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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die Aunstausstellnngen in München und Dresden

waren und schnell ihre Bewunderer und neue Nachahmer gefunden hatten,
wurde die naturalistische Propaganda in München mit solchem Eifer betrieben,
daß die Münchner Malerei ans der Berliner Jubiläumsausstellung von 1886
bereits einen stark naturalistischen Zug hatte. Die Münchner Ausstellungen
von 1888 und 1889 haben diesen Zug noch zu eiuer schärferen Ausprägung
gebracht, und da die Vertreter der ältern Schulen, namentlich der von Diez
und Löfftz begründeten und zur Blüte gebrachten, die ans der Ausstellung von
1883 eine glänzende malerische Leistungsfähigkeit und zugleich einen feinen und
edeln Geschmack an den Tag gelegt hatten, noch keineswegs gesonnen sind, den
Naturalisten das Feld zu räumen und ihnen das Ausstellungswesen allein zu
überlassen, so zeigt die Münchner Malerei ans der gegenwärtigen Ausstellung
ein Bild grenzenloser Verwirrung und Ratlosigkeit, in dem sich die verschiednen
Richtungen aufs heftigste befehden, ohne daß in dein allgemeinen Wirrwarr ein
sicheres Ziel, ein fester Punkt erkennbar wäre, an den sich etwa die Keime
einer neuen entwicklungsfähigen Richtung ansetzen konnten. Daß der Natura¬
lismus diese Richtung nicht ist und seinem ganzen Wesen nach nicht sein kann,
dafür liefert die Ausstellung von 1890 neues und reichliches Beweismaterial.
Die Verwirrung in München wird noch einen größern Umfang annehmen,
wenn erst die Samenkörner aufgegangen sein werden, die dieser Ausstellung
vom Auslande her zugeführt worden find.

Zu gleicher Zeit von zwei Seiten, von den Schotten und von den Franzosen,
ist den Münchner Malern ein neues Evangelium verkündet worden, das so
begeisterte Anhänger in der Jury wie in einem Teile der Presse gefunden hat,
daß wir uns nicht wundern würden, wenn die Münchner Malerei ans der
Ausstellung des nächsten Jahres teils "schottisch" aussehen, teils sich in dem
bunten Papageienstile eines Paul Albert Besnard bewegen würde. Unsre Zeit
hat uns nachgerade an die Erfahrung gewöhnt, daß es nichts so Abgeschmacktes
und Aberwitziges giebt, das nicht seine überzeugten Bewunderer, seine bis zur
Unduldsamkeit fanatischen Verteidiger fände. Mit dem Gesamtcharakter einer
Zeit, wo der Spiritismus seine üppigsten Blüten treibt, wo geistige Krank¬
heiten und seelische Verirrungen sich epidemisch verbreiten, steht es durchaus
im Einklang, daß der Veitstanz des Naturalismus in Kunst und Litteratur
immer mehr um sich greift, und da der Naturalismus am Ende auch seine
Grenzen hat, wird er denen, die die schottische Malerschule in Glasgow ent¬
deckt und ihre wunderbaren Erzeugnisse für die Münchner Ausstellung ge¬
wonnen haben, Dank dafür wissen, daß sie ihm neue Nahrung, frisches Blut
zugeführt haben. Denn der deutsche, insbesondre der Münchner Naturalismus,
der schon mit einem griesgrämiger, greisenhafter Gesicht auf die Welt ge¬
kommen ist, 'ist schnell vollends zum Greise geworden. Seit Jahren bewegt
er, sich in demselben Kreise, ohne daß es ihm gelingen will, seine vermeintlich
neue Ausdrucksweise auch an neuen Stoffen zu erproben. Er begnügt sich


Die Aunstausstellnngen in München und Dresden

waren und schnell ihre Bewunderer und neue Nachahmer gefunden hatten,
wurde die naturalistische Propaganda in München mit solchem Eifer betrieben,
daß die Münchner Malerei ans der Berliner Jubiläumsausstellung von 1886
bereits einen stark naturalistischen Zug hatte. Die Münchner Ausstellungen
von 1888 und 1889 haben diesen Zug noch zu eiuer schärferen Ausprägung
gebracht, und da die Vertreter der ältern Schulen, namentlich der von Diez
und Löfftz begründeten und zur Blüte gebrachten, die ans der Ausstellung von
1883 eine glänzende malerische Leistungsfähigkeit und zugleich einen feinen und
edeln Geschmack an den Tag gelegt hatten, noch keineswegs gesonnen sind, den
Naturalisten das Feld zu räumen und ihnen das Ausstellungswesen allein zu
überlassen, so zeigt die Münchner Malerei ans der gegenwärtigen Ausstellung
ein Bild grenzenloser Verwirrung und Ratlosigkeit, in dem sich die verschiednen
Richtungen aufs heftigste befehden, ohne daß in dein allgemeinen Wirrwarr ein
sicheres Ziel, ein fester Punkt erkennbar wäre, an den sich etwa die Keime
einer neuen entwicklungsfähigen Richtung ansetzen konnten. Daß der Natura¬
lismus diese Richtung nicht ist und seinem ganzen Wesen nach nicht sein kann,
dafür liefert die Ausstellung von 1890 neues und reichliches Beweismaterial.
Die Verwirrung in München wird noch einen größern Umfang annehmen,
wenn erst die Samenkörner aufgegangen sein werden, die dieser Ausstellung
vom Auslande her zugeführt worden find.

Zu gleicher Zeit von zwei Seiten, von den Schotten und von den Franzosen,
ist den Münchner Malern ein neues Evangelium verkündet worden, das so
begeisterte Anhänger in der Jury wie in einem Teile der Presse gefunden hat,
daß wir uns nicht wundern würden, wenn die Münchner Malerei ans der
Ausstellung des nächsten Jahres teils „schottisch" aussehen, teils sich in dem
bunten Papageienstile eines Paul Albert Besnard bewegen würde. Unsre Zeit
hat uns nachgerade an die Erfahrung gewöhnt, daß es nichts so Abgeschmacktes
und Aberwitziges giebt, das nicht seine überzeugten Bewunderer, seine bis zur
Unduldsamkeit fanatischen Verteidiger fände. Mit dem Gesamtcharakter einer
Zeit, wo der Spiritismus seine üppigsten Blüten treibt, wo geistige Krank¬
heiten und seelische Verirrungen sich epidemisch verbreiten, steht es durchaus
im Einklang, daß der Veitstanz des Naturalismus in Kunst und Litteratur
immer mehr um sich greift, und da der Naturalismus am Ende auch seine
Grenzen hat, wird er denen, die die schottische Malerschule in Glasgow ent¬
deckt und ihre wunderbaren Erzeugnisse für die Münchner Ausstellung ge¬
wonnen haben, Dank dafür wissen, daß sie ihm neue Nahrung, frisches Blut
zugeführt haben. Denn der deutsche, insbesondre der Münchner Naturalismus,
der schon mit einem griesgrämiger, greisenhafter Gesicht auf die Welt ge¬
kommen ist, 'ist schnell vollends zum Greise geworden. Seit Jahren bewegt
er, sich in demselben Kreise, ohne daß es ihm gelingen will, seine vermeintlich
neue Ausdrucksweise auch an neuen Stoffen zu erproben. Er begnügt sich


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[0032] Die Aunstausstellnngen in München und Dresden waren und schnell ihre Bewunderer und neue Nachahmer gefunden hatten, wurde die naturalistische Propaganda in München mit solchem Eifer betrieben, daß die Münchner Malerei ans der Berliner Jubiläumsausstellung von 1886 bereits einen stark naturalistischen Zug hatte. Die Münchner Ausstellungen von 1888 und 1889 haben diesen Zug noch zu eiuer schärferen Ausprägung gebracht, und da die Vertreter der ältern Schulen, namentlich der von Diez und Löfftz begründeten und zur Blüte gebrachten, die ans der Ausstellung von 1883 eine glänzende malerische Leistungsfähigkeit und zugleich einen feinen und edeln Geschmack an den Tag gelegt hatten, noch keineswegs gesonnen sind, den Naturalisten das Feld zu räumen und ihnen das Ausstellungswesen allein zu überlassen, so zeigt die Münchner Malerei ans der gegenwärtigen Ausstellung ein Bild grenzenloser Verwirrung und Ratlosigkeit, in dem sich die verschiednen Richtungen aufs heftigste befehden, ohne daß in dein allgemeinen Wirrwarr ein sicheres Ziel, ein fester Punkt erkennbar wäre, an den sich etwa die Keime einer neuen entwicklungsfähigen Richtung ansetzen konnten. Daß der Natura¬ lismus diese Richtung nicht ist und seinem ganzen Wesen nach nicht sein kann, dafür liefert die Ausstellung von 1890 neues und reichliches Beweismaterial. Die Verwirrung in München wird noch einen größern Umfang annehmen, wenn erst die Samenkörner aufgegangen sein werden, die dieser Ausstellung vom Auslande her zugeführt worden find. Zu gleicher Zeit von zwei Seiten, von den Schotten und von den Franzosen, ist den Münchner Malern ein neues Evangelium verkündet worden, das so begeisterte Anhänger in der Jury wie in einem Teile der Presse gefunden hat, daß wir uns nicht wundern würden, wenn die Münchner Malerei ans der Ausstellung des nächsten Jahres teils „schottisch" aussehen, teils sich in dem bunten Papageienstile eines Paul Albert Besnard bewegen würde. Unsre Zeit hat uns nachgerade an die Erfahrung gewöhnt, daß es nichts so Abgeschmacktes und Aberwitziges giebt, das nicht seine überzeugten Bewunderer, seine bis zur Unduldsamkeit fanatischen Verteidiger fände. Mit dem Gesamtcharakter einer Zeit, wo der Spiritismus seine üppigsten Blüten treibt, wo geistige Krank¬ heiten und seelische Verirrungen sich epidemisch verbreiten, steht es durchaus im Einklang, daß der Veitstanz des Naturalismus in Kunst und Litteratur immer mehr um sich greift, und da der Naturalismus am Ende auch seine Grenzen hat, wird er denen, die die schottische Malerschule in Glasgow ent¬ deckt und ihre wunderbaren Erzeugnisse für die Münchner Ausstellung ge¬ wonnen haben, Dank dafür wissen, daß sie ihm neue Nahrung, frisches Blut zugeführt haben. Denn der deutsche, insbesondre der Münchner Naturalismus, der schon mit einem griesgrämiger, greisenhafter Gesicht auf die Welt ge¬ kommen ist, 'ist schnell vollends zum Greise geworden. Seit Jahren bewegt er, sich in demselben Kreise, ohne daß es ihm gelingen will, seine vermeintlich neue Ausdrucksweise auch an neuen Stoffen zu erproben. Er begnügt sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/32>, abgerufen am 12.05.2024.