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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Aufgabe der Gegenwart

die berechtigten Wünsche der Eltern, sowohl wegen der praktischen Ziele, als
auch ganz besonders wegen der religiösen und sittlichen Erziehung zu nehmen
haben. Ob der Staat recht daran thut, einfach zu erklären: die Schule ist
mein, wobei er sich die sehr bedeutenden Zuschüsse aus Kirchenmitteln nach
wie vor gefallen läßt, ohne zugleich der Kirche den ihr zukommenden Einfluß
auf diese Erziehung freizulassen, darf ernstlich bezweifelt werden.

Aber -- sagt man -- die Kirche hat ja den Einfluß auf den Religions¬
unterricht frei. Warum gehen denn die Geistlichen uicht in den Unterricht und
kümmern sich um die Sache? Warum nicht? Das mag ein Einzelfall klar
machen. Denken wir uns eine Stadt mittlerer Größe, worin der erste Rektor
die Lokalschuliuspektiou hat. Es kommen Klagen über einen Lehrer und dessen
Art, den Religionsunterricht zu geben. Oder der Oberpfarrer nimmt wahr,
daß sich die aus dieser Klasse ihm überwiesenen Konfirmanden in religiösen
Dingen in einem schauderhaften Zustande befinden. Er nimmt also sein Recht
wahr, dem Religionsunterrichte beizuwohnen. Der Lehrer verfährt genau nach
dem "kleinen Krüger," er lehrt keinen Unsinn, aber er behandelt seinen Stoff
in kältester, geisttötendster Weise und verekelt den Kindern den Unterricht
gründlich. Der Pfarrer ist außer sich, setzt sich hin und schreibt einen Bericht
an den Superintendenten. Dieser giebt ihn weiter an den Rektor. Der Rektor
fühlt sich unangenehm berührt, revidirt den Unterricht des betreffenden Lehrers,
findet die Sache nicht so schlimm und glaubt, daß sie mit ein paar allge¬
meinen Hinweisungen abgethan sei. Nun ist aber der Lehrer teufelswild,
schimpft auf deu Schwarzrock und macht es noch einmal so schlimm. Der
Pfarrer hätte vielleicht versuchen können, den Lehrer vou seinem Fehler zu
überzeugen. Als ob sich so ein Maun überzeugen ließe! Die Antwort wäre
doch sicher gewesen: Was hat der nur denn zu sagen? Man sieht, eine Aufsicht
ohne Exekutive ist null und nichtig. Es ist deu Geistlichen nicht zu verdenke",
daß sie auf ein solches Recht lieber verzichten. Und welcher Widersinn ist es,
daß ein von der Kirche erhobenes Bedenken erst dann giltig wird, wenn es
vom Staate und von Leuten, die in der Sache nicht znstündig sind, anerkannt
wird! Hier liegt ein tiefer Schade im Schulwesen, der nur dadurch gemildert
wird, daß die Schulinspektion meist noch in den Händen der Geistlichkeit liegt.

Aber auch so ist nicht viel zu machen. Der Staat giebt den Lehrplan
und bildet die Lehrer vor. Die alten Stielschen Regulative, die ihrerzeit mit
Spott und Hohn in die Wolfsschlucht geworfen wurden, waren doch so übel
nicht. Sie vertraten den Grundsatz: Beschränkung und Vertiefung des Wissens.
Man nannte das Verdummung des Volkes und jubelte deu Falkschen Be¬
stimmungen zu, die der Schule jene nützlichen nud wissenswerteil Dinge zu¬
führten, ohne die der moderne Mensch nicht glücklich sein zu können glaubte.
Jetzt seufzen die Lehrer nnter der neuen Last und wären die Geister, die sie
riefen, gern wieder los. Das Wort von deu "sogenannten Klassikern" hat


Die Aufgabe der Gegenwart

die berechtigten Wünsche der Eltern, sowohl wegen der praktischen Ziele, als
auch ganz besonders wegen der religiösen und sittlichen Erziehung zu nehmen
haben. Ob der Staat recht daran thut, einfach zu erklären: die Schule ist
mein, wobei er sich die sehr bedeutenden Zuschüsse aus Kirchenmitteln nach
wie vor gefallen läßt, ohne zugleich der Kirche den ihr zukommenden Einfluß
auf diese Erziehung freizulassen, darf ernstlich bezweifelt werden.

Aber — sagt man — die Kirche hat ja den Einfluß auf den Religions¬
unterricht frei. Warum gehen denn die Geistlichen uicht in den Unterricht und
kümmern sich um die Sache? Warum nicht? Das mag ein Einzelfall klar
machen. Denken wir uns eine Stadt mittlerer Größe, worin der erste Rektor
die Lokalschuliuspektiou hat. Es kommen Klagen über einen Lehrer und dessen
Art, den Religionsunterricht zu geben. Oder der Oberpfarrer nimmt wahr,
daß sich die aus dieser Klasse ihm überwiesenen Konfirmanden in religiösen
Dingen in einem schauderhaften Zustande befinden. Er nimmt also sein Recht
wahr, dem Religionsunterrichte beizuwohnen. Der Lehrer verfährt genau nach
dem „kleinen Krüger," er lehrt keinen Unsinn, aber er behandelt seinen Stoff
in kältester, geisttötendster Weise und verekelt den Kindern den Unterricht
gründlich. Der Pfarrer ist außer sich, setzt sich hin und schreibt einen Bericht
an den Superintendenten. Dieser giebt ihn weiter an den Rektor. Der Rektor
fühlt sich unangenehm berührt, revidirt den Unterricht des betreffenden Lehrers,
findet die Sache nicht so schlimm und glaubt, daß sie mit ein paar allge¬
meinen Hinweisungen abgethan sei. Nun ist aber der Lehrer teufelswild,
schimpft auf deu Schwarzrock und macht es noch einmal so schlimm. Der
Pfarrer hätte vielleicht versuchen können, den Lehrer vou seinem Fehler zu
überzeugen. Als ob sich so ein Maun überzeugen ließe! Die Antwort wäre
doch sicher gewesen: Was hat der nur denn zu sagen? Man sieht, eine Aufsicht
ohne Exekutive ist null und nichtig. Es ist deu Geistlichen nicht zu verdenke»,
daß sie auf ein solches Recht lieber verzichten. Und welcher Widersinn ist es,
daß ein von der Kirche erhobenes Bedenken erst dann giltig wird, wenn es
vom Staate und von Leuten, die in der Sache nicht znstündig sind, anerkannt
wird! Hier liegt ein tiefer Schade im Schulwesen, der nur dadurch gemildert
wird, daß die Schulinspektion meist noch in den Händen der Geistlichkeit liegt.

Aber auch so ist nicht viel zu machen. Der Staat giebt den Lehrplan
und bildet die Lehrer vor. Die alten Stielschen Regulative, die ihrerzeit mit
Spott und Hohn in die Wolfsschlucht geworfen wurden, waren doch so übel
nicht. Sie vertraten den Grundsatz: Beschränkung und Vertiefung des Wissens.
Man nannte das Verdummung des Volkes und jubelte deu Falkschen Be¬
stimmungen zu, die der Schule jene nützlichen nud wissenswerteil Dinge zu¬
führten, ohne die der moderne Mensch nicht glücklich sein zu können glaubte.
Jetzt seufzen die Lehrer nnter der neuen Last und wären die Geister, die sie
riefen, gern wieder los. Das Wort von deu „sogenannten Klassikern" hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/58>, abgerufen am 13.05.2024.