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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Römische Frühlingsbilder

zur Genüge, daß die Götter vor die Trefflichkeit den Schweiß gesetzt haben,
auch wenn es sich nicht um die eigne Tugend, sondern um die Tugend von
Bauten und Bildern handelt.

Gleichviel ob der Rompilger den Resten und Trümmern der antiken Welt,
den Spuren und Denkmälern der ältern christlichen Zeit, des frühen Mittel¬
alters, ob er den künstlerischen Zeugnissen der Renaissance den Vorrang in
seiner Phantasie und Teilnahme einräumt, er findet die Dinge, die er sehen
muß, nicht beisammen. So einseitig ist am Ende niemand, daß er sich auf
die, die ihm zunächst liegen, beschränkte und an den andern geschlossenen Auges
vorüberginge, doch wenn er es auch wäre, er würde große Strecken in Stadt
und Campagna durchmessen müssen, um zu seinen Zielen zu gelangen. Wer
unablässig im Wagen sitzt, sieht vieles gar nicht und spart in den seltensten
Füllen Zeit, denn zu den bedenklichen Talenten der römischen Kutscher gehört
auch das, bei Fahrten per oru. die wunderlichsten Umwege einzuschlagen und
bei den untergeordnetsten Merkwürdigkeiten Viertelstunden zu verlieren. Wer
sich kräftig genug fühlt und der Landessprache mächtig genug ist, Fragen zu
thun und Antworten zu verstehen, der thut namentlich in der nächsten Um¬
gebung Roms gut, Fußwanderungen nicht zu scheuen. Bis er das erreicht,
was er gerade sehen will, sieht er meist einiges, was am Wege liegt, auch in
den besten Reisehandbüchern nicht verzeichnet steht und doch die Anschauung
von Rom bereichern hilft. Was habe ich auf meinen Wegen nach einer Reihe
von Bauten aus den Tagen des Cinquecento, nicht alles an unvergeßlichen
Bildern und lebendigen Szenen gesehen, welche Fülle malerischer Eindrücke
empfangen, wie viel einsam liegende Stellen von großem Reiz entdeckt, wie
viel abstrakte Erinnerungen aus Gregorovius' Geschichte Roms sind mir
lebendig geworden, während ich doch nur nach der Magliana, der Villa Ma-
dana, der Villa ti Papa Giulio ausging!

Die eine Grundstimmung, die durch alle Eindrücke und Genüsse römischer
Tage hindurchgeht, das Gefühl vom ewigen Wandel und Wechsel irdischer
Größe, der unablässige Wiederklang des Lio trimsit xlorm uiuuäi überkam mich
freilich fast bei all diesen Wanderungen. Unter den bildergeschmückten Pracht¬
bauten des sechzehnten Jahrhunderts sind ohne Frage die am besten erhalten
geblieben, in denen das Leben, für das sie gedacht und errichtet waren, fort¬
gewaltet hat. Der ungeheure vatikanische Palast und die Paläste großer
römischer Familien, in denen heute noch Hof und Haus gehalten wird, haben
der leisen Zerstörung besser getrotzt, als jene Schöpfungen, die aus irgend
einem Grunde entweder ganz verlassen oder um ihres Kunstwerkes willen der
Obhut gleich giltiger Kustoden und der Wißbegier fremder Besucher übergeben
wurden. Natürlich gefährdet das Wohnen vieler in ihren Bedürfnissen und
ihren Charakteren verschiedner Menschen in einer Folge von Geschlechtern viele
Einzelheiten auch im größten Hause, die Menschen sind nicht so geartet, daß


Römische Frühlingsbilder

zur Genüge, daß die Götter vor die Trefflichkeit den Schweiß gesetzt haben,
auch wenn es sich nicht um die eigne Tugend, sondern um die Tugend von
Bauten und Bildern handelt.

Gleichviel ob der Rompilger den Resten und Trümmern der antiken Welt,
den Spuren und Denkmälern der ältern christlichen Zeit, des frühen Mittel¬
alters, ob er den künstlerischen Zeugnissen der Renaissance den Vorrang in
seiner Phantasie und Teilnahme einräumt, er findet die Dinge, die er sehen
muß, nicht beisammen. So einseitig ist am Ende niemand, daß er sich auf
die, die ihm zunächst liegen, beschränkte und an den andern geschlossenen Auges
vorüberginge, doch wenn er es auch wäre, er würde große Strecken in Stadt
und Campagna durchmessen müssen, um zu seinen Zielen zu gelangen. Wer
unablässig im Wagen sitzt, sieht vieles gar nicht und spart in den seltensten
Füllen Zeit, denn zu den bedenklichen Talenten der römischen Kutscher gehört
auch das, bei Fahrten per oru. die wunderlichsten Umwege einzuschlagen und
bei den untergeordnetsten Merkwürdigkeiten Viertelstunden zu verlieren. Wer
sich kräftig genug fühlt und der Landessprache mächtig genug ist, Fragen zu
thun und Antworten zu verstehen, der thut namentlich in der nächsten Um¬
gebung Roms gut, Fußwanderungen nicht zu scheuen. Bis er das erreicht,
was er gerade sehen will, sieht er meist einiges, was am Wege liegt, auch in
den besten Reisehandbüchern nicht verzeichnet steht und doch die Anschauung
von Rom bereichern hilft. Was habe ich auf meinen Wegen nach einer Reihe
von Bauten aus den Tagen des Cinquecento, nicht alles an unvergeßlichen
Bildern und lebendigen Szenen gesehen, welche Fülle malerischer Eindrücke
empfangen, wie viel einsam liegende Stellen von großem Reiz entdeckt, wie
viel abstrakte Erinnerungen aus Gregorovius' Geschichte Roms sind mir
lebendig geworden, während ich doch nur nach der Magliana, der Villa Ma-
dana, der Villa ti Papa Giulio ausging!

Die eine Grundstimmung, die durch alle Eindrücke und Genüsse römischer
Tage hindurchgeht, das Gefühl vom ewigen Wandel und Wechsel irdischer
Größe, der unablässige Wiederklang des Lio trimsit xlorm uiuuäi überkam mich
freilich fast bei all diesen Wanderungen. Unter den bildergeschmückten Pracht¬
bauten des sechzehnten Jahrhunderts sind ohne Frage die am besten erhalten
geblieben, in denen das Leben, für das sie gedacht und errichtet waren, fort¬
gewaltet hat. Der ungeheure vatikanische Palast und die Paläste großer
römischer Familien, in denen heute noch Hof und Haus gehalten wird, haben
der leisen Zerstörung besser getrotzt, als jene Schöpfungen, die aus irgend
einem Grunde entweder ganz verlassen oder um ihres Kunstwerkes willen der
Obhut gleich giltiger Kustoden und der Wißbegier fremder Besucher übergeben
wurden. Natürlich gefährdet das Wohnen vieler in ihren Bedürfnissen und
ihren Charakteren verschiedner Menschen in einer Folge von Geschlechtern viele
Einzelheiten auch im größten Hause, die Menschen sind nicht so geartet, daß


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[0570] Römische Frühlingsbilder zur Genüge, daß die Götter vor die Trefflichkeit den Schweiß gesetzt haben, auch wenn es sich nicht um die eigne Tugend, sondern um die Tugend von Bauten und Bildern handelt. Gleichviel ob der Rompilger den Resten und Trümmern der antiken Welt, den Spuren und Denkmälern der ältern christlichen Zeit, des frühen Mittel¬ alters, ob er den künstlerischen Zeugnissen der Renaissance den Vorrang in seiner Phantasie und Teilnahme einräumt, er findet die Dinge, die er sehen muß, nicht beisammen. So einseitig ist am Ende niemand, daß er sich auf die, die ihm zunächst liegen, beschränkte und an den andern geschlossenen Auges vorüberginge, doch wenn er es auch wäre, er würde große Strecken in Stadt und Campagna durchmessen müssen, um zu seinen Zielen zu gelangen. Wer unablässig im Wagen sitzt, sieht vieles gar nicht und spart in den seltensten Füllen Zeit, denn zu den bedenklichen Talenten der römischen Kutscher gehört auch das, bei Fahrten per oru. die wunderlichsten Umwege einzuschlagen und bei den untergeordnetsten Merkwürdigkeiten Viertelstunden zu verlieren. Wer sich kräftig genug fühlt und der Landessprache mächtig genug ist, Fragen zu thun und Antworten zu verstehen, der thut namentlich in der nächsten Um¬ gebung Roms gut, Fußwanderungen nicht zu scheuen. Bis er das erreicht, was er gerade sehen will, sieht er meist einiges, was am Wege liegt, auch in den besten Reisehandbüchern nicht verzeichnet steht und doch die Anschauung von Rom bereichern hilft. Was habe ich auf meinen Wegen nach einer Reihe von Bauten aus den Tagen des Cinquecento, nicht alles an unvergeßlichen Bildern und lebendigen Szenen gesehen, welche Fülle malerischer Eindrücke empfangen, wie viel einsam liegende Stellen von großem Reiz entdeckt, wie viel abstrakte Erinnerungen aus Gregorovius' Geschichte Roms sind mir lebendig geworden, während ich doch nur nach der Magliana, der Villa Ma- dana, der Villa ti Papa Giulio ausging! Die eine Grundstimmung, die durch alle Eindrücke und Genüsse römischer Tage hindurchgeht, das Gefühl vom ewigen Wandel und Wechsel irdischer Größe, der unablässige Wiederklang des Lio trimsit xlorm uiuuäi überkam mich freilich fast bei all diesen Wanderungen. Unter den bildergeschmückten Pracht¬ bauten des sechzehnten Jahrhunderts sind ohne Frage die am besten erhalten geblieben, in denen das Leben, für das sie gedacht und errichtet waren, fort¬ gewaltet hat. Der ungeheure vatikanische Palast und die Paläste großer römischer Familien, in denen heute noch Hof und Haus gehalten wird, haben der leisen Zerstörung besser getrotzt, als jene Schöpfungen, die aus irgend einem Grunde entweder ganz verlassen oder um ihres Kunstwerkes willen der Obhut gleich giltiger Kustoden und der Wißbegier fremder Besucher übergeben wurden. Natürlich gefährdet das Wohnen vieler in ihren Bedürfnissen und ihren Charakteren verschiedner Menschen in einer Folge von Geschlechtern viele Einzelheiten auch im größten Hause, die Menschen sind nicht so geartet, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/570>, abgerufen am 13.05.2024.