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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Mädchvnerziehmig in Frankreich

werden stetig vermehrt, um auch unbemittelten Schülerinnen die Möglichkeit des
Besuches solcher Schulen zu gewähren. Mau legt Gewicht darauf, daß die Schulen
eine wahrhaft demokratische Einrichtung (in8Ututivn or^liront, ämnaer-rticiaL)
werden. Auch Tochter der Bauern und Handwerker sollen sie zu besuchen in
der Lage sein. Die außerhalb der Schulen wohnenden Schülerinnen sind ent¬
weder solche, die den ganzen Tag über in der Schule bleiben (überwachte
Externen), oder solche, die nur während der eigentlichen Unterrichtsstunden die
Schule besuchen (freie Externen). Die überwachten Externen kommen früh
acht Uhr ins Lycve und kehren je nach der Jahreszeit um sieben oder acht Uhr
abends in die Familie zurück. Ju diesen Zeitraum fallen 4 Stunden auf
Schulunterricht, 3''/-z Stunde auf Schularbeiten nud 2^ Stunde auf Er¬
holung; zur Erholungszeit wird auch die Zeit des Mittagessens gerechnet.
Die freien Externen haben nur 4 Stunde" täglich Schule; dreimal in der
Woche bleiben sie bis Mittag im Lyeoe, um sich mit Nadelarbeiten und
gymnastischen Übungen zu beschäftigen. Die häuslichen Arbeiten erfordern
eine Zeit von Z bis 4 Stunden. Von dieser Zeit wird ein großer Teil für
das Auswendiglernen in Anspruch genommen. Die Leitfäden der verschiednen
Unterrichtsgegenstände sind vielfach in Fragen und Antworten abgefaßt und
werden wörtlich auswendig gelernt (le^vns), wie denn in sämtlichen Schulen
des Landes, niedern wie höhern, ein übermäßiger Gedächtnisknltns den lebendigen
Unterricht ersetzen muß.

Nach dem Bericht des Unterrichtsministers in der Deputirtenkammer betrug
der Staatszuschnß im Jahre 1887 1395000 Franks; die Zahl der Schülerinnen
belief sich etwa auf 10000. Die Unterrichtsgegenstände sind außer Griechisch
nud Latein alle Unterrichtsgegenstände der Sekundärschule für das männliche
Geschlecht, insbesondre die der ooolö "LLcmämro LpLomle,, unsrer Realschule.
Nach Artikel 4 des Gesetzes soll zunächst, wie in allen andern öffentlichen
Schulen, moralischer Unterricht erteilt werden; der Religionsunterricht wird,
wenn es die Eltern wünschen, durch die Diener der verschiednen Kulte außer
der eigentlichen Schulzeit erteilt. Geistliche dürfen in der Schule uicht wohnen.
Weiter bietet die Schule Unterricht in der Muttersprache und wenigstens in
einer andern lebenden Sprache, in alten und neuern schönen Wissenschaften
(IiUvr!rUn'ö8), in Geographie und Weltkunde (ooMiag'ranbie,), nationaler und
allgemeiner Geschichte, Arithmetik, den Elementen der Geometrie, Chemie,
Physik und Naturgeschichte, in Gesundheitslehre, Hanswirtschaftslehre (vooucmiiö
6von!Lti<ins), Nadelarbeiteu, deu Begriffen des herrschenden Rechts (äroit ususl),
im Zeichnen, in der Musik und in der Gymnastik. Auch kaun ein Kursus
in der Pädagogik angefügt werden. Ausgenommen werden die Mädchen in
die Schule nach einer Prüfung mit dem zwölften Jahre. Die Kursnsdauer
ist fünfjährig. Bei Abgang von der Schule wird, wenn der Besuch ein drei¬
jähriger oder vollständiger war, je ein Zeugnis ausgestellt. Auch das Zeugnis


Mädchvnerziehmig in Frankreich

werden stetig vermehrt, um auch unbemittelten Schülerinnen die Möglichkeit des
Besuches solcher Schulen zu gewähren. Mau legt Gewicht darauf, daß die Schulen
eine wahrhaft demokratische Einrichtung (in8Ututivn or^liront, ämnaer-rticiaL)
werden. Auch Tochter der Bauern und Handwerker sollen sie zu besuchen in
der Lage sein. Die außerhalb der Schulen wohnenden Schülerinnen sind ent¬
weder solche, die den ganzen Tag über in der Schule bleiben (überwachte
Externen), oder solche, die nur während der eigentlichen Unterrichtsstunden die
Schule besuchen (freie Externen). Die überwachten Externen kommen früh
acht Uhr ins Lycve und kehren je nach der Jahreszeit um sieben oder acht Uhr
abends in die Familie zurück. Ju diesen Zeitraum fallen 4 Stunden auf
Schulunterricht, 3''/-z Stunde auf Schularbeiten nud 2^ Stunde auf Er¬
holung; zur Erholungszeit wird auch die Zeit des Mittagessens gerechnet.
Die freien Externen haben nur 4 Stunde» täglich Schule; dreimal in der
Woche bleiben sie bis Mittag im Lyeoe, um sich mit Nadelarbeiten und
gymnastischen Übungen zu beschäftigen. Die häuslichen Arbeiten erfordern
eine Zeit von Z bis 4 Stunden. Von dieser Zeit wird ein großer Teil für
das Auswendiglernen in Anspruch genommen. Die Leitfäden der verschiednen
Unterrichtsgegenstände sind vielfach in Fragen und Antworten abgefaßt und
werden wörtlich auswendig gelernt (le^vns), wie denn in sämtlichen Schulen
des Landes, niedern wie höhern, ein übermäßiger Gedächtnisknltns den lebendigen
Unterricht ersetzen muß.

Nach dem Bericht des Unterrichtsministers in der Deputirtenkammer betrug
der Staatszuschnß im Jahre 1887 1395000 Franks; die Zahl der Schülerinnen
belief sich etwa auf 10000. Die Unterrichtsgegenstände sind außer Griechisch
nud Latein alle Unterrichtsgegenstände der Sekundärschule für das männliche
Geschlecht, insbesondre die der ooolö «LLcmämro LpLomle,, unsrer Realschule.
Nach Artikel 4 des Gesetzes soll zunächst, wie in allen andern öffentlichen
Schulen, moralischer Unterricht erteilt werden; der Religionsunterricht wird,
wenn es die Eltern wünschen, durch die Diener der verschiednen Kulte außer
der eigentlichen Schulzeit erteilt. Geistliche dürfen in der Schule uicht wohnen.
Weiter bietet die Schule Unterricht in der Muttersprache und wenigstens in
einer andern lebenden Sprache, in alten und neuern schönen Wissenschaften
(IiUvr!rUn'ö8), in Geographie und Weltkunde (ooMiag'ranbie,), nationaler und
allgemeiner Geschichte, Arithmetik, den Elementen der Geometrie, Chemie,
Physik und Naturgeschichte, in Gesundheitslehre, Hanswirtschaftslehre (vooucmiiö
6von!Lti<ins), Nadelarbeiteu, deu Begriffen des herrschenden Rechts (äroit ususl),
im Zeichnen, in der Musik und in der Gymnastik. Auch kaun ein Kursus
in der Pädagogik angefügt werden. Ausgenommen werden die Mädchen in
die Schule nach einer Prüfung mit dem zwölften Jahre. Die Kursnsdauer
ist fünfjährig. Bei Abgang von der Schule wird, wenn der Besuch ein drei¬
jähriger oder vollständiger war, je ein Zeugnis ausgestellt. Auch das Zeugnis


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[0331] Mädchvnerziehmig in Frankreich werden stetig vermehrt, um auch unbemittelten Schülerinnen die Möglichkeit des Besuches solcher Schulen zu gewähren. Mau legt Gewicht darauf, daß die Schulen eine wahrhaft demokratische Einrichtung (in8Ututivn or^liront, ämnaer-rticiaL) werden. Auch Tochter der Bauern und Handwerker sollen sie zu besuchen in der Lage sein. Die außerhalb der Schulen wohnenden Schülerinnen sind ent¬ weder solche, die den ganzen Tag über in der Schule bleiben (überwachte Externen), oder solche, die nur während der eigentlichen Unterrichtsstunden die Schule besuchen (freie Externen). Die überwachten Externen kommen früh acht Uhr ins Lycve und kehren je nach der Jahreszeit um sieben oder acht Uhr abends in die Familie zurück. Ju diesen Zeitraum fallen 4 Stunden auf Schulunterricht, 3''/-z Stunde auf Schularbeiten nud 2^ Stunde auf Er¬ holung; zur Erholungszeit wird auch die Zeit des Mittagessens gerechnet. Die freien Externen haben nur 4 Stunde» täglich Schule; dreimal in der Woche bleiben sie bis Mittag im Lyeoe, um sich mit Nadelarbeiten und gymnastischen Übungen zu beschäftigen. Die häuslichen Arbeiten erfordern eine Zeit von Z bis 4 Stunden. Von dieser Zeit wird ein großer Teil für das Auswendiglernen in Anspruch genommen. Die Leitfäden der verschiednen Unterrichtsgegenstände sind vielfach in Fragen und Antworten abgefaßt und werden wörtlich auswendig gelernt (le^vns), wie denn in sämtlichen Schulen des Landes, niedern wie höhern, ein übermäßiger Gedächtnisknltns den lebendigen Unterricht ersetzen muß. Nach dem Bericht des Unterrichtsministers in der Deputirtenkammer betrug der Staatszuschnß im Jahre 1887 1395000 Franks; die Zahl der Schülerinnen belief sich etwa auf 10000. Die Unterrichtsgegenstände sind außer Griechisch nud Latein alle Unterrichtsgegenstände der Sekundärschule für das männliche Geschlecht, insbesondre die der ooolö «LLcmämro LpLomle,, unsrer Realschule. Nach Artikel 4 des Gesetzes soll zunächst, wie in allen andern öffentlichen Schulen, moralischer Unterricht erteilt werden; der Religionsunterricht wird, wenn es die Eltern wünschen, durch die Diener der verschiednen Kulte außer der eigentlichen Schulzeit erteilt. Geistliche dürfen in der Schule uicht wohnen. Weiter bietet die Schule Unterricht in der Muttersprache und wenigstens in einer andern lebenden Sprache, in alten und neuern schönen Wissenschaften (IiUvr!rUn'ö8), in Geographie und Weltkunde (ooMiag'ranbie,), nationaler und allgemeiner Geschichte, Arithmetik, den Elementen der Geometrie, Chemie, Physik und Naturgeschichte, in Gesundheitslehre, Hanswirtschaftslehre (vooucmiiö 6von!Lti<ins), Nadelarbeiteu, deu Begriffen des herrschenden Rechts (äroit ususl), im Zeichnen, in der Musik und in der Gymnastik. Auch kaun ein Kursus in der Pädagogik angefügt werden. Ausgenommen werden die Mädchen in die Schule nach einer Prüfung mit dem zwölften Jahre. Die Kursnsdauer ist fünfjährig. Bei Abgang von der Schule wird, wenn der Besuch ein drei¬ jähriger oder vollständiger war, je ein Zeugnis ausgestellt. Auch das Zeugnis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/331>, abgerufen am 09.05.2024.