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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Erklärung der allgemeine" Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich

des französischen Bürger- und Kirchcntums sind durch Staatseinrichtungen er¬
setzt, die auf Gleichheit und Freiheit beruhen. Die neue Konstitution setzt als
gesetzgebenden Körper im Gegensatz zu englischen Verfassungsbestimmungen nur
eine Kammer ein und entzieht dem König, indem sie ihn zum Haupte der voll¬
ziehenden Gewalt macht, fast allen Einfluß auf die Gesetzgebung. Der König
behält zwar in beschränkter Weise noch das Recht der Sanktion der Gesetze; aber
im allgemeinen ist die Staatsmaschine nach Artikel 3K und 15 der Menschenrechte
auf die absolute Volkssouveränität gegründet. Auch die richterliche Gewalt soll
nämlich von der freien Wahl des Volkes abhängen, von der Exekutivgewalt also
unabhängig sein. Das von Montesquieu nach dem Vorgange Lockes, ganz be¬
sonders aber vou Rousseau in schroffer Weise vertretene Dogma von der Abson¬
derung der drei Gewalten im Staate hält auf europäischem Boden zuerst in
Frankreich seinen Einzug in das wirkliche Staatsleben. Man machte dadurch die
Gesetzgebung republikanisch, die Vollziehung der Gesetze monarchisch und rief
einen Widerspruch zweier Staatsprinzipien hervor, der entweder den Untergang
der Monarchie oder die Unterdrückung des Parlaments im Gefolge haben mußte.
Die Folgezeit hat gelehrt, welchen Schwankungen das französische Staatswesen
unterworfen war, als das Staatsruder zuerst von der wilden Leidenschaft einer
stürmischen Versammlung, sodann von der rücksichtslosen Gewalt eines mächtigen
Herrschers ergriffen wurde. Das monarchische Frankreich wurde Republik und
ließ seinen König morden; die Republik wandelte sich zur Monarchie um und
ließ sich von einem Emporkömmling dem Untergange nahe bringen. Ähnlicher
Schwankungen sind noch jetzt diejenigen amerikanischen Republiken ausgesetzt,
die dem Vertreter der Exekutivgewalt zu wenig vermittelnden Einfluß zwischeu
den drei Staatsgewalten zugestehen.

Noch sei erwähnt, daß die französische Verfassung vom 24. Juni 1793
eine Erklärung der Menschenrechte in schroffer Form, die Verfassung vom
5. Fructidor d. I. 3 (22. August 1795) neben der präzisen Erklärung der Rechte
auch eine Aufstellung der Pflichten des Bürgers, wie sie schon von Rednern
bei Beratung der ersten Verfassung im Jahre 1789 gefordert worden war,
enthält, während die Konstitution vom 22. Frimaire d. I. 8 (13. Dezember 1799)
von keiner Erklärung der Menschenrechte mehr eingeleitet wird. Da die von
Frankreich unterworfenen Länder an dessen politischen Wandlungen teilnehmen,
so erhalten sie auch dieselben Verfassungen, und in der Zeit, wo Erklärungen
der Menschenrechte mit diesen Verfassungen verbunden sind, auch diese. So stehen
beispielsweise der Verfassung des Königreichs Westfalen die Menschenrechte
voran. Die Verfassungen von Baiern und Anhalt-Köthen sind der westfälischen
fast wörtlich nachgebildet. Erstere trat jedoch nicht in Kraft. Auch die Ver¬
fassung des Großherzvgtums Frankfurt vom 16. August 1810 ist von dem
durch Napoleon I. auf Lebenszeit zum Großherzog ernannten Karl von Dalberg
nach dem Muster der westfälischen entworfen worden.


Die Erklärung der allgemeine» Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich

des französischen Bürger- und Kirchcntums sind durch Staatseinrichtungen er¬
setzt, die auf Gleichheit und Freiheit beruhen. Die neue Konstitution setzt als
gesetzgebenden Körper im Gegensatz zu englischen Verfassungsbestimmungen nur
eine Kammer ein und entzieht dem König, indem sie ihn zum Haupte der voll¬
ziehenden Gewalt macht, fast allen Einfluß auf die Gesetzgebung. Der König
behält zwar in beschränkter Weise noch das Recht der Sanktion der Gesetze; aber
im allgemeinen ist die Staatsmaschine nach Artikel 3K und 15 der Menschenrechte
auf die absolute Volkssouveränität gegründet. Auch die richterliche Gewalt soll
nämlich von der freien Wahl des Volkes abhängen, von der Exekutivgewalt also
unabhängig sein. Das von Montesquieu nach dem Vorgange Lockes, ganz be¬
sonders aber vou Rousseau in schroffer Weise vertretene Dogma von der Abson¬
derung der drei Gewalten im Staate hält auf europäischem Boden zuerst in
Frankreich seinen Einzug in das wirkliche Staatsleben. Man machte dadurch die
Gesetzgebung republikanisch, die Vollziehung der Gesetze monarchisch und rief
einen Widerspruch zweier Staatsprinzipien hervor, der entweder den Untergang
der Monarchie oder die Unterdrückung des Parlaments im Gefolge haben mußte.
Die Folgezeit hat gelehrt, welchen Schwankungen das französische Staatswesen
unterworfen war, als das Staatsruder zuerst von der wilden Leidenschaft einer
stürmischen Versammlung, sodann von der rücksichtslosen Gewalt eines mächtigen
Herrschers ergriffen wurde. Das monarchische Frankreich wurde Republik und
ließ seinen König morden; die Republik wandelte sich zur Monarchie um und
ließ sich von einem Emporkömmling dem Untergange nahe bringen. Ähnlicher
Schwankungen sind noch jetzt diejenigen amerikanischen Republiken ausgesetzt,
die dem Vertreter der Exekutivgewalt zu wenig vermittelnden Einfluß zwischeu
den drei Staatsgewalten zugestehen.

Noch sei erwähnt, daß die französische Verfassung vom 24. Juni 1793
eine Erklärung der Menschenrechte in schroffer Form, die Verfassung vom
5. Fructidor d. I. 3 (22. August 1795) neben der präzisen Erklärung der Rechte
auch eine Aufstellung der Pflichten des Bürgers, wie sie schon von Rednern
bei Beratung der ersten Verfassung im Jahre 1789 gefordert worden war,
enthält, während die Konstitution vom 22. Frimaire d. I. 8 (13. Dezember 1799)
von keiner Erklärung der Menschenrechte mehr eingeleitet wird. Da die von
Frankreich unterworfenen Länder an dessen politischen Wandlungen teilnehmen,
so erhalten sie auch dieselben Verfassungen, und in der Zeit, wo Erklärungen
der Menschenrechte mit diesen Verfassungen verbunden sind, auch diese. So stehen
beispielsweise der Verfassung des Königreichs Westfalen die Menschenrechte
voran. Die Verfassungen von Baiern und Anhalt-Köthen sind der westfälischen
fast wörtlich nachgebildet. Erstere trat jedoch nicht in Kraft. Auch die Ver¬
fassung des Großherzvgtums Frankfurt vom 16. August 1810 ist von dem
durch Napoleon I. auf Lebenszeit zum Großherzog ernannten Karl von Dalberg
nach dem Muster der westfälischen entworfen worden.


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[0278] Die Erklärung der allgemeine» Menschen- und Bürgerrechte in Frankreich des französischen Bürger- und Kirchcntums sind durch Staatseinrichtungen er¬ setzt, die auf Gleichheit und Freiheit beruhen. Die neue Konstitution setzt als gesetzgebenden Körper im Gegensatz zu englischen Verfassungsbestimmungen nur eine Kammer ein und entzieht dem König, indem sie ihn zum Haupte der voll¬ ziehenden Gewalt macht, fast allen Einfluß auf die Gesetzgebung. Der König behält zwar in beschränkter Weise noch das Recht der Sanktion der Gesetze; aber im allgemeinen ist die Staatsmaschine nach Artikel 3K und 15 der Menschenrechte auf die absolute Volkssouveränität gegründet. Auch die richterliche Gewalt soll nämlich von der freien Wahl des Volkes abhängen, von der Exekutivgewalt also unabhängig sein. Das von Montesquieu nach dem Vorgange Lockes, ganz be¬ sonders aber vou Rousseau in schroffer Weise vertretene Dogma von der Abson¬ derung der drei Gewalten im Staate hält auf europäischem Boden zuerst in Frankreich seinen Einzug in das wirkliche Staatsleben. Man machte dadurch die Gesetzgebung republikanisch, die Vollziehung der Gesetze monarchisch und rief einen Widerspruch zweier Staatsprinzipien hervor, der entweder den Untergang der Monarchie oder die Unterdrückung des Parlaments im Gefolge haben mußte. Die Folgezeit hat gelehrt, welchen Schwankungen das französische Staatswesen unterworfen war, als das Staatsruder zuerst von der wilden Leidenschaft einer stürmischen Versammlung, sodann von der rücksichtslosen Gewalt eines mächtigen Herrschers ergriffen wurde. Das monarchische Frankreich wurde Republik und ließ seinen König morden; die Republik wandelte sich zur Monarchie um und ließ sich von einem Emporkömmling dem Untergange nahe bringen. Ähnlicher Schwankungen sind noch jetzt diejenigen amerikanischen Republiken ausgesetzt, die dem Vertreter der Exekutivgewalt zu wenig vermittelnden Einfluß zwischeu den drei Staatsgewalten zugestehen. Noch sei erwähnt, daß die französische Verfassung vom 24. Juni 1793 eine Erklärung der Menschenrechte in schroffer Form, die Verfassung vom 5. Fructidor d. I. 3 (22. August 1795) neben der präzisen Erklärung der Rechte auch eine Aufstellung der Pflichten des Bürgers, wie sie schon von Rednern bei Beratung der ersten Verfassung im Jahre 1789 gefordert worden war, enthält, während die Konstitution vom 22. Frimaire d. I. 8 (13. Dezember 1799) von keiner Erklärung der Menschenrechte mehr eingeleitet wird. Da die von Frankreich unterworfenen Länder an dessen politischen Wandlungen teilnehmen, so erhalten sie auch dieselben Verfassungen, und in der Zeit, wo Erklärungen der Menschenrechte mit diesen Verfassungen verbunden sind, auch diese. So stehen beispielsweise der Verfassung des Königreichs Westfalen die Menschenrechte voran. Die Verfassungen von Baiern und Anhalt-Köthen sind der westfälischen fast wörtlich nachgebildet. Erstere trat jedoch nicht in Kraft. Auch die Ver¬ fassung des Großherzvgtums Frankfurt vom 16. August 1810 ist von dem durch Napoleon I. auf Lebenszeit zum Großherzog ernannten Karl von Dalberg nach dem Muster der westfälischen entworfen worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/278>, abgerufen am 09.05.2024.