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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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der Widerstandsfähigkeit des militärischen Organismus gegen ein gefahr¬
drohendes Übel Bedacht zu nehmen, ehe es akut geworden ist. Die Größe
dieser Gefahr kaun schwer überschätzt werden in einer Zeit, die wie alle
Perioden einer hochentwickelten Kultur neben einem unverkennbaren idealen
Aufschwung anscheinend unvermittelt eine schrankenlose Entwicklung der Be¬
dürfnisse des Wohllebens und eine raffinirte Vervollkommnung der zu ihrer
Befriedigung dienenden Gegenstände herbeigeführt hat. Wird es möglich sein,
ist es auch mir denkbar, inmitten des immer breiter eiuherflutenden Stromes
der Genußsucht einen gnuzen Stand zu isoliren?

Die Stelle, auf die der kaiserliche Erlaß das Auge der höhern Befehls¬
haber lenkt, ist die Regelung der sogenannten Zulage. Bekanntlich besteht fast
bei sämtlichen Regimentern und selbständigen Truppenteilen ein bestimmter
niedrigster Satz des Privateinkommens, dus bei den betreffenden Offizieren
vorausgesetzt wird, von dessen Nachweis also der Kommandeur die Annahme
des Avautageurs oder Fähndrichs in der Regel abhängig macht. Die Be¬
messung dieses niedrigsten Satzes liegt formell durchaus in der Hand des
Regimentskommandeurs, wenn anch seiner Festsetzung natürlich durch die Über¬
lieferung des Regiments gewisse Grenzen gezogen sind. Immerhin ist es ein¬
leuchtend, daß diese Befugnis der Truppenbefehlshnber eine weitgehende Ein¬
wirkung auf die wirtschaftliche Lebensführung des betreffenden Offizierkorps
einschließt. Denn nach dem niedrigsten Satze der Einnahme bemißt sich ihr
Durchschnittssatz und nach diesem wieder in einem Stande, der seiner Natur
nach niemals zu den Erwerbsständen gezählt hat und zählen wird, der
Dnrchschnittssatz der Ausgabe. Das Leben eines Offizierkorps gewährt ein
wesentlich verschiednes Bild, je nachdem seine Mitglieder neben ihren staat¬
lichen Bezügen 75 bis "0 Mark oder 30 bis 50 Mark im Monat zu ver¬
zehren haben.

An sich wird es nun für deu Regimentskommandeur sehr nahe liegen,
scheinbar eine weise Vorsicht zu beobachten und seine Forderung hinsichtlich
des Privateinkommens seiner Offiziere fo hoch zu stellen, wie es die Verhält¬
nisse der betreffenden Waffe im allgemeinen und der Garnison im besondern
irgend rechtfertigen. Er darf dann hoffen, daß er oder doch seine Nachfolger
an der Spitze eines vergleichsweise wohlhabenden Offizierkorps stehen werden,
das ihnen wenig Unannehmlichkeiten durch Schuldenmachen bereiten und durch
eine gewisse Freiheit seines wirtschaftlichen Auftretens den Nimbus des Regi¬
ments erhöhen wird.

Eine abstrakte Betrachtung der menschlichen Dinge, der eine Würdigung
geschichtlicher Zusammenhänge fremd ist, wird in dieser Rechnung keinen
Fehler finden: die erstrebten Vorteile werden ohne Zweisel eintreten. Dem
tieferblickenden Beobachter aber wird die verhängnisvolle Kehrseite nicht
entgehen.


der Widerstandsfähigkeit des militärischen Organismus gegen ein gefahr¬
drohendes Übel Bedacht zu nehmen, ehe es akut geworden ist. Die Größe
dieser Gefahr kaun schwer überschätzt werden in einer Zeit, die wie alle
Perioden einer hochentwickelten Kultur neben einem unverkennbaren idealen
Aufschwung anscheinend unvermittelt eine schrankenlose Entwicklung der Be¬
dürfnisse des Wohllebens und eine raffinirte Vervollkommnung der zu ihrer
Befriedigung dienenden Gegenstände herbeigeführt hat. Wird es möglich sein,
ist es auch mir denkbar, inmitten des immer breiter eiuherflutenden Stromes
der Genußsucht einen gnuzen Stand zu isoliren?

Die Stelle, auf die der kaiserliche Erlaß das Auge der höhern Befehls¬
haber lenkt, ist die Regelung der sogenannten Zulage. Bekanntlich besteht fast
bei sämtlichen Regimentern und selbständigen Truppenteilen ein bestimmter
niedrigster Satz des Privateinkommens, dus bei den betreffenden Offizieren
vorausgesetzt wird, von dessen Nachweis also der Kommandeur die Annahme
des Avautageurs oder Fähndrichs in der Regel abhängig macht. Die Be¬
messung dieses niedrigsten Satzes liegt formell durchaus in der Hand des
Regimentskommandeurs, wenn anch seiner Festsetzung natürlich durch die Über¬
lieferung des Regiments gewisse Grenzen gezogen sind. Immerhin ist es ein¬
leuchtend, daß diese Befugnis der Truppenbefehlshnber eine weitgehende Ein¬
wirkung auf die wirtschaftliche Lebensführung des betreffenden Offizierkorps
einschließt. Denn nach dem niedrigsten Satze der Einnahme bemißt sich ihr
Durchschnittssatz und nach diesem wieder in einem Stande, der seiner Natur
nach niemals zu den Erwerbsständen gezählt hat und zählen wird, der
Dnrchschnittssatz der Ausgabe. Das Leben eines Offizierkorps gewährt ein
wesentlich verschiednes Bild, je nachdem seine Mitglieder neben ihren staat¬
lichen Bezügen 75 bis »0 Mark oder 30 bis 50 Mark im Monat zu ver¬
zehren haben.

An sich wird es nun für deu Regimentskommandeur sehr nahe liegen,
scheinbar eine weise Vorsicht zu beobachten und seine Forderung hinsichtlich
des Privateinkommens seiner Offiziere fo hoch zu stellen, wie es die Verhält¬
nisse der betreffenden Waffe im allgemeinen und der Garnison im besondern
irgend rechtfertigen. Er darf dann hoffen, daß er oder doch seine Nachfolger
an der Spitze eines vergleichsweise wohlhabenden Offizierkorps stehen werden,
das ihnen wenig Unannehmlichkeiten durch Schuldenmachen bereiten und durch
eine gewisse Freiheit seines wirtschaftlichen Auftretens den Nimbus des Regi¬
ments erhöhen wird.

Eine abstrakte Betrachtung der menschlichen Dinge, der eine Würdigung
geschichtlicher Zusammenhänge fremd ist, wird in dieser Rechnung keinen
Fehler finden: die erstrebten Vorteile werden ohne Zweisel eintreten. Dem
tieferblickenden Beobachter aber wird die verhängnisvolle Kehrseite nicht
entgehen.


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[0020] der Widerstandsfähigkeit des militärischen Organismus gegen ein gefahr¬ drohendes Übel Bedacht zu nehmen, ehe es akut geworden ist. Die Größe dieser Gefahr kaun schwer überschätzt werden in einer Zeit, die wie alle Perioden einer hochentwickelten Kultur neben einem unverkennbaren idealen Aufschwung anscheinend unvermittelt eine schrankenlose Entwicklung der Be¬ dürfnisse des Wohllebens und eine raffinirte Vervollkommnung der zu ihrer Befriedigung dienenden Gegenstände herbeigeführt hat. Wird es möglich sein, ist es auch mir denkbar, inmitten des immer breiter eiuherflutenden Stromes der Genußsucht einen gnuzen Stand zu isoliren? Die Stelle, auf die der kaiserliche Erlaß das Auge der höhern Befehls¬ haber lenkt, ist die Regelung der sogenannten Zulage. Bekanntlich besteht fast bei sämtlichen Regimentern und selbständigen Truppenteilen ein bestimmter niedrigster Satz des Privateinkommens, dus bei den betreffenden Offizieren vorausgesetzt wird, von dessen Nachweis also der Kommandeur die Annahme des Avautageurs oder Fähndrichs in der Regel abhängig macht. Die Be¬ messung dieses niedrigsten Satzes liegt formell durchaus in der Hand des Regimentskommandeurs, wenn anch seiner Festsetzung natürlich durch die Über¬ lieferung des Regiments gewisse Grenzen gezogen sind. Immerhin ist es ein¬ leuchtend, daß diese Befugnis der Truppenbefehlshnber eine weitgehende Ein¬ wirkung auf die wirtschaftliche Lebensführung des betreffenden Offizierkorps einschließt. Denn nach dem niedrigsten Satze der Einnahme bemißt sich ihr Durchschnittssatz und nach diesem wieder in einem Stande, der seiner Natur nach niemals zu den Erwerbsständen gezählt hat und zählen wird, der Dnrchschnittssatz der Ausgabe. Das Leben eines Offizierkorps gewährt ein wesentlich verschiednes Bild, je nachdem seine Mitglieder neben ihren staat¬ lichen Bezügen 75 bis »0 Mark oder 30 bis 50 Mark im Monat zu ver¬ zehren haben. An sich wird es nun für deu Regimentskommandeur sehr nahe liegen, scheinbar eine weise Vorsicht zu beobachten und seine Forderung hinsichtlich des Privateinkommens seiner Offiziere fo hoch zu stellen, wie es die Verhält¬ nisse der betreffenden Waffe im allgemeinen und der Garnison im besondern irgend rechtfertigen. Er darf dann hoffen, daß er oder doch seine Nachfolger an der Spitze eines vergleichsweise wohlhabenden Offizierkorps stehen werden, das ihnen wenig Unannehmlichkeiten durch Schuldenmachen bereiten und durch eine gewisse Freiheit seines wirtschaftlichen Auftretens den Nimbus des Regi¬ ments erhöhen wird. Eine abstrakte Betrachtung der menschlichen Dinge, der eine Würdigung geschichtlicher Zusammenhänge fremd ist, wird in dieser Rechnung keinen Fehler finden: die erstrebten Vorteile werden ohne Zweisel eintreten. Dem tieferblickenden Beobachter aber wird die verhängnisvolle Kehrseite nicht entgehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/20>, abgerufen am 11.05.2024.