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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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einem Arbeitshause unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu ver¬
wenden. In der Praxis wird regelmäßig die Unterbringung in einem Arbeits¬
hause angeordnet, wohl weil der Bestrafte sonst sich zu leicht dnrch die Flucht
dem Arbeitszwang entziehen konnte.

Die Überweisung wird als Nebenstrafe, die infolge derselben angeordnete
Unterbringung in einem Arbeitshause als Zucht- und Besserungsmittel auf¬
gefaßt. Es ist wohl allgemein bekannt, daß die Vagabunden vor dem Arbeits¬
hause großen Respekt haben. Ist doch der bei wiederholtem Rückfall schließlich
ans Jahre angeordnete Aufenthalt in dein Arbeitshause, wo strengste Zucht
und Zwang zu anstrengender Arbeit herrscht, in seiner Wirkung einer mehr¬
jährigen Gefängnis- oder sogar Zuchthausstrafe sehr ähnlich.

Ist aber diese Nebenstrafe so wirksam, warum macht man sie dann nicht
unter Wegfall der bisherigen Hauptstrafe, die vielfach ein Schlag in die Luft
ist, zur Hauptstrafe und versucht im Anschluß daran die Einfiihrnng einer
andern Nebenstrafe?

Es kommt aber noch ein andrer Umstand in Betracht. In die Arbeits¬
häuser werden mir arbeitsfähige Personen aufgenommen. Ist die Arbeits¬
fähigkeit des Überwiesenen beschränkt, so hat die Überweisung keine weitere
Folge. Eine nur beschränkt arbeitsfähige Person kann also unbegrenzt betteln
und landstreichen, ohne jemals eine empfindliche Strafe zu erhalten und ohne
dauernd von diesen Übertretungen abgehalten zu werden. Es ist nun nicht
zu verkennen, daß die Frage, inwieweit die in Rede stehenden Übertretungen
von nicht völlig arbeitsfähigen Personen aus Übermut oder inwieweit sie aus
wirklicher bitterer Not begangen werden, im einzelnen Fall schwer zu beurteilen
ist und daß etwaige Straf- und Vvrbeugungsnmßregeln sich vielfach mit der
öffentlichen Armenpflege berühren werden. So schwierig aber auch hierdurch
die Einführung wirklich praktischer und wirkungsvoller Maßregeln wird, in
zwei Richtungen müßte unsrer Ansicht nach vorgegangen werden.

Zur Zeit haben die Armenverbände das dringende Interesse, unterstützungs¬
bedürftige Personen, zu deren Erhaltung sie gesetzlich verpflichtet sind, möglichst
viel außerhalb des Armenverbandes, also auf Reisen oder in irgend einem
Gefängnis oder Arbeitshaus zu wissen; sind sie doch so lange ihrer Ilnter-
haltungspflicht enthoben. Anderseits besteht kein Mittel, teilweise oder ganz
erwerbsunfähige Personen in dem Bezirk ihres Armenverbandes festzuhalten.
Es muß also ein gegenseitig fesselndes Band zwischen Armenverband und
Ortsarmen geschaffen werden, erstens dadurch, daß mau die Kosten der Voll¬
streckung einer Strafe, die wegen einer Übertretung der in Rede stehenden Art
erkannt ist, dem Armenverband zur Last legt, zweitens dadurch, daß man den
Armen zwingt, in der nnterstütznngspflichtigen Gemeinde zu bleiben und die
ihm aufgetragenen, seinen Kräften angemessenen Arbeiten zu verrichten. Ein
Zwang zu diese" Arbeiten besteht teilweise schon jetzt (vgl. § 361 Ur. 7 des


einem Arbeitshause unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu ver¬
wenden. In der Praxis wird regelmäßig die Unterbringung in einem Arbeits¬
hause angeordnet, wohl weil der Bestrafte sonst sich zu leicht dnrch die Flucht
dem Arbeitszwang entziehen konnte.

Die Überweisung wird als Nebenstrafe, die infolge derselben angeordnete
Unterbringung in einem Arbeitshause als Zucht- und Besserungsmittel auf¬
gefaßt. Es ist wohl allgemein bekannt, daß die Vagabunden vor dem Arbeits¬
hause großen Respekt haben. Ist doch der bei wiederholtem Rückfall schließlich
ans Jahre angeordnete Aufenthalt in dein Arbeitshause, wo strengste Zucht
und Zwang zu anstrengender Arbeit herrscht, in seiner Wirkung einer mehr¬
jährigen Gefängnis- oder sogar Zuchthausstrafe sehr ähnlich.

Ist aber diese Nebenstrafe so wirksam, warum macht man sie dann nicht
unter Wegfall der bisherigen Hauptstrafe, die vielfach ein Schlag in die Luft
ist, zur Hauptstrafe und versucht im Anschluß daran die Einfiihrnng einer
andern Nebenstrafe?

Es kommt aber noch ein andrer Umstand in Betracht. In die Arbeits¬
häuser werden mir arbeitsfähige Personen aufgenommen. Ist die Arbeits¬
fähigkeit des Überwiesenen beschränkt, so hat die Überweisung keine weitere
Folge. Eine nur beschränkt arbeitsfähige Person kann also unbegrenzt betteln
und landstreichen, ohne jemals eine empfindliche Strafe zu erhalten und ohne
dauernd von diesen Übertretungen abgehalten zu werden. Es ist nun nicht
zu verkennen, daß die Frage, inwieweit die in Rede stehenden Übertretungen
von nicht völlig arbeitsfähigen Personen aus Übermut oder inwieweit sie aus
wirklicher bitterer Not begangen werden, im einzelnen Fall schwer zu beurteilen
ist und daß etwaige Straf- und Vvrbeugungsnmßregeln sich vielfach mit der
öffentlichen Armenpflege berühren werden. So schwierig aber auch hierdurch
die Einführung wirklich praktischer und wirkungsvoller Maßregeln wird, in
zwei Richtungen müßte unsrer Ansicht nach vorgegangen werden.

Zur Zeit haben die Armenverbände das dringende Interesse, unterstützungs¬
bedürftige Personen, zu deren Erhaltung sie gesetzlich verpflichtet sind, möglichst
viel außerhalb des Armenverbandes, also auf Reisen oder in irgend einem
Gefängnis oder Arbeitshaus zu wissen; sind sie doch so lange ihrer Ilnter-
haltungspflicht enthoben. Anderseits besteht kein Mittel, teilweise oder ganz
erwerbsunfähige Personen in dem Bezirk ihres Armenverbandes festzuhalten.
Es muß also ein gegenseitig fesselndes Band zwischen Armenverband und
Ortsarmen geschaffen werden, erstens dadurch, daß mau die Kosten der Voll¬
streckung einer Strafe, die wegen einer Übertretung der in Rede stehenden Art
erkannt ist, dem Armenverband zur Last legt, zweitens dadurch, daß man den
Armen zwingt, in der nnterstütznngspflichtigen Gemeinde zu bleiben und die
ihm aufgetragenen, seinen Kräften angemessenen Arbeiten zu verrichten. Ein
Zwang zu diese» Arbeiten besteht teilweise schon jetzt (vgl. § 361 Ur. 7 des


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[0043] einem Arbeitshause unterzubringen oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu ver¬ wenden. In der Praxis wird regelmäßig die Unterbringung in einem Arbeits¬ hause angeordnet, wohl weil der Bestrafte sonst sich zu leicht dnrch die Flucht dem Arbeitszwang entziehen konnte. Die Überweisung wird als Nebenstrafe, die infolge derselben angeordnete Unterbringung in einem Arbeitshause als Zucht- und Besserungsmittel auf¬ gefaßt. Es ist wohl allgemein bekannt, daß die Vagabunden vor dem Arbeits¬ hause großen Respekt haben. Ist doch der bei wiederholtem Rückfall schließlich ans Jahre angeordnete Aufenthalt in dein Arbeitshause, wo strengste Zucht und Zwang zu anstrengender Arbeit herrscht, in seiner Wirkung einer mehr¬ jährigen Gefängnis- oder sogar Zuchthausstrafe sehr ähnlich. Ist aber diese Nebenstrafe so wirksam, warum macht man sie dann nicht unter Wegfall der bisherigen Hauptstrafe, die vielfach ein Schlag in die Luft ist, zur Hauptstrafe und versucht im Anschluß daran die Einfiihrnng einer andern Nebenstrafe? Es kommt aber noch ein andrer Umstand in Betracht. In die Arbeits¬ häuser werden mir arbeitsfähige Personen aufgenommen. Ist die Arbeits¬ fähigkeit des Überwiesenen beschränkt, so hat die Überweisung keine weitere Folge. Eine nur beschränkt arbeitsfähige Person kann also unbegrenzt betteln und landstreichen, ohne jemals eine empfindliche Strafe zu erhalten und ohne dauernd von diesen Übertretungen abgehalten zu werden. Es ist nun nicht zu verkennen, daß die Frage, inwieweit die in Rede stehenden Übertretungen von nicht völlig arbeitsfähigen Personen aus Übermut oder inwieweit sie aus wirklicher bitterer Not begangen werden, im einzelnen Fall schwer zu beurteilen ist und daß etwaige Straf- und Vvrbeugungsnmßregeln sich vielfach mit der öffentlichen Armenpflege berühren werden. So schwierig aber auch hierdurch die Einführung wirklich praktischer und wirkungsvoller Maßregeln wird, in zwei Richtungen müßte unsrer Ansicht nach vorgegangen werden. Zur Zeit haben die Armenverbände das dringende Interesse, unterstützungs¬ bedürftige Personen, zu deren Erhaltung sie gesetzlich verpflichtet sind, möglichst viel außerhalb des Armenverbandes, also auf Reisen oder in irgend einem Gefängnis oder Arbeitshaus zu wissen; sind sie doch so lange ihrer Ilnter- haltungspflicht enthoben. Anderseits besteht kein Mittel, teilweise oder ganz erwerbsunfähige Personen in dem Bezirk ihres Armenverbandes festzuhalten. Es muß also ein gegenseitig fesselndes Band zwischen Armenverband und Ortsarmen geschaffen werden, erstens dadurch, daß mau die Kosten der Voll¬ streckung einer Strafe, die wegen einer Übertretung der in Rede stehenden Art erkannt ist, dem Armenverband zur Last legt, zweitens dadurch, daß man den Armen zwingt, in der nnterstütznngspflichtigen Gemeinde zu bleiben und die ihm aufgetragenen, seinen Kräften angemessenen Arbeiten zu verrichten. Ein Zwang zu diese» Arbeiten besteht teilweise schon jetzt (vgl. § 361 Ur. 7 des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/43>, abgerufen am 19.05.2024.