgeführt und mit Geduld getrieben werdeu muß. Nicht von dein Strohfeuer augen¬ blicklicher Begeisterung darf sie abhängen, sondern sie muß auf der festen Grund- lage einer dauernden Überzeugung stehen. Nicht blindlings und einseitig darf darnach gestrebt werden, auf der Landkarte weite Gebiete zu erwerben, sondern unter Berücksichtigung der politischen Lage, unter Abschätzung der verwendbaren Mittel und Kräfte muß planmäßig und mit Vertrauen vorgegangen und das Erworbene auch ernstlich für die Kultur verwertet werden. Eine solche Kolonialpolitik ist bisher von Deutschland nicht betrieben worden. Nationale Begeisterung hat sie geschaffen, aber sie hat weder in den wirtschaftlichen Kreisen noch bei der Regierung bisher die erforderliche Unterstützung gefunden und auch nicht finden können, weil die Vorbedingungen fehlten, die in der Sicherheit des Besitzes und in dessen Beherrschung liegen. Diese Sicherheit ist durch das deutsch-englische Abkommen geschaffen. Jetzt wird es sich zeigen, ob in dem deutschen Volke so viel Kraft an Männern und Mitteln übrig ist, daß die Kolonialbewegung von der Begeisterung in die Arbeit übergeleitet werden kann. Der Negierung wird man jetzt nicht mehr den Vorwurf machen können, daß sie nicht ihrerseits alles gethan habe, um dem deutscheu Unter¬ nehmungsgeist die Wege zu ebnen. Die Kolonialpolitik hat aber noch mit sehr mächtigen Gegnern, namentlich im Reichstage, zu kämpfen. Diese werden die Ausschreitungen der letzten Wochen nicht überzeugt, vielmehr in ihrer Gegnerschaft bestärkt haben. Denn wenn man selbst von den Verun¬ glimpfungen und Verleumdungen absieht, mit denen in Versammlungen und Presse die Negierung des Kaisers überschüttet worden ist, so wird man doch geringes Vertrauen in die Einsicht derer setzen können, die Kolonialpolitik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/256>, abgerufen am 14.05.2024.