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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Uunstcinsstellniigeii in München und Dresden

diesem Jahre hat Robert Haug für ein solches Bild eine Medaille erster Klasse
erhalten, worauf wir mir insofern einen Wert legen, als eine derartige Auszeichnung
immerhin dazu beiträgt, das Bild der allgemeinen Aufmerksamkeit zu empfehlen. Es
stellt dar, wie ein junger Lützower Offizier, der im Begriff steht, zu seiner Truppe zu
eilen, zur Abendzeit am Rande eines beschneiten Waldes von seiner Geliebten
Abschied nimmt. Kein heldenhaftes Pathos, keine thränenreiche Empfindsam¬
keit, überhaupt keine Szene, sondern nur ein Augenblick stillen Zauderns vor
dein letzten Entschluß, dessen unerschütterliche Festigkeit gewissermaßen durch
die schlanke und doch kraftvolle, nervige Gestalt des jungen Offiziers ver-
sinnlicht wird. Die trübe, bleigraue Stimmung der Abenddämmerung spiegelt
den Gemütszustand der beiden Scheidenden wieder und ist zugleich bezeichnend
sür die drückende Atmosphäre, die damals auf Deutschland lastete und seine
Zukunft in einen ungewissen Nebel hüllte. Während uns dieses Bild schon
an den Anfang der Befreiungsthnt führt, läßt uns Carl Marr einen Blick in
das tiefe Elend des Jahres 1806 thun. Wir sehen das Wohngemach einer
Familie, deren weibliches Haupt, von tiefem Kummer gebeugt, mit einem
kranken Kinde auf- und abschreitet. Ein zweites Kind spielt in glücklicher
Sorglosigkeit auf dem Fußboden, und zwei andre Mitglieder der Familie
halten sich in scheuer Zurückgezogenheit am Fenster auf. Denn den ganzen
mittlern Raum des Zimmers hat die französische Einquartierung einge¬
nommen, Offiziere, die sich an einem Tische, unbekümmert um den Jammer
um sie herum, mit Kartenspiel unterhalten. Auch diese Erinnerung ist ohne
jedes demonstrative Pathos vorgetragen, sie will nur durch ihren gewichtigen
Inhalt wirken, der mit durchaus absichtsloser Naivität erzählt ist. Auch ich
will den Künstlern nicht die Absicht einer Mahnung unterlegen, die sie viel¬
leicht gar nicht gehabt haben. Aber ob Absicht oder Zufall -- es ist jeden¬
falls in hohem Grade beachtenswert, daß wir fo eindringlich und beredt an
eine Zeit der ärgste" Zerrüttung unsers Staatswesens gerade jetzt erinnert
werden, wo wir der errungenen Güter so sicher zu sein glauben wie nie
zuvor.




Die Uunstcinsstellniigeii in München und Dresden

diesem Jahre hat Robert Haug für ein solches Bild eine Medaille erster Klasse
erhalten, worauf wir mir insofern einen Wert legen, als eine derartige Auszeichnung
immerhin dazu beiträgt, das Bild der allgemeinen Aufmerksamkeit zu empfehlen. Es
stellt dar, wie ein junger Lützower Offizier, der im Begriff steht, zu seiner Truppe zu
eilen, zur Abendzeit am Rande eines beschneiten Waldes von seiner Geliebten
Abschied nimmt. Kein heldenhaftes Pathos, keine thränenreiche Empfindsam¬
keit, überhaupt keine Szene, sondern nur ein Augenblick stillen Zauderns vor
dein letzten Entschluß, dessen unerschütterliche Festigkeit gewissermaßen durch
die schlanke und doch kraftvolle, nervige Gestalt des jungen Offiziers ver-
sinnlicht wird. Die trübe, bleigraue Stimmung der Abenddämmerung spiegelt
den Gemütszustand der beiden Scheidenden wieder und ist zugleich bezeichnend
sür die drückende Atmosphäre, die damals auf Deutschland lastete und seine
Zukunft in einen ungewissen Nebel hüllte. Während uns dieses Bild schon
an den Anfang der Befreiungsthnt führt, läßt uns Carl Marr einen Blick in
das tiefe Elend des Jahres 1806 thun. Wir sehen das Wohngemach einer
Familie, deren weibliches Haupt, von tiefem Kummer gebeugt, mit einem
kranken Kinde auf- und abschreitet. Ein zweites Kind spielt in glücklicher
Sorglosigkeit auf dem Fußboden, und zwei andre Mitglieder der Familie
halten sich in scheuer Zurückgezogenheit am Fenster auf. Denn den ganzen
mittlern Raum des Zimmers hat die französische Einquartierung einge¬
nommen, Offiziere, die sich an einem Tische, unbekümmert um den Jammer
um sie herum, mit Kartenspiel unterhalten. Auch diese Erinnerung ist ohne
jedes demonstrative Pathos vorgetragen, sie will nur durch ihren gewichtigen
Inhalt wirken, der mit durchaus absichtsloser Naivität erzählt ist. Auch ich
will den Künstlern nicht die Absicht einer Mahnung unterlegen, die sie viel¬
leicht gar nicht gehabt haben. Aber ob Absicht oder Zufall — es ist jeden¬
falls in hohem Grade beachtenswert, daß wir fo eindringlich und beredt an
eine Zeit der ärgste» Zerrüttung unsers Staatswesens gerade jetzt erinnert
werden, wo wir der errungenen Güter so sicher zu sein glauben wie nie
zuvor.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/200>, abgerufen am 10.05.2024.