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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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mit dem architektonischen Nahmen, der eine strengere Einordnung in sein
Gefüge verlangt.

Auch in Holland scheint der grämliche Naturalismus, die "Armeleut-
malerei" eines Israels und seines Nachahmers Albert Neuhnys nur das große
Wort zu führen, nicht aber die koloristischen Bestrebungen nud den geistigen
Inhalt der holländischen Malerei ausschließlich zu vertreten. Ein Heer von
Nachahmern zu bilden, die lauter Rembrandts, Jan seems, Ruisdaels, Ter-
borchs und Pieter de Hovchs fabriziren, soll nicht die Aufgabe der großen
Gemäldesammlungen im Haag, in Haarlem und Amsterdam sein, die trotz alle"
Raubes und aller leichtfertigen Verschleudernngssncht immer noch die Blute
der nationalen Kunst des siebzehnten Jahrhunderts zu aller Augenweide und
Freude beherbergen. Aber diese Schöpfungen wurzeln auch heute noch so
tief im Volkstum, daß nur durch sie, nicht durch das dem Volksstnmm auf¬
gepfropfte französische Reis eine Wiedergeburt der nationalen Kunst erfolgen
kann. Man wurde an der Zukunft des holländischen Volkes oder doch an
seiner Fähigkeit zur förderlichen Mitarbeit an den gemeinsamen Aufgaben der
Kulturvölker verzweifeln, wenn der Zusammenhang zwischen Gegenwart und
Vergangenheit wirklich ganz zerrissen wäre. Aber dem. ist nicht so. Die
Münchner Ausstellung giebt uns wenigstens zwei tröstliche, überzeugende Be¬
weise, den einen in dem Genrebilde "Sonnenschein in Hans und Herz"
-- eine junge blonde Frau, die von dem in ihr Gemach einfallenden Sonnen¬
licht mit goldig glänzendem Gespinst umwoben vor einem Pulte steht und
in ein Schriftstück blickt - von Christoffel Bisschop, der die poetische Art
Pieter de Hovchs noch zu größerer malerischer Virtuosität ausgebildet und an
Stoffen aus dein modernen Leben erprobt hat, den andern Beweis in zwei
Bildern von Therese schwartze, einer Malerin, die alles Dilettantenhafte und
Unzulängliche in Technik, Auffassung und Charakteristik überwunden hat, das
sonst den Werken ihrer malenden Schwestern anhaftet, ohne daß jedoch irgend
eine Spur emanzipirten Wesens durchblickte. Ihr entschlossener, unerschrockener
Charakter spiegelt sich in ihrem Selbstbildnis, die große Summe ihrer male¬
rischen, an Rembrandt großgezogenen und doch selbständigem, manierfreien
Leistungsfähigkeit in einer Gruppe holländischer Waisenmädchen, die unter
Klavierbegleitung einen Psalm singen Das ist reine, freie und doch mit
künstlerischem Blick aufgefangene Natur, und so lange es noch Künstler giebt,
die so die Natur sehen und malen können, darf uns das Gespenst des Natu¬
ralismus keine Sorge machen. Es ist keine große, allgemeine Volkskrankheit,
die allgemeine Absperrungsmaßregeln der Gesundheitspolizei forderte, sondern
eine niedrige Spekulation auf die Dummheit der Massen, die von einigen
wenigen Schlauköpfen, die im Trüben fischen wollen, in Szene gesetzt worden
ist und mit den schamlosesten Mitteln unterhalten wird.




mit dem architektonischen Nahmen, der eine strengere Einordnung in sein
Gefüge verlangt.

Auch in Holland scheint der grämliche Naturalismus, die „Armeleut-
malerei" eines Israels und seines Nachahmers Albert Neuhnys nur das große
Wort zu führen, nicht aber die koloristischen Bestrebungen nud den geistigen
Inhalt der holländischen Malerei ausschließlich zu vertreten. Ein Heer von
Nachahmern zu bilden, die lauter Rembrandts, Jan seems, Ruisdaels, Ter-
borchs und Pieter de Hovchs fabriziren, soll nicht die Aufgabe der großen
Gemäldesammlungen im Haag, in Haarlem und Amsterdam sein, die trotz alle»
Raubes und aller leichtfertigen Verschleudernngssncht immer noch die Blute
der nationalen Kunst des siebzehnten Jahrhunderts zu aller Augenweide und
Freude beherbergen. Aber diese Schöpfungen wurzeln auch heute noch so
tief im Volkstum, daß nur durch sie, nicht durch das dem Volksstnmm auf¬
gepfropfte französische Reis eine Wiedergeburt der nationalen Kunst erfolgen
kann. Man wurde an der Zukunft des holländischen Volkes oder doch an
seiner Fähigkeit zur förderlichen Mitarbeit an den gemeinsamen Aufgaben der
Kulturvölker verzweifeln, wenn der Zusammenhang zwischen Gegenwart und
Vergangenheit wirklich ganz zerrissen wäre. Aber dem. ist nicht so. Die
Münchner Ausstellung giebt uns wenigstens zwei tröstliche, überzeugende Be¬
weise, den einen in dem Genrebilde „Sonnenschein in Hans und Herz"
— eine junge blonde Frau, die von dem in ihr Gemach einfallenden Sonnen¬
licht mit goldig glänzendem Gespinst umwoben vor einem Pulte steht und
in ein Schriftstück blickt - von Christoffel Bisschop, der die poetische Art
Pieter de Hovchs noch zu größerer malerischer Virtuosität ausgebildet und an
Stoffen aus dein modernen Leben erprobt hat, den andern Beweis in zwei
Bildern von Therese schwartze, einer Malerin, die alles Dilettantenhafte und
Unzulängliche in Technik, Auffassung und Charakteristik überwunden hat, das
sonst den Werken ihrer malenden Schwestern anhaftet, ohne daß jedoch irgend
eine Spur emanzipirten Wesens durchblickte. Ihr entschlossener, unerschrockener
Charakter spiegelt sich in ihrem Selbstbildnis, die große Summe ihrer male¬
rischen, an Rembrandt großgezogenen und doch selbständigem, manierfreien
Leistungsfähigkeit in einer Gruppe holländischer Waisenmädchen, die unter
Klavierbegleitung einen Psalm singen Das ist reine, freie und doch mit
künstlerischem Blick aufgefangene Natur, und so lange es noch Künstler giebt,
die so die Natur sehen und malen können, darf uns das Gespenst des Natu¬
ralismus keine Sorge machen. Es ist keine große, allgemeine Volkskrankheit,
die allgemeine Absperrungsmaßregeln der Gesundheitspolizei forderte, sondern
eine niedrige Spekulation auf die Dummheit der Massen, die von einigen
wenigen Schlauköpfen, die im Trüben fischen wollen, in Szene gesetzt worden
ist und mit den schamlosesten Mitteln unterhalten wird.




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[0379] mit dem architektonischen Nahmen, der eine strengere Einordnung in sein Gefüge verlangt. Auch in Holland scheint der grämliche Naturalismus, die „Armeleut- malerei" eines Israels und seines Nachahmers Albert Neuhnys nur das große Wort zu führen, nicht aber die koloristischen Bestrebungen nud den geistigen Inhalt der holländischen Malerei ausschließlich zu vertreten. Ein Heer von Nachahmern zu bilden, die lauter Rembrandts, Jan seems, Ruisdaels, Ter- borchs und Pieter de Hovchs fabriziren, soll nicht die Aufgabe der großen Gemäldesammlungen im Haag, in Haarlem und Amsterdam sein, die trotz alle» Raubes und aller leichtfertigen Verschleudernngssncht immer noch die Blute der nationalen Kunst des siebzehnten Jahrhunderts zu aller Augenweide und Freude beherbergen. Aber diese Schöpfungen wurzeln auch heute noch so tief im Volkstum, daß nur durch sie, nicht durch das dem Volksstnmm auf¬ gepfropfte französische Reis eine Wiedergeburt der nationalen Kunst erfolgen kann. Man wurde an der Zukunft des holländischen Volkes oder doch an seiner Fähigkeit zur förderlichen Mitarbeit an den gemeinsamen Aufgaben der Kulturvölker verzweifeln, wenn der Zusammenhang zwischen Gegenwart und Vergangenheit wirklich ganz zerrissen wäre. Aber dem. ist nicht so. Die Münchner Ausstellung giebt uns wenigstens zwei tröstliche, überzeugende Be¬ weise, den einen in dem Genrebilde „Sonnenschein in Hans und Herz" — eine junge blonde Frau, die von dem in ihr Gemach einfallenden Sonnen¬ licht mit goldig glänzendem Gespinst umwoben vor einem Pulte steht und in ein Schriftstück blickt - von Christoffel Bisschop, der die poetische Art Pieter de Hovchs noch zu größerer malerischer Virtuosität ausgebildet und an Stoffen aus dein modernen Leben erprobt hat, den andern Beweis in zwei Bildern von Therese schwartze, einer Malerin, die alles Dilettantenhafte und Unzulängliche in Technik, Auffassung und Charakteristik überwunden hat, das sonst den Werken ihrer malenden Schwestern anhaftet, ohne daß jedoch irgend eine Spur emanzipirten Wesens durchblickte. Ihr entschlossener, unerschrockener Charakter spiegelt sich in ihrem Selbstbildnis, die große Summe ihrer male¬ rischen, an Rembrandt großgezogenen und doch selbständigem, manierfreien Leistungsfähigkeit in einer Gruppe holländischer Waisenmädchen, die unter Klavierbegleitung einen Psalm singen Das ist reine, freie und doch mit künstlerischem Blick aufgefangene Natur, und so lange es noch Künstler giebt, die so die Natur sehen und malen können, darf uns das Gespenst des Natu¬ ralismus keine Sorge machen. Es ist keine große, allgemeine Volkskrankheit, die allgemeine Absperrungsmaßregeln der Gesundheitspolizei forderte, sondern eine niedrige Spekulation auf die Dummheit der Massen, die von einigen wenigen Schlauköpfen, die im Trüben fischen wollen, in Szene gesetzt worden ist und mit den schamlosesten Mitteln unterhalten wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/379>, abgerufen am 10.05.2024.