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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Abschlüsse für 1889/90 konnten weitere W00000 Mark in Aussicht gestellt
werden, woraus in Wahrheit mehr als drei Millionen wurden; wenn auch die
Überweisungen des Reiches aus Steuern und Zöllen einen erklecklichen Beitrag
zu diesem günstigen Ergebnis liefern, so haben doch anch die gesteigerten eignen
Einnahmen des Landes und zwar aus den direkten Steuern, insbesondre der
Patent- (Gewerbe-) Steuer, aus dem Enregistrement, aus den Forsten, aus den
Abgaben für Bier u. s. w. ihren Anteil zu diesem Ergebnis geliefert, das gleich
bei Eröffnung der Beratungen angenehme Aussichten auf die Verteilung voll
Zuschüssen und Unterstützungen zur Förderung von Unternehmungen und Be¬
strebungen aller Art eröffnete. Seit Jahren bereitet der die Verhandlungen
einleitende Rechenschaftsbericht des Finanzleiters ein gewisses Grnndbehagen
unter unsern Landbvten; doch lassen sie sich durch diese beruhigenden Mittei¬
lungen niemals bestechen oder ihr Recht verdummen, freimütig ihr Urteil über
die allgemeine politische Lage oder über wahrgenommene besondre Mängel der
Verwaltung abzugeben. Protest treibt man im Landesansschusfe nicht, das
wird bei den Reichstagswahlen und im Reichstage besorgt; dennoch rückt man
mitunter der Regierung scharf zuleide, und gar oft hallte der Saal von den
donnernden Warnungen des Stadtpfarrers von Mülhausen wieder, des Reichs-
tagsabgeordneten Winterer, der der Regierung ins Gewissen redete, wie sie
dnrch Unterschätzung und Vernachlässigung des Einflusses der Kirche, dieses
begehrenswerter Bundesgenossen im Kampfe wider die Svzialdemvkrntie, auf
unfehlbare Mittel zur Beschwörung der die Gesellschaft bedrohenden Gefahren
in unseliger Verblendung verzichte. Man konnte dabei sogar den Eindruck ge¬
winnen, als ob die katholische Kirche nicht aus eignen Antriebe, sondern je
nach Wohlverhalten des Staates ihre Hilfsmittel erschließe oder sperre. Die
letzten Reichstagswahlen in Mühlhausen, bei denen der vom katholischen Klerus
unterstützte Protestler gegen einen Sozialisten unterlag, scheinen der zur Schau
getragenen dreisten Zuversicht der Kirche in Mülhausen doch einen Stoß ver¬
setzt zu haben; seitdem hat auch niemand davon gehört, daß die Mitglieder
der katholischen Jünglingsvereine oder der Bruderschaft zum heiligem Josef bei
der Arbeitseinstellung im Oberelsaß warnend oder rettend eingegriffen hätten.
Der Stadtpfarrer von Mülhcinsen ist auch diesmal nicht mit jener apostolischen
Sicherheit aufgetreten, die uns sonst an ihm gefiel, und der Versuch, die Re¬
gierung dafür verantwortlich zu machen, daß hurtige Gendarmen aus dein
Wahlkreise des Herrn Pfarrers den einen oder andern Zettelträger uuglimpflich
angefaßt hätten, verlief recht kläglich. Woran liegt es überhaupt, daß, während
in frühern Jahren der Regierung bald von elsässischen, bald von lothringischen
Rednern bei jeder Gelegenheit gründlich der Text gelesen wurde, während die
schönsten Vorlagen so häufig bemängelt wurden, und die Gegner, wenn es nicht
anders ging, nur mit grämlichen Vorbehalte zustimmten, heute der Regierung
nur noch i" herabgestimmter Tonart ins Gewissen geredet wird, gerade als


Aus «Llsaß-Lothringen

Abschlüsse für 1889/90 konnten weitere W00000 Mark in Aussicht gestellt
werden, woraus in Wahrheit mehr als drei Millionen wurden; wenn auch die
Überweisungen des Reiches aus Steuern und Zöllen einen erklecklichen Beitrag
zu diesem günstigen Ergebnis liefern, so haben doch anch die gesteigerten eignen
Einnahmen des Landes und zwar aus den direkten Steuern, insbesondre der
Patent- (Gewerbe-) Steuer, aus dem Enregistrement, aus den Forsten, aus den
Abgaben für Bier u. s. w. ihren Anteil zu diesem Ergebnis geliefert, das gleich
bei Eröffnung der Beratungen angenehme Aussichten auf die Verteilung voll
Zuschüssen und Unterstützungen zur Förderung von Unternehmungen und Be¬
strebungen aller Art eröffnete. Seit Jahren bereitet der die Verhandlungen
einleitende Rechenschaftsbericht des Finanzleiters ein gewisses Grnndbehagen
unter unsern Landbvten; doch lassen sie sich durch diese beruhigenden Mittei¬
lungen niemals bestechen oder ihr Recht verdummen, freimütig ihr Urteil über
die allgemeine politische Lage oder über wahrgenommene besondre Mängel der
Verwaltung abzugeben. Protest treibt man im Landesansschusfe nicht, das
wird bei den Reichstagswahlen und im Reichstage besorgt; dennoch rückt man
mitunter der Regierung scharf zuleide, und gar oft hallte der Saal von den
donnernden Warnungen des Stadtpfarrers von Mülhausen wieder, des Reichs-
tagsabgeordneten Winterer, der der Regierung ins Gewissen redete, wie sie
dnrch Unterschätzung und Vernachlässigung des Einflusses der Kirche, dieses
begehrenswerter Bundesgenossen im Kampfe wider die Svzialdemvkrntie, auf
unfehlbare Mittel zur Beschwörung der die Gesellschaft bedrohenden Gefahren
in unseliger Verblendung verzichte. Man konnte dabei sogar den Eindruck ge¬
winnen, als ob die katholische Kirche nicht aus eignen Antriebe, sondern je
nach Wohlverhalten des Staates ihre Hilfsmittel erschließe oder sperre. Die
letzten Reichstagswahlen in Mühlhausen, bei denen der vom katholischen Klerus
unterstützte Protestler gegen einen Sozialisten unterlag, scheinen der zur Schau
getragenen dreisten Zuversicht der Kirche in Mülhausen doch einen Stoß ver¬
setzt zu haben; seitdem hat auch niemand davon gehört, daß die Mitglieder
der katholischen Jünglingsvereine oder der Bruderschaft zum heiligem Josef bei
der Arbeitseinstellung im Oberelsaß warnend oder rettend eingegriffen hätten.
Der Stadtpfarrer von Mülhcinsen ist auch diesmal nicht mit jener apostolischen
Sicherheit aufgetreten, die uns sonst an ihm gefiel, und der Versuch, die Re¬
gierung dafür verantwortlich zu machen, daß hurtige Gendarmen aus dein
Wahlkreise des Herrn Pfarrers den einen oder andern Zettelträger uuglimpflich
angefaßt hätten, verlief recht kläglich. Woran liegt es überhaupt, daß, während
in frühern Jahren der Regierung bald von elsässischen, bald von lothringischen
Rednern bei jeder Gelegenheit gründlich der Text gelesen wurde, während die
schönsten Vorlagen so häufig bemängelt wurden, und die Gegner, wenn es nicht
anders ging, nur mit grämlichen Vorbehalte zustimmten, heute der Regierung
nur noch i» herabgestimmter Tonart ins Gewissen geredet wird, gerade als


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[0258] Aus «Llsaß-Lothringen Abschlüsse für 1889/90 konnten weitere W00000 Mark in Aussicht gestellt werden, woraus in Wahrheit mehr als drei Millionen wurden; wenn auch die Überweisungen des Reiches aus Steuern und Zöllen einen erklecklichen Beitrag zu diesem günstigen Ergebnis liefern, so haben doch anch die gesteigerten eignen Einnahmen des Landes und zwar aus den direkten Steuern, insbesondre der Patent- (Gewerbe-) Steuer, aus dem Enregistrement, aus den Forsten, aus den Abgaben für Bier u. s. w. ihren Anteil zu diesem Ergebnis geliefert, das gleich bei Eröffnung der Beratungen angenehme Aussichten auf die Verteilung voll Zuschüssen und Unterstützungen zur Förderung von Unternehmungen und Be¬ strebungen aller Art eröffnete. Seit Jahren bereitet der die Verhandlungen einleitende Rechenschaftsbericht des Finanzleiters ein gewisses Grnndbehagen unter unsern Landbvten; doch lassen sie sich durch diese beruhigenden Mittei¬ lungen niemals bestechen oder ihr Recht verdummen, freimütig ihr Urteil über die allgemeine politische Lage oder über wahrgenommene besondre Mängel der Verwaltung abzugeben. Protest treibt man im Landesansschusfe nicht, das wird bei den Reichstagswahlen und im Reichstage besorgt; dennoch rückt man mitunter der Regierung scharf zuleide, und gar oft hallte der Saal von den donnernden Warnungen des Stadtpfarrers von Mülhausen wieder, des Reichs- tagsabgeordneten Winterer, der der Regierung ins Gewissen redete, wie sie dnrch Unterschätzung und Vernachlässigung des Einflusses der Kirche, dieses begehrenswerter Bundesgenossen im Kampfe wider die Svzialdemvkrntie, auf unfehlbare Mittel zur Beschwörung der die Gesellschaft bedrohenden Gefahren in unseliger Verblendung verzichte. Man konnte dabei sogar den Eindruck ge¬ winnen, als ob die katholische Kirche nicht aus eignen Antriebe, sondern je nach Wohlverhalten des Staates ihre Hilfsmittel erschließe oder sperre. Die letzten Reichstagswahlen in Mühlhausen, bei denen der vom katholischen Klerus unterstützte Protestler gegen einen Sozialisten unterlag, scheinen der zur Schau getragenen dreisten Zuversicht der Kirche in Mülhausen doch einen Stoß ver¬ setzt zu haben; seitdem hat auch niemand davon gehört, daß die Mitglieder der katholischen Jünglingsvereine oder der Bruderschaft zum heiligem Josef bei der Arbeitseinstellung im Oberelsaß warnend oder rettend eingegriffen hätten. Der Stadtpfarrer von Mülhcinsen ist auch diesmal nicht mit jener apostolischen Sicherheit aufgetreten, die uns sonst an ihm gefiel, und der Versuch, die Re¬ gierung dafür verantwortlich zu machen, daß hurtige Gendarmen aus dein Wahlkreise des Herrn Pfarrers den einen oder andern Zettelträger uuglimpflich angefaßt hätten, verlief recht kläglich. Woran liegt es überhaupt, daß, während in frühern Jahren der Regierung bald von elsässischen, bald von lothringischen Rednern bei jeder Gelegenheit gründlich der Text gelesen wurde, während die schönsten Vorlagen so häufig bemängelt wurden, und die Gegner, wenn es nicht anders ging, nur mit grämlichen Vorbehalte zustimmten, heute der Regierung nur noch i» herabgestimmter Tonart ins Gewissen geredet wird, gerade als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/258>, abgerufen am 13.05.2024.