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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Aunstcmsstellungen in München und Dresden

Wandlung durchgemacht. Sowohl der Zug polnischer Kosaken, die unter dem
Gesänge eines Siegesliedes dnrch die grüne Steppe reiten, als die Verteidigung
eines Gehöftes durch polnische Krieger, die schnell ihre Pferde bergen, um von
den Dächern der Schuppen auf die Belagerer schießen zu können, sind zu
reichster farbiger Wirkung ausgebildet, deren volle Akkorde nicht dnrch ein
Übermaß von grauen Mitteltönen herabgestimmt werden. Claus Meyer hat
sogar einen Stoff behandelt, der weitab von seinen gewohnten Motiven,
holländischen Jnnenrüumen mit Figuren aus dem siebzehnten Jahrhundert
oder aus der Gegenwart, liegt. Wir blicken in einen kahlen, unwirtlichen,
gefängnisartigen Raum, dessen Halbdunkel durch eine auf einem Stuhl stehende
brennende Laterne erhellt wird, die ihre Strahlen auf einen an der Wand
sitzenden Mann wirft, sodaß sein Schatten in riesiger Vergrößerung an der
Wand sichtbar wird. Mit weit geöffneten Augen blickt er in banger, pein¬
voller Erwartung vor sich hin. Das Schicksal, das seiner harrt, ist kein
angenehmes, und ein Entrinnen aus seiner gefährlichen Lage ist unmöglich,
deun an der Thür halten zwei Ulanen Wacht, die ihre Augen unverrückt auf
den gefangenen Spion richten. Wie auf den Bildern Pieter de Hoochs, nach
dessen Kunst sich Claus Meyer meist gebildet hat, blickt man durch die geöffnete
Thür in ein zweites, völlig erhelltes Gemach, in dein Offiziere anscheinend mit
der Prüfung der dem Spion abgenommenen Papiere beschäftigt sind. Wie
der Künstler in der Erfindung und Darstellung des Vorgangs über die bloße
Existenzmalerei hinausgegangen ist, hat er auch auf die billigen koloristischen
Wirkungen mit farbenreichen Trachten und vou oben einfallendem Licht ver¬
zichtet. In dem Augenblick, wo er bereits der Gefahr nahe war, sich in gedanken¬
lose Kostümmalerei, in die virtuose Spielerei der Kleinmalerei zu verlieren,
hat er einen neuen Weg eingeschlagen und die Charakteristik der Köpfe zu einer
früher nie erreichten Kraft und Tiefe gebracht, ohne darüber etwas von seinem
großen Geschick in der koloristischen Durchbildung des Helldunkels einzubüßen.

Nach dem Beispiele Defreggers hat auch Mathias Schmid einmal ein
Motiv aus den Befreiungskriegen der Tiroler behandelt, freilich in seiner
elegischen, jeder dramatischen Bewegung abgeneigten Art und ohne sich an
einen bestimmten geschichtlichen Vorgang anzulehnen. Auf einem Bergrücken
haben sich Bauern in einem einsamen Gehöft festgesetzt, von dem sie auf die
Feinde im Thal herabschießen, die ihrerseits fleißig zu antworten scheinen.
Eine ihrer Kugeln hat eines der beiden Mädchen tötlich getroffen, die sich im
Vordergründe in den Schutz eines hochragenden Bildstocks geflüchtet haben.
In dieser rührenden: Gruppe ist die Tragik des Zufalls schlicht und ohne
falsches Pathos zu einem tief ergreifenden Ausdruck gelangt.

Eines der beweglichsten und vielseitigsten Talente der Münchner Schule
ist Albert Keller, der zwar schon seit einem Jahrzehnt nnter dein Einflüsse
der Franzosen arbeitet, ihnen aber nur ihre technischen Kunstgriffe ablernt,


Die Aunstcmsstellungen in München und Dresden

Wandlung durchgemacht. Sowohl der Zug polnischer Kosaken, die unter dem
Gesänge eines Siegesliedes dnrch die grüne Steppe reiten, als die Verteidigung
eines Gehöftes durch polnische Krieger, die schnell ihre Pferde bergen, um von
den Dächern der Schuppen auf die Belagerer schießen zu können, sind zu
reichster farbiger Wirkung ausgebildet, deren volle Akkorde nicht dnrch ein
Übermaß von grauen Mitteltönen herabgestimmt werden. Claus Meyer hat
sogar einen Stoff behandelt, der weitab von seinen gewohnten Motiven,
holländischen Jnnenrüumen mit Figuren aus dem siebzehnten Jahrhundert
oder aus der Gegenwart, liegt. Wir blicken in einen kahlen, unwirtlichen,
gefängnisartigen Raum, dessen Halbdunkel durch eine auf einem Stuhl stehende
brennende Laterne erhellt wird, die ihre Strahlen auf einen an der Wand
sitzenden Mann wirft, sodaß sein Schatten in riesiger Vergrößerung an der
Wand sichtbar wird. Mit weit geöffneten Augen blickt er in banger, pein¬
voller Erwartung vor sich hin. Das Schicksal, das seiner harrt, ist kein
angenehmes, und ein Entrinnen aus seiner gefährlichen Lage ist unmöglich,
deun an der Thür halten zwei Ulanen Wacht, die ihre Augen unverrückt auf
den gefangenen Spion richten. Wie auf den Bildern Pieter de Hoochs, nach
dessen Kunst sich Claus Meyer meist gebildet hat, blickt man durch die geöffnete
Thür in ein zweites, völlig erhelltes Gemach, in dein Offiziere anscheinend mit
der Prüfung der dem Spion abgenommenen Papiere beschäftigt sind. Wie
der Künstler in der Erfindung und Darstellung des Vorgangs über die bloße
Existenzmalerei hinausgegangen ist, hat er auch auf die billigen koloristischen
Wirkungen mit farbenreichen Trachten und vou oben einfallendem Licht ver¬
zichtet. In dem Augenblick, wo er bereits der Gefahr nahe war, sich in gedanken¬
lose Kostümmalerei, in die virtuose Spielerei der Kleinmalerei zu verlieren,
hat er einen neuen Weg eingeschlagen und die Charakteristik der Köpfe zu einer
früher nie erreichten Kraft und Tiefe gebracht, ohne darüber etwas von seinem
großen Geschick in der koloristischen Durchbildung des Helldunkels einzubüßen.

Nach dem Beispiele Defreggers hat auch Mathias Schmid einmal ein
Motiv aus den Befreiungskriegen der Tiroler behandelt, freilich in seiner
elegischen, jeder dramatischen Bewegung abgeneigten Art und ohne sich an
einen bestimmten geschichtlichen Vorgang anzulehnen. Auf einem Bergrücken
haben sich Bauern in einem einsamen Gehöft festgesetzt, von dem sie auf die
Feinde im Thal herabschießen, die ihrerseits fleißig zu antworten scheinen.
Eine ihrer Kugeln hat eines der beiden Mädchen tötlich getroffen, die sich im
Vordergründe in den Schutz eines hochragenden Bildstocks geflüchtet haben.
In dieser rührenden: Gruppe ist die Tragik des Zufalls schlicht und ohne
falsches Pathos zu einem tief ergreifenden Ausdruck gelangt.

Eines der beweglichsten und vielseitigsten Talente der Münchner Schule
ist Albert Keller, der zwar schon seit einem Jahrzehnt nnter dein Einflüsse
der Franzosen arbeitet, ihnen aber nur ihre technischen Kunstgriffe ablernt,


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[0194] Die Aunstcmsstellungen in München und Dresden Wandlung durchgemacht. Sowohl der Zug polnischer Kosaken, die unter dem Gesänge eines Siegesliedes dnrch die grüne Steppe reiten, als die Verteidigung eines Gehöftes durch polnische Krieger, die schnell ihre Pferde bergen, um von den Dächern der Schuppen auf die Belagerer schießen zu können, sind zu reichster farbiger Wirkung ausgebildet, deren volle Akkorde nicht dnrch ein Übermaß von grauen Mitteltönen herabgestimmt werden. Claus Meyer hat sogar einen Stoff behandelt, der weitab von seinen gewohnten Motiven, holländischen Jnnenrüumen mit Figuren aus dem siebzehnten Jahrhundert oder aus der Gegenwart, liegt. Wir blicken in einen kahlen, unwirtlichen, gefängnisartigen Raum, dessen Halbdunkel durch eine auf einem Stuhl stehende brennende Laterne erhellt wird, die ihre Strahlen auf einen an der Wand sitzenden Mann wirft, sodaß sein Schatten in riesiger Vergrößerung an der Wand sichtbar wird. Mit weit geöffneten Augen blickt er in banger, pein¬ voller Erwartung vor sich hin. Das Schicksal, das seiner harrt, ist kein angenehmes, und ein Entrinnen aus seiner gefährlichen Lage ist unmöglich, deun an der Thür halten zwei Ulanen Wacht, die ihre Augen unverrückt auf den gefangenen Spion richten. Wie auf den Bildern Pieter de Hoochs, nach dessen Kunst sich Claus Meyer meist gebildet hat, blickt man durch die geöffnete Thür in ein zweites, völlig erhelltes Gemach, in dein Offiziere anscheinend mit der Prüfung der dem Spion abgenommenen Papiere beschäftigt sind. Wie der Künstler in der Erfindung und Darstellung des Vorgangs über die bloße Existenzmalerei hinausgegangen ist, hat er auch auf die billigen koloristischen Wirkungen mit farbenreichen Trachten und vou oben einfallendem Licht ver¬ zichtet. In dem Augenblick, wo er bereits der Gefahr nahe war, sich in gedanken¬ lose Kostümmalerei, in die virtuose Spielerei der Kleinmalerei zu verlieren, hat er einen neuen Weg eingeschlagen und die Charakteristik der Köpfe zu einer früher nie erreichten Kraft und Tiefe gebracht, ohne darüber etwas von seinem großen Geschick in der koloristischen Durchbildung des Helldunkels einzubüßen. Nach dem Beispiele Defreggers hat auch Mathias Schmid einmal ein Motiv aus den Befreiungskriegen der Tiroler behandelt, freilich in seiner elegischen, jeder dramatischen Bewegung abgeneigten Art und ohne sich an einen bestimmten geschichtlichen Vorgang anzulehnen. Auf einem Bergrücken haben sich Bauern in einem einsamen Gehöft festgesetzt, von dem sie auf die Feinde im Thal herabschießen, die ihrerseits fleißig zu antworten scheinen. Eine ihrer Kugeln hat eines der beiden Mädchen tötlich getroffen, die sich im Vordergründe in den Schutz eines hochragenden Bildstocks geflüchtet haben. In dieser rührenden: Gruppe ist die Tragik des Zufalls schlicht und ohne falsches Pathos zu einem tief ergreifenden Ausdruck gelangt. Eines der beweglichsten und vielseitigsten Talente der Münchner Schule ist Albert Keller, der zwar schon seit einem Jahrzehnt nnter dein Einflüsse der Franzosen arbeitet, ihnen aber nur ihre technischen Kunstgriffe ablernt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/194>, abgerufen am 06.06.2024.