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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Gin Jamiskopf

der Kirche beim Jubiläum des heiligen Vaters eine Freude zu machen, und
wenn er für diesen Fall seine Dienste zur Verfügung stellt, Döllinger ant¬
wortet diesmal mit auffälliger Schürfe, Die Kirchenzucht sei in Deutschland
so lax, daß er, wenn er gewollt hätte, ohne Furcht vor Strafe zahlreiche
Übelthaten hätte begehen können; aber als er sich geweigert habe, seinen alten
Glauben zu verleugnen und sich den neuen Dogmen zu unterwerfen, da sei
das als ein unerhörtes Verbreche" mit dem Bann bestraft worden, der nach
kirchlicher Anschauung die Todesstrafe an Schwere übertreffe. Und so sehr
sei das Volk gegen ihn aufgehetzt worden, "daß der Polizeipräsident mich be¬
nachrichtigen ließ, es seien Attentate gegen meine Person im Werke, und ich
wurde gut daran thun, nicht ohne Begleitung auszugehen." Wollte er jetzt
sein ganzes langes Leben verleugnen, so würde die ganze Welt sagen, daß er
entweder aus Altersschwäche kindisch geworden sei, oder daß er jetzt lüge, oder
daß er früher gelogen habe. Der Nuntius erwidert darauf dem "sehr er¬
lauchten Professor," seiue Vereinsamung müsse ihm doch klar machen, daß er
Unrecht habe; die Masse der Gläubige,: werde bei seiner Bekehrung nichts als
Freude empfinden, und was einige Schafköpfe (wibsvilsL) sagten, daraus
brauche er sich nichts zu machen, die werde man sofort zur Ordnung verweisen.
In demselben Sinne, wenn auch natürlich in ganz andern: Tone wie die Dame
und der Italiener, wendet sich sogar der gute Hefele 1886 noch einmal an
seinen alten Freund. In dieser Macht der katholischen Kirche über die Ge¬
müter derer, die ihr einmal aufrichtig angehört haben, liegt möglicherweise die
Lösung des psychologischen Rätsels, das Döllinger der denkenden Welt auf¬
gegeben hat. Durch erheuchelte Unterwerfung dem Übel der äußern Trennung
von dieser Kirche zu entgehen, das gestattete sein Gelehrtengewissen nicht, das
bei ihm stärker war als der kirchliche Sinn. Mit Entrüstung weist er die
wiederholt verbreitete fromme Verleumdung zurück, er habe sich unterworfen.
"Ich werde mein Alter nicht mit einer Lüge vor Gott und den Menschen ent¬
ehren, dessen können Sie gewiß sein," schreibt er 1878 an einen Altkatholiken
in Dortmund. Aber an jene unsichtbare Kirche, die er als Ideal in seinem
Herzen, vielleicht würden wir richtiger sagen in seinem Kopfe trug, klammerte
er sich bis zum letzten Atemzuge mit allen Fasern seiner Seele an; obwohl
er dreißig Jahre früher an jedem andern den Versuch, nach Hnssens und
Wielifs Weise die wirkliche Kirche vom Standpunkte der Jdealkirche aus zu
bekämpfen, als eine schon vor vierhundert Jahren durch Wissenschaft und
Leben widerlegte Thorheit mit beißendem Spott gegeißelt haben würde.

Wie die übrigen Dinge dieser Welt, so steht auch die römische Kirche
nicht auf einem einzelnen "Prinzip." Führt man irgendwo ein einzelnes Prinzip
mit unerbittlicher Folgerichtigkeit durch, so kommt allemal ein Widersinn her¬
aus; so ist es der katholischen Kirche 1870 mit ihrem Autoritätsprinzip ergangen,
und darum sahen sich damals diejenigen ihrer Söhne zum Ausscheiden ge-


Gin Jamiskopf

der Kirche beim Jubiläum des heiligen Vaters eine Freude zu machen, und
wenn er für diesen Fall seine Dienste zur Verfügung stellt, Döllinger ant¬
wortet diesmal mit auffälliger Schürfe, Die Kirchenzucht sei in Deutschland
so lax, daß er, wenn er gewollt hätte, ohne Furcht vor Strafe zahlreiche
Übelthaten hätte begehen können; aber als er sich geweigert habe, seinen alten
Glauben zu verleugnen und sich den neuen Dogmen zu unterwerfen, da sei
das als ein unerhörtes Verbreche» mit dem Bann bestraft worden, der nach
kirchlicher Anschauung die Todesstrafe an Schwere übertreffe. Und so sehr
sei das Volk gegen ihn aufgehetzt worden, „daß der Polizeipräsident mich be¬
nachrichtigen ließ, es seien Attentate gegen meine Person im Werke, und ich
wurde gut daran thun, nicht ohne Begleitung auszugehen." Wollte er jetzt
sein ganzes langes Leben verleugnen, so würde die ganze Welt sagen, daß er
entweder aus Altersschwäche kindisch geworden sei, oder daß er jetzt lüge, oder
daß er früher gelogen habe. Der Nuntius erwidert darauf dem „sehr er¬
lauchten Professor," seiue Vereinsamung müsse ihm doch klar machen, daß er
Unrecht habe; die Masse der Gläubige,: werde bei seiner Bekehrung nichts als
Freude empfinden, und was einige Schafköpfe (wibsvilsL) sagten, daraus
brauche er sich nichts zu machen, die werde man sofort zur Ordnung verweisen.
In demselben Sinne, wenn auch natürlich in ganz andern: Tone wie die Dame
und der Italiener, wendet sich sogar der gute Hefele 1886 noch einmal an
seinen alten Freund. In dieser Macht der katholischen Kirche über die Ge¬
müter derer, die ihr einmal aufrichtig angehört haben, liegt möglicherweise die
Lösung des psychologischen Rätsels, das Döllinger der denkenden Welt auf¬
gegeben hat. Durch erheuchelte Unterwerfung dem Übel der äußern Trennung
von dieser Kirche zu entgehen, das gestattete sein Gelehrtengewissen nicht, das
bei ihm stärker war als der kirchliche Sinn. Mit Entrüstung weist er die
wiederholt verbreitete fromme Verleumdung zurück, er habe sich unterworfen.
„Ich werde mein Alter nicht mit einer Lüge vor Gott und den Menschen ent¬
ehren, dessen können Sie gewiß sein," schreibt er 1878 an einen Altkatholiken
in Dortmund. Aber an jene unsichtbare Kirche, die er als Ideal in seinem
Herzen, vielleicht würden wir richtiger sagen in seinem Kopfe trug, klammerte
er sich bis zum letzten Atemzuge mit allen Fasern seiner Seele an; obwohl
er dreißig Jahre früher an jedem andern den Versuch, nach Hnssens und
Wielifs Weise die wirkliche Kirche vom Standpunkte der Jdealkirche aus zu
bekämpfen, als eine schon vor vierhundert Jahren durch Wissenschaft und
Leben widerlegte Thorheit mit beißendem Spott gegeißelt haben würde.

Wie die übrigen Dinge dieser Welt, so steht auch die römische Kirche
nicht auf einem einzelnen „Prinzip." Führt man irgendwo ein einzelnes Prinzip
mit unerbittlicher Folgerichtigkeit durch, so kommt allemal ein Widersinn her¬
aus; so ist es der katholischen Kirche 1870 mit ihrem Autoritätsprinzip ergangen,
und darum sahen sich damals diejenigen ihrer Söhne zum Ausscheiden ge-


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[0527] Gin Jamiskopf der Kirche beim Jubiläum des heiligen Vaters eine Freude zu machen, und wenn er für diesen Fall seine Dienste zur Verfügung stellt, Döllinger ant¬ wortet diesmal mit auffälliger Schürfe, Die Kirchenzucht sei in Deutschland so lax, daß er, wenn er gewollt hätte, ohne Furcht vor Strafe zahlreiche Übelthaten hätte begehen können; aber als er sich geweigert habe, seinen alten Glauben zu verleugnen und sich den neuen Dogmen zu unterwerfen, da sei das als ein unerhörtes Verbreche» mit dem Bann bestraft worden, der nach kirchlicher Anschauung die Todesstrafe an Schwere übertreffe. Und so sehr sei das Volk gegen ihn aufgehetzt worden, „daß der Polizeipräsident mich be¬ nachrichtigen ließ, es seien Attentate gegen meine Person im Werke, und ich wurde gut daran thun, nicht ohne Begleitung auszugehen." Wollte er jetzt sein ganzes langes Leben verleugnen, so würde die ganze Welt sagen, daß er entweder aus Altersschwäche kindisch geworden sei, oder daß er jetzt lüge, oder daß er früher gelogen habe. Der Nuntius erwidert darauf dem „sehr er¬ lauchten Professor," seiue Vereinsamung müsse ihm doch klar machen, daß er Unrecht habe; die Masse der Gläubige,: werde bei seiner Bekehrung nichts als Freude empfinden, und was einige Schafköpfe (wibsvilsL) sagten, daraus brauche er sich nichts zu machen, die werde man sofort zur Ordnung verweisen. In demselben Sinne, wenn auch natürlich in ganz andern: Tone wie die Dame und der Italiener, wendet sich sogar der gute Hefele 1886 noch einmal an seinen alten Freund. In dieser Macht der katholischen Kirche über die Ge¬ müter derer, die ihr einmal aufrichtig angehört haben, liegt möglicherweise die Lösung des psychologischen Rätsels, das Döllinger der denkenden Welt auf¬ gegeben hat. Durch erheuchelte Unterwerfung dem Übel der äußern Trennung von dieser Kirche zu entgehen, das gestattete sein Gelehrtengewissen nicht, das bei ihm stärker war als der kirchliche Sinn. Mit Entrüstung weist er die wiederholt verbreitete fromme Verleumdung zurück, er habe sich unterworfen. „Ich werde mein Alter nicht mit einer Lüge vor Gott und den Menschen ent¬ ehren, dessen können Sie gewiß sein," schreibt er 1878 an einen Altkatholiken in Dortmund. Aber an jene unsichtbare Kirche, die er als Ideal in seinem Herzen, vielleicht würden wir richtiger sagen in seinem Kopfe trug, klammerte er sich bis zum letzten Atemzuge mit allen Fasern seiner Seele an; obwohl er dreißig Jahre früher an jedem andern den Versuch, nach Hnssens und Wielifs Weise die wirkliche Kirche vom Standpunkte der Jdealkirche aus zu bekämpfen, als eine schon vor vierhundert Jahren durch Wissenschaft und Leben widerlegte Thorheit mit beißendem Spott gegeißelt haben würde. Wie die übrigen Dinge dieser Welt, so steht auch die römische Kirche nicht auf einem einzelnen „Prinzip." Führt man irgendwo ein einzelnes Prinzip mit unerbittlicher Folgerichtigkeit durch, so kommt allemal ein Widersinn her¬ aus; so ist es der katholischen Kirche 1870 mit ihrem Autoritätsprinzip ergangen, und darum sahen sich damals diejenigen ihrer Söhne zum Ausscheiden ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/527>, abgerufen am 14.05.2024.