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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Der Wegfall des Sozialistengesetzes

wurde Über das zu gewährende Maß persönlicher Freiheit und das Maß der
Teilnahme an der Herrschaft im Staate zwischen den Parteien gestritten. Dem
entsprachen auch die Gesetze, die zum Schutze der Rechtsordnung gegeben
wurden, und die zur Handhabung dieser Gesetze angeordneten Mittel. Man
rechnete immer nur mit einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von solchen, die
durch Ausschreitungen die Rechtsordnung stören würden. Gegen diese konnte
das repressive System der gerichtlichen Bestrafung sür vollkommen ausreichend
erachtet werden. An das große Verbrechen einer großen Verschwörung gegen
den ganzen Bestand der Gesellschaft wurde dabei nicht gedacht.

Nun ist aber die seitdem herangewachsene Sozialdemokratie nichts andres,
als eine solche Verschwörung. Wir nennen sie ein Verbrechen, weil sie ver¬
brecherisch ist in ihren Zielen und in ihren Mitteln. Ihr Ziel, der sozialistische
Staat, wie ihn sich die Phantasie ihrer Führer ausmalt, ist ein Unding, das
nur zur Auflösung jeder Rechtsordnung führen könnte. Das nächste Mittel
aber, das zur Verwirklichung dieses Zieles in Gang gesetzt werden müßte,
würde in der Beraubung aller Besitzenden bestehen.

Wenn man nun auch annehmen will, daß die sozialdemokratischen Führer
wirklich an die Möglichkeit eines sozialistischen Staates als eines Wohlthäters
für alle glauben, so glauben sie doch sicherlich nicht daran, dieses Ziel auf
dem Wege friedlicher Entwicklung erreichen zu könne". Vielmehr sind sie
sich vollkommen bewußt, daß nur die Gewalt ihnen die Mittel für ihr Ziel
gewähren kann. Die sozialdemokratische Partei ist hiernach ihrer innersten
Natur nach eine revolutionäre Partei, und es ist dabei ganz einerlei, ob die
Führer -- wie dies noch jüngst von einem einzelnen geschehen ist das
offen eingestehen, oder ob sie diesen Charakter ihrer Partei mit allerhand
Phrasen zu verleugnen suchen.

Nichts ist irriger, als zu glauben, daß durch öffentliche Erörterungen die
große Masse der Sozialdemokraten über das Unsinnige der sozialistischen Lehre
aufgeklärt und von ihren Führern abgezogen werden könnte. Die Theorien von
Marx und Lassalle versteht die Masse der Arbeiter nicht. Aber sie versteht,
wenn ihre Führer ihnen sagen: "Seht, dn sitzen Menschen, die Austern essen
und Champagner trinken, die in reichen Equipagen fahren und jeder Üppigkeit
fröhnen. Ihr aber, ihr Arbeiter, müßt mit euerm snnern Schweiß dies alles
anschaffen. Sie verzehren, was ihr verdient habt." Das ist eine Logik, durch
die sich der gemeine Mann leicht fangen läßt. Und wenn dann weiter die
Führer sagen: "Wir haben ein System entdeckt, wonach alles anders sein könnte
und jeder Arbeiter vollauf zu leben hätte. Nur die bösen Bourgeois lassen
es nicht zu, daß wir dieses System ins Leben rufen. Verhelft uns zur Gewalt,
dann sollt ihr sehen, wie es euch besser geht" warum sollten da nicht Un¬
zählige sagen: "Jawohl, U'ir glauben a>l dieses System" ? Sie glauben daran,
nicht weil sie es verstehen, sondern weil es sie nach dein, was ihnen verheißen


Der Wegfall des Sozialistengesetzes

wurde Über das zu gewährende Maß persönlicher Freiheit und das Maß der
Teilnahme an der Herrschaft im Staate zwischen den Parteien gestritten. Dem
entsprachen auch die Gesetze, die zum Schutze der Rechtsordnung gegeben
wurden, und die zur Handhabung dieser Gesetze angeordneten Mittel. Man
rechnete immer nur mit einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von solchen, die
durch Ausschreitungen die Rechtsordnung stören würden. Gegen diese konnte
das repressive System der gerichtlichen Bestrafung sür vollkommen ausreichend
erachtet werden. An das große Verbrechen einer großen Verschwörung gegen
den ganzen Bestand der Gesellschaft wurde dabei nicht gedacht.

Nun ist aber die seitdem herangewachsene Sozialdemokratie nichts andres,
als eine solche Verschwörung. Wir nennen sie ein Verbrechen, weil sie ver¬
brecherisch ist in ihren Zielen und in ihren Mitteln. Ihr Ziel, der sozialistische
Staat, wie ihn sich die Phantasie ihrer Führer ausmalt, ist ein Unding, das
nur zur Auflösung jeder Rechtsordnung führen könnte. Das nächste Mittel
aber, das zur Verwirklichung dieses Zieles in Gang gesetzt werden müßte,
würde in der Beraubung aller Besitzenden bestehen.

Wenn man nun auch annehmen will, daß die sozialdemokratischen Führer
wirklich an die Möglichkeit eines sozialistischen Staates als eines Wohlthäters
für alle glauben, so glauben sie doch sicherlich nicht daran, dieses Ziel auf
dem Wege friedlicher Entwicklung erreichen zu könne». Vielmehr sind sie
sich vollkommen bewußt, daß nur die Gewalt ihnen die Mittel für ihr Ziel
gewähren kann. Die sozialdemokratische Partei ist hiernach ihrer innersten
Natur nach eine revolutionäre Partei, und es ist dabei ganz einerlei, ob die
Führer — wie dies noch jüngst von einem einzelnen geschehen ist das
offen eingestehen, oder ob sie diesen Charakter ihrer Partei mit allerhand
Phrasen zu verleugnen suchen.

Nichts ist irriger, als zu glauben, daß durch öffentliche Erörterungen die
große Masse der Sozialdemokraten über das Unsinnige der sozialistischen Lehre
aufgeklärt und von ihren Führern abgezogen werden könnte. Die Theorien von
Marx und Lassalle versteht die Masse der Arbeiter nicht. Aber sie versteht,
wenn ihre Führer ihnen sagen: „Seht, dn sitzen Menschen, die Austern essen
und Champagner trinken, die in reichen Equipagen fahren und jeder Üppigkeit
fröhnen. Ihr aber, ihr Arbeiter, müßt mit euerm snnern Schweiß dies alles
anschaffen. Sie verzehren, was ihr verdient habt." Das ist eine Logik, durch
die sich der gemeine Mann leicht fangen läßt. Und wenn dann weiter die
Führer sagen: „Wir haben ein System entdeckt, wonach alles anders sein könnte
und jeder Arbeiter vollauf zu leben hätte. Nur die bösen Bourgeois lassen
es nicht zu, daß wir dieses System ins Leben rufen. Verhelft uns zur Gewalt,
dann sollt ihr sehen, wie es euch besser geht" warum sollten da nicht Un¬
zählige sagen: „Jawohl, U'ir glauben a>l dieses System" ? Sie glauben daran,
nicht weil sie es verstehen, sondern weil es sie nach dein, was ihnen verheißen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/346>, abgerufen am 13.05.2024.