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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Fünf Briefe Schopenhauers

immer leichte Laudpfarreien zu verwalten und wandte seine ganze Zeit an die
Wissenschaft. Von morgens vier Uhr bis spät in die Nacht hinein saß er bei
seinen geliebten Büchern. Seine große Bibliothek zeigt, wie gründlich er sich in
allen Gebieten des Wissens umgesehn hat. Nicht bloß die Theologie, auch die
Philologie, die Geschichte, die Naturwissenschaft und besonders die Philosophie
gaben seinem Geiste Nahrung, wie die betreffenden, mit seinen Randbemerkungen
versehenen Werke heute noch zeigen. In der Theologie war Schleiermacher
sein Meister, in der Philosophie hatte ihn nach und nach Schopenhauer in den
Kreis seiner Vorstellungen gezogen. Lange schon vor Frauenstädts Briefen
hatte er sich mit seiner "Welt als Wille und Vorstellung" vertraut gemacht,
auch mit ihren Tiefen und Abgründen. Schon am 12. Februar 1834 hat er
dem damals noch ziemlich unbekannten Weisen ein huldigendes Gedicht ge¬
widmet. Aber er war ein starker, selbständiger Geist; er bewahrte auch seiue
Selbständigkeit der Philosophie Schopenhauers gegenüber, wie gegenüber allen
geistigen Bewegungen seiner an mächtigen geistigen Bewegungen so reichen
Zeit. Die Eigenart seines Geistes wird am besten aus einem Hefte vou Epi¬
grammen erkannt, gedichtet in der Art der Genien, das in den weiter unten
folgenden Briefen öfters genannt wird. Ein kleiner Teil der Epigramme er¬
schien in dem heute vergessenen Frankfurter Museum. Sie fanden Schopen¬
hauers warmen Beifall, und darum möge eine kleine Anzahl auch der nicht
an Schopenhauer gerichtete" hier folge". In der Form lassen sie manches zu
wünschen übrig.


Schleiermacher
Im Kleinen zu bekämpfen,
Im Großen nicht zu dämpfen;
Er ist euch allen überleben,
Ihr jungen und ihr alten Degen.

Eher brechen die Eichen, als dn brichst an der Spree.
Mntvoll bleibst du beim Rufe: Wedel Wehe dir! Weh!

Dein Morgenlicht, es scheint herein so schön in unsre Nacht,
Wie wird es einst am Abend sein, wenn du dem Werk vollbracht?

Was er Großes vollbracht.
Lassen sie ganz außer Acht,
So wird die Nachwelt ermesse",
Was die Mitwelt vergessen.

Was das Genie geschaffen,
Kümmerte nie die Lassen.

Zu dem ernsten Calvin und dein heitern Zwingli der Dritte
Ist er ein leuchtender Stern ferner Jahrhunderte noch.


Fünf Briefe Schopenhauers

immer leichte Laudpfarreien zu verwalten und wandte seine ganze Zeit an die
Wissenschaft. Von morgens vier Uhr bis spät in die Nacht hinein saß er bei
seinen geliebten Büchern. Seine große Bibliothek zeigt, wie gründlich er sich in
allen Gebieten des Wissens umgesehn hat. Nicht bloß die Theologie, auch die
Philologie, die Geschichte, die Naturwissenschaft und besonders die Philosophie
gaben seinem Geiste Nahrung, wie die betreffenden, mit seinen Randbemerkungen
versehenen Werke heute noch zeigen. In der Theologie war Schleiermacher
sein Meister, in der Philosophie hatte ihn nach und nach Schopenhauer in den
Kreis seiner Vorstellungen gezogen. Lange schon vor Frauenstädts Briefen
hatte er sich mit seiner „Welt als Wille und Vorstellung" vertraut gemacht,
auch mit ihren Tiefen und Abgründen. Schon am 12. Februar 1834 hat er
dem damals noch ziemlich unbekannten Weisen ein huldigendes Gedicht ge¬
widmet. Aber er war ein starker, selbständiger Geist; er bewahrte auch seiue
Selbständigkeit der Philosophie Schopenhauers gegenüber, wie gegenüber allen
geistigen Bewegungen seiner an mächtigen geistigen Bewegungen so reichen
Zeit. Die Eigenart seines Geistes wird am besten aus einem Hefte vou Epi¬
grammen erkannt, gedichtet in der Art der Genien, das in den weiter unten
folgenden Briefen öfters genannt wird. Ein kleiner Teil der Epigramme er¬
schien in dem heute vergessenen Frankfurter Museum. Sie fanden Schopen¬
hauers warmen Beifall, und darum möge eine kleine Anzahl auch der nicht
an Schopenhauer gerichtete» hier folge». In der Form lassen sie manches zu
wünschen übrig.


Schleiermacher
Im Kleinen zu bekämpfen,
Im Großen nicht zu dämpfen;
Er ist euch allen überleben,
Ihr jungen und ihr alten Degen.

Eher brechen die Eichen, als dn brichst an der Spree.
Mntvoll bleibst du beim Rufe: Wedel Wehe dir! Weh!

Dein Morgenlicht, es scheint herein so schön in unsre Nacht,
Wie wird es einst am Abend sein, wenn du dem Werk vollbracht?

Was er Großes vollbracht.
Lassen sie ganz außer Acht,
So wird die Nachwelt ermesse»,
Was die Mitwelt vergessen.

Was das Genie geschaffen,
Kümmerte nie die Lassen.

Zu dem ernsten Calvin und dein heitern Zwingli der Dritte
Ist er ein leuchtender Stern ferner Jahrhunderte noch.


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[0507] Fünf Briefe Schopenhauers immer leichte Laudpfarreien zu verwalten und wandte seine ganze Zeit an die Wissenschaft. Von morgens vier Uhr bis spät in die Nacht hinein saß er bei seinen geliebten Büchern. Seine große Bibliothek zeigt, wie gründlich er sich in allen Gebieten des Wissens umgesehn hat. Nicht bloß die Theologie, auch die Philologie, die Geschichte, die Naturwissenschaft und besonders die Philosophie gaben seinem Geiste Nahrung, wie die betreffenden, mit seinen Randbemerkungen versehenen Werke heute noch zeigen. In der Theologie war Schleiermacher sein Meister, in der Philosophie hatte ihn nach und nach Schopenhauer in den Kreis seiner Vorstellungen gezogen. Lange schon vor Frauenstädts Briefen hatte er sich mit seiner „Welt als Wille und Vorstellung" vertraut gemacht, auch mit ihren Tiefen und Abgründen. Schon am 12. Februar 1834 hat er dem damals noch ziemlich unbekannten Weisen ein huldigendes Gedicht ge¬ widmet. Aber er war ein starker, selbständiger Geist; er bewahrte auch seiue Selbständigkeit der Philosophie Schopenhauers gegenüber, wie gegenüber allen geistigen Bewegungen seiner an mächtigen geistigen Bewegungen so reichen Zeit. Die Eigenart seines Geistes wird am besten aus einem Hefte vou Epi¬ grammen erkannt, gedichtet in der Art der Genien, das in den weiter unten folgenden Briefen öfters genannt wird. Ein kleiner Teil der Epigramme er¬ schien in dem heute vergessenen Frankfurter Museum. Sie fanden Schopen¬ hauers warmen Beifall, und darum möge eine kleine Anzahl auch der nicht an Schopenhauer gerichtete» hier folge». In der Form lassen sie manches zu wünschen übrig. Schleiermacher Im Kleinen zu bekämpfen, Im Großen nicht zu dämpfen; Er ist euch allen überleben, Ihr jungen und ihr alten Degen. Eher brechen die Eichen, als dn brichst an der Spree. Mntvoll bleibst du beim Rufe: Wedel Wehe dir! Weh! Dein Morgenlicht, es scheint herein so schön in unsre Nacht, Wie wird es einst am Abend sein, wenn du dem Werk vollbracht? Was er Großes vollbracht. Lassen sie ganz außer Acht, So wird die Nachwelt ermesse», Was die Mitwelt vergessen. Was das Genie geschaffen, Kümmerte nie die Lassen. Zu dem ernsten Calvin und dein heitern Zwingli der Dritte Ist er ein leuchtender Stern ferner Jahrhunderte noch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/507>, abgerufen am 12.05.2024.