Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
llatan"

kann man keine Rechenschaft ablegen. Ich würde aber dieselbe Zufriedenheit
über einen solchen Beweis empfinden, wie wenn ich Iraxg, imtM8 fände.

Es scheint, daß dieses Geschlecht hier zu Lande auch ausgestorben ist,
sagte ich.

Ich fange selbst an, es zu glauben, antwortete er, wenigstens habe ich
es trotz alles Fleißes nicht auffinden können; ich habe es aber nicht auf¬
gegeben--man giebt es doch nicht auf, seine "blaue Blume" zu finden! fügte
er lächelnd hinzu.

Aber deine Kousine in der Gegend von Asiens, die hast du wohl auf¬
gegeben ?

Nein, aber sie vermutlich mich, denn sie hat sich kürzlich verheiratet.

Was wird denn aber dann mit dem Häuflein kleiner Blaus? das Geschlecht
darf doch nicht aussterben!

Ach das eilt nicht! Aber es kann ja sein, daß die Zeit der Blaus ebenso
vorüber ist, wie die der Trapas, fuhr er ernsthaft fort, mit einem jener plötz¬
lichen Übergänge, die ihm nach und nach eigentümlich geworden waren; jedes
Geschlecht stirbt aus, wenn es keine Aufgaben mehr zu erfüllen hat. Na, ich
bin ja im übrigen ein glücklicher Mann, glücklicher als die allermeisten --
aber weshalb bin ichs! Welchen Nutzen schaffe ich im Leben? Keinen! Ja,
ich schütze meine Entenmoore in der Brütezeit und schieße die räuberischen
Habichte nieder, aber das ist auch alles, und das ist doch nicht Grund genug,
daß ich auf der Lichtseite des Daseins lebe!

Dann thue etwas Nützliches! erwiderte ich.

Aber was? Es giebt nichts, was ein andrer nicht ebenso gut oder noch
besser thun könnte als ich! Soll ich Reichstagsmann werden? Ich bin schon
auf dem besten. Wege dazu, denn sie haben mich bei der letzten Sitzung zum
Gemeinderat gewählt, nur weil ich das bischen Krankenkasse eingerichtet und eine
Privatschule errichtet habe, die für das kleine Präliminarexamen reif macht.

Davon weiß ich ja nicht das geringste.

O, es ist ja nicht der Rede wert. Ja, Hütte ich einen Sohn, den ich
nach dem alten Grundsatz erziehen könnte: "Fürchte Gott und ehre den König,"
und der einmal meinen Platz ausfüllen könnte, wenn ich weg bin -- und dann
hoffentlich besser als ich! -- ja, dann wollte ich, so lächerlich es vielleicht dir
und andern vorkommen mag, doch annehmen, daß ich eine gewisse alio vivvncii
hätte. Aber so --

So heirate! sagte ich, das ist doch immer eine Art Anfang!

Dn kennst meine Ansicht, antwortete er. Wenn ich das, was man Liebe
nennt, sühlen soll, so muß irgend etwas geschehen, etwas Wunderbares, etwas,
das mir sagte, daß sie und ich ursprünglich zusammengehörten oder gemeinsam
aneinandergekettet seien durch einen der vielen unsichtbaren Fäden des Daseins,
den, mit dem es einem geht, wie mit dem "Mariengarn" im Spätherbst: man


llatan»

kann man keine Rechenschaft ablegen. Ich würde aber dieselbe Zufriedenheit
über einen solchen Beweis empfinden, wie wenn ich Iraxg, imtM8 fände.

Es scheint, daß dieses Geschlecht hier zu Lande auch ausgestorben ist,
sagte ich.

Ich fange selbst an, es zu glauben, antwortete er, wenigstens habe ich
es trotz alles Fleißes nicht auffinden können; ich habe es aber nicht auf¬
gegeben—man giebt es doch nicht auf, seine „blaue Blume" zu finden! fügte
er lächelnd hinzu.

Aber deine Kousine in der Gegend von Asiens, die hast du wohl auf¬
gegeben ?

Nein, aber sie vermutlich mich, denn sie hat sich kürzlich verheiratet.

Was wird denn aber dann mit dem Häuflein kleiner Blaus? das Geschlecht
darf doch nicht aussterben!

Ach das eilt nicht! Aber es kann ja sein, daß die Zeit der Blaus ebenso
vorüber ist, wie die der Trapas, fuhr er ernsthaft fort, mit einem jener plötz¬
lichen Übergänge, die ihm nach und nach eigentümlich geworden waren; jedes
Geschlecht stirbt aus, wenn es keine Aufgaben mehr zu erfüllen hat. Na, ich
bin ja im übrigen ein glücklicher Mann, glücklicher als die allermeisten —
aber weshalb bin ichs! Welchen Nutzen schaffe ich im Leben? Keinen! Ja,
ich schütze meine Entenmoore in der Brütezeit und schieße die räuberischen
Habichte nieder, aber das ist auch alles, und das ist doch nicht Grund genug,
daß ich auf der Lichtseite des Daseins lebe!

Dann thue etwas Nützliches! erwiderte ich.

Aber was? Es giebt nichts, was ein andrer nicht ebenso gut oder noch
besser thun könnte als ich! Soll ich Reichstagsmann werden? Ich bin schon
auf dem besten. Wege dazu, denn sie haben mich bei der letzten Sitzung zum
Gemeinderat gewählt, nur weil ich das bischen Krankenkasse eingerichtet und eine
Privatschule errichtet habe, die für das kleine Präliminarexamen reif macht.

Davon weiß ich ja nicht das geringste.

O, es ist ja nicht der Rede wert. Ja, Hütte ich einen Sohn, den ich
nach dem alten Grundsatz erziehen könnte: „Fürchte Gott und ehre den König,"
und der einmal meinen Platz ausfüllen könnte, wenn ich weg bin — und dann
hoffentlich besser als ich! — ja, dann wollte ich, so lächerlich es vielleicht dir
und andern vorkommen mag, doch annehmen, daß ich eine gewisse alio vivvncii
hätte. Aber so —

So heirate! sagte ich, das ist doch immer eine Art Anfang!

Dn kennst meine Ansicht, antwortete er. Wenn ich das, was man Liebe
nennt, sühlen soll, so muß irgend etwas geschehen, etwas Wunderbares, etwas,
das mir sagte, daß sie und ich ursprünglich zusammengehörten oder gemeinsam
aneinandergekettet seien durch einen der vielen unsichtbaren Fäden des Daseins,
den, mit dem es einem geht, wie mit dem „Mariengarn" im Spätherbst: man


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/208278"/>
          <fw type="header" place="top"> llatan»</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_968" prev="#ID_967"> kann man keine Rechenschaft ablegen. Ich würde aber dieselbe Zufriedenheit<lb/>
über einen solchen Beweis empfinden, wie wenn ich Iraxg, imtM8 fände.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_969"> Es scheint, daß dieses Geschlecht hier zu Lande auch ausgestorben ist,<lb/>
sagte ich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_970"> Ich fange selbst an, es zu glauben, antwortete er, wenigstens habe ich<lb/>
es trotz alles Fleißes nicht auffinden können; ich habe es aber nicht auf¬<lb/>
gegeben&#x2014;man giebt es doch nicht auf, seine &#x201E;blaue Blume" zu finden! fügte<lb/>
er lächelnd hinzu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_971"> Aber deine Kousine in der Gegend von Asiens, die hast du wohl auf¬<lb/>
gegeben ?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_972"> Nein, aber sie vermutlich mich, denn sie hat sich kürzlich verheiratet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_973"> Was wird denn aber dann mit dem Häuflein kleiner Blaus? das Geschlecht<lb/>
darf doch nicht aussterben!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_974"> Ach das eilt nicht! Aber es kann ja sein, daß die Zeit der Blaus ebenso<lb/>
vorüber ist, wie die der Trapas, fuhr er ernsthaft fort, mit einem jener plötz¬<lb/>
lichen Übergänge, die ihm nach und nach eigentümlich geworden waren; jedes<lb/>
Geschlecht stirbt aus, wenn es keine Aufgaben mehr zu erfüllen hat. Na, ich<lb/>
bin ja im übrigen ein glücklicher Mann, glücklicher als die allermeisten &#x2014;<lb/>
aber weshalb bin ichs! Welchen Nutzen schaffe ich im Leben? Keinen! Ja,<lb/>
ich schütze meine Entenmoore in der Brütezeit und schieße die räuberischen<lb/>
Habichte nieder, aber das ist auch alles, und das ist doch nicht Grund genug,<lb/>
daß ich auf der Lichtseite des Daseins lebe!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_975"> Dann thue etwas Nützliches! erwiderte ich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_976"> Aber was? Es giebt nichts, was ein andrer nicht ebenso gut oder noch<lb/>
besser thun könnte als ich! Soll ich Reichstagsmann werden? Ich bin schon<lb/>
auf dem besten. Wege dazu, denn sie haben mich bei der letzten Sitzung zum<lb/>
Gemeinderat gewählt, nur weil ich das bischen Krankenkasse eingerichtet und eine<lb/>
Privatschule errichtet habe, die für das kleine Präliminarexamen reif macht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_977"> Davon weiß ich ja nicht das geringste.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_978"> O, es ist ja nicht der Rede wert. Ja, Hütte ich einen Sohn, den ich<lb/>
nach dem alten Grundsatz erziehen könnte: &#x201E;Fürchte Gott und ehre den König,"<lb/>
und der einmal meinen Platz ausfüllen könnte, wenn ich weg bin &#x2014; und dann<lb/>
hoffentlich besser als ich! &#x2014; ja, dann wollte ich, so lächerlich es vielleicht dir<lb/>
und andern vorkommen mag, doch annehmen, daß ich eine gewisse alio vivvncii<lb/>
hätte.  Aber so &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_979"> So heirate! sagte ich, das ist doch immer eine Art Anfang!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_980" next="#ID_981"> Dn kennst meine Ansicht, antwortete er. Wenn ich das, was man Liebe<lb/>
nennt, sühlen soll, so muß irgend etwas geschehen, etwas Wunderbares, etwas,<lb/>
das mir sagte, daß sie und ich ursprünglich zusammengehörten oder gemeinsam<lb/>
aneinandergekettet seien durch einen der vielen unsichtbaren Fäden des Daseins,<lb/>
den, mit dem es einem geht, wie mit dem &#x201E;Mariengarn" im Spätherbst: man</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0341] llatan» kann man keine Rechenschaft ablegen. Ich würde aber dieselbe Zufriedenheit über einen solchen Beweis empfinden, wie wenn ich Iraxg, imtM8 fände. Es scheint, daß dieses Geschlecht hier zu Lande auch ausgestorben ist, sagte ich. Ich fange selbst an, es zu glauben, antwortete er, wenigstens habe ich es trotz alles Fleißes nicht auffinden können; ich habe es aber nicht auf¬ gegeben—man giebt es doch nicht auf, seine „blaue Blume" zu finden! fügte er lächelnd hinzu. Aber deine Kousine in der Gegend von Asiens, die hast du wohl auf¬ gegeben ? Nein, aber sie vermutlich mich, denn sie hat sich kürzlich verheiratet. Was wird denn aber dann mit dem Häuflein kleiner Blaus? das Geschlecht darf doch nicht aussterben! Ach das eilt nicht! Aber es kann ja sein, daß die Zeit der Blaus ebenso vorüber ist, wie die der Trapas, fuhr er ernsthaft fort, mit einem jener plötz¬ lichen Übergänge, die ihm nach und nach eigentümlich geworden waren; jedes Geschlecht stirbt aus, wenn es keine Aufgaben mehr zu erfüllen hat. Na, ich bin ja im übrigen ein glücklicher Mann, glücklicher als die allermeisten — aber weshalb bin ichs! Welchen Nutzen schaffe ich im Leben? Keinen! Ja, ich schütze meine Entenmoore in der Brütezeit und schieße die räuberischen Habichte nieder, aber das ist auch alles, und das ist doch nicht Grund genug, daß ich auf der Lichtseite des Daseins lebe! Dann thue etwas Nützliches! erwiderte ich. Aber was? Es giebt nichts, was ein andrer nicht ebenso gut oder noch besser thun könnte als ich! Soll ich Reichstagsmann werden? Ich bin schon auf dem besten. Wege dazu, denn sie haben mich bei der letzten Sitzung zum Gemeinderat gewählt, nur weil ich das bischen Krankenkasse eingerichtet und eine Privatschule errichtet habe, die für das kleine Präliminarexamen reif macht. Davon weiß ich ja nicht das geringste. O, es ist ja nicht der Rede wert. Ja, Hütte ich einen Sohn, den ich nach dem alten Grundsatz erziehen könnte: „Fürchte Gott und ehre den König," und der einmal meinen Platz ausfüllen könnte, wenn ich weg bin — und dann hoffentlich besser als ich! — ja, dann wollte ich, so lächerlich es vielleicht dir und andern vorkommen mag, doch annehmen, daß ich eine gewisse alio vivvncii hätte. Aber so — So heirate! sagte ich, das ist doch immer eine Art Anfang! Dn kennst meine Ansicht, antwortete er. Wenn ich das, was man Liebe nennt, sühlen soll, so muß irgend etwas geschehen, etwas Wunderbares, etwas, das mir sagte, daß sie und ich ursprünglich zusammengehörten oder gemeinsam aneinandergekettet seien durch einen der vielen unsichtbaren Fäden des Daseins, den, mit dem es einem geht, wie mit dem „Mariengarn" im Spätherbst: man

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/341
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/341>, abgerufen am 11.05.2024.