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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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nirgends Weinzwang herrscht und vielfach Vier getrunken wird, daß sonach
der Mittagstisch der allermeisten Offizierkorps an Kostspieligkeit hinter den
bessern Gasthöfen einer kleinen Provinzialstadt oder großstädtischen Gasthöfen
zweiten Ranges, wie'sie von allen Handlungsreisender einigermaßen angesehener
Häuser besucht werden, bedeutend zurückbleibt. Wird dieser Abstand von wohl¬
habenderen Offizieren und Offizierkorps durch gelegentliche" Aufwand in
deutschem Schaumwein oder andre Mehrausgaben ausgeglichen, so wird
der ruhige Beobachter auch darin noch uicht die Anzeichen eines für den
Stand gefährlichen Luxus erblicken. Daß Auswüchse vorkommen, soll nicht
geleugnet werden; allein die weit verbreitete Vorstellung, daß der deutsche
Offizierstand im allgemeinen, ähnlich wie der preußische vor der Schlacht bei
Jena, vom Luxus unterwühlt und einem Zustande sittlicher Auflösung ver¬
fallen sei, stellt sich jedem Kenner der Verhältnisse und vollends dem, der
einen Vergleich zwischen jetzt und früher zu ziehen vermag, als ein reines
Vorurteil dar. Aus dem Munde eines inzwischen verstorbenen Veteranen der
Freiheitskriege, der ein Charakter von seltener Sittenstrenge war, haben wir
oft genug gehört, daß den sittlichen Anschauungen gegenüber, die zur Zeit
seiner Jugend in den Kreisen der Armee geherrscht hätten, die heutigen
Zustände einen gewaltigen Fortschritt aufwiesen. Leuchtende Vorbilder auf
dem Pfade der Tugend hat ja der Wehrstand zu alle" Zeiten uur als Aus¬
nahmen hervorgebracht. Das Waffenhandwerk potenzirt deu leiblichen Mensche"
mit all seinen Kräften und Bedürfnissen und steigert zwar durch die unaus¬
gesetzte Gewöhnung an das Hand in Hand gehende Gehorchen und Befehlen
auch das Gegengewicht des Willens, nimmt ihn aber gleichzeitig in weitesten
Umfange für seine besondern Zwecke gefangen, die ihrer unabänderlichen Natur
nach jedenfalls nicht in der Richtung des sittlichen Ideals liegen. Der
sterbende Valentin in Goethes Faust blickt sicherlich nicht ans einen kanonischen
Lebenswandel zurück; aber ein ehrliches Bekenntnis vereinigt sich mit einem
ruhigen Gewissen in seinen letzten Worten:


Ich gehe durch den Todesschlaf
Zu Gott als ein Soldat und brav.

Ich werde diese Ausführungen nicht erst gegen den Vorwurf zu ver¬
teidigen haben, als wollte ich für das Heer das Vorrecht der Libertinage in
Anspruch nehmen. So wenig wie jeder andre Erdensohn, wird der Soldat
das göttliche Sittengebot in seinem Gewissen überhören oder ersticken können.
Fehlt er aber, so sollen wir, wenn wir uns zu Sittenrichtern berufen fühle",
auch der Gewichte gedenken, mit denen ihn die Versuchungen seines Berufes
im Kampfe gegen seinen Leib beschweren.

Wer den so gewonnenen Maßstab für die Beurteilung des Einzelnen auf
die des Standes zu übertragen versteht, wird die Ansicht, als ob die dentschen


nirgends Weinzwang herrscht und vielfach Vier getrunken wird, daß sonach
der Mittagstisch der allermeisten Offizierkorps an Kostspieligkeit hinter den
bessern Gasthöfen einer kleinen Provinzialstadt oder großstädtischen Gasthöfen
zweiten Ranges, wie'sie von allen Handlungsreisender einigermaßen angesehener
Häuser besucht werden, bedeutend zurückbleibt. Wird dieser Abstand von wohl¬
habenderen Offizieren und Offizierkorps durch gelegentliche» Aufwand in
deutschem Schaumwein oder andre Mehrausgaben ausgeglichen, so wird
der ruhige Beobachter auch darin noch uicht die Anzeichen eines für den
Stand gefährlichen Luxus erblicken. Daß Auswüchse vorkommen, soll nicht
geleugnet werden; allein die weit verbreitete Vorstellung, daß der deutsche
Offizierstand im allgemeinen, ähnlich wie der preußische vor der Schlacht bei
Jena, vom Luxus unterwühlt und einem Zustande sittlicher Auflösung ver¬
fallen sei, stellt sich jedem Kenner der Verhältnisse und vollends dem, der
einen Vergleich zwischen jetzt und früher zu ziehen vermag, als ein reines
Vorurteil dar. Aus dem Munde eines inzwischen verstorbenen Veteranen der
Freiheitskriege, der ein Charakter von seltener Sittenstrenge war, haben wir
oft genug gehört, daß den sittlichen Anschauungen gegenüber, die zur Zeit
seiner Jugend in den Kreisen der Armee geherrscht hätten, die heutigen
Zustände einen gewaltigen Fortschritt aufwiesen. Leuchtende Vorbilder auf
dem Pfade der Tugend hat ja der Wehrstand zu alle» Zeiten uur als Aus¬
nahmen hervorgebracht. Das Waffenhandwerk potenzirt deu leiblichen Mensche«
mit all seinen Kräften und Bedürfnissen und steigert zwar durch die unaus¬
gesetzte Gewöhnung an das Hand in Hand gehende Gehorchen und Befehlen
auch das Gegengewicht des Willens, nimmt ihn aber gleichzeitig in weitesten
Umfange für seine besondern Zwecke gefangen, die ihrer unabänderlichen Natur
nach jedenfalls nicht in der Richtung des sittlichen Ideals liegen. Der
sterbende Valentin in Goethes Faust blickt sicherlich nicht ans einen kanonischen
Lebenswandel zurück; aber ein ehrliches Bekenntnis vereinigt sich mit einem
ruhigen Gewissen in seinen letzten Worten:


Ich gehe durch den Todesschlaf
Zu Gott als ein Soldat und brav.

Ich werde diese Ausführungen nicht erst gegen den Vorwurf zu ver¬
teidigen haben, als wollte ich für das Heer das Vorrecht der Libertinage in
Anspruch nehmen. So wenig wie jeder andre Erdensohn, wird der Soldat
das göttliche Sittengebot in seinem Gewissen überhören oder ersticken können.
Fehlt er aber, so sollen wir, wenn wir uns zu Sittenrichtern berufen fühle»,
auch der Gewichte gedenken, mit denen ihn die Versuchungen seines Berufes
im Kampfe gegen seinen Leib beschweren.

Wer den so gewonnenen Maßstab für die Beurteilung des Einzelnen auf
die des Standes zu übertragen versteht, wird die Ansicht, als ob die dentschen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/18>, abgerufen am 11.05.2024.