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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

lieb, denn meine Mutter hatte eine schöne Stimme, und Öl und Lichte kosteten
noch einmal so viel als sonst. Der Pfarrer aber war klug genug. Damit
er das Geleucht ersparte, kam er abends bald zu dem, bald zu dem, und man
mußte ihm noch obendrein Papier geben, worauf er dann mit Bleistift, wie
er sagte, etwas aufschrieb, was ihm eingefallen war. Denn wenn der Pfarrer
abends zum Besuche kam, konnte man ihn nicht im Finstern sitzen lassen. Und
so machte er seine Predigten, und die guten Narren mußten ihn in Licht und
Papier dabei frei halten. Mein Vater aber war ein eigensinniger Mann; alles
und jedes mußte an seinein Platze sein, und alles und jedes mußte zu seiner
Zeit geschehen. -- Das ist wohl das Ihre?

Weil nun, wie gesagt, der Pfarrer diesen Abend nicht bei meinen Eltern
war, so sangen sie noch: Nun ruhen alle Wälder, machten die Laden zu und
dann die Thür und legten sich in Gottes Namen zur Ruhe. Es gab damals
viele Leute, die nicht so ruhig schliefen, wie meine Eltern, denn die Butter
kostete einen Thaler und acht Groschen, und das Fleisch war nicht zu be¬
zahlen; und der Hunger ist ein unbequemer Bettgenosse, er dreht sich im
leeren Magen hin und her, wie einer, der nicht schlafen kann, und wer ihn
im Leibe hat, dem gehts nicht besser. Meine Eltern aber, Gott habe sie selig,
schliefen, bis sie aufwachten, und da war die Nacht vorbei, und es war Tag.
Denn mein Vater war ein eigensinniger Mann; alles und jedes mußte an
seinem Platze sein, und alles und jedes mußte zu seiner Zeit geschehen. -- Das
ist wohl das Ihre? --

Nun trank er früh im Bette gern einen Kümmel. Diesmal aber wußte
er nicht, sollte ers thun, oder sollte ers nicht thun. Denn es war alles teuer;
die Butter kostete einen Thaler und acht Groschen, und das Fleisch war nicht
zu bezahlen. Endlich aber dachte er: Gestern war der Pfarrer nicht da, und
du hast Geleucht und Papier zu seiner Predigt erspart. So, dachte er, kannst
dn in Gottes Namen einen trinken. Meine Mutter war schon auf; ehe sie
noch ihr Halstuch umthat, ging sie gewöhnlich an den Schrank, worin die
Flasche stand. Dasmal aber wurde meinem Vater sein Kümmel verkümmelt.
Draußen gings auf einmal los, als sollte die Welt untergehen. Pferde trabten
vorbei. Das wieherte und trompetete und rasselte und fluchte und sakramen-
tirte dermaßen durch einander, daß mein Vater mit gleichen Beinen in die
Hosen fuhr. Er war ein beherzter Mann, aber es war ihm nicht einerlei,
wie er den Laden aufmachte, um zu sehen, was es gebe. Und das geschah
nicht nur bei meinen Eltern, sondern in allen Häusern war Angst und
Schrecken. Draußen aber war der siebenjährige Krieg. -- Sehen Sie, das war
der siebenjährige Krieg, und ist kein Wort davon oder dazu, denn mein Vater
war ein eigensinniger Mann. Alles und jedes mußte an seinem Platze sein,
und alles und jedes mußte zu seiner Zeit geschehen. -- Das ist wohl das Ihre?

(Fortsetzung folgt)




Die wahrhaftige Geschichte von den drei Wünschen

lieb, denn meine Mutter hatte eine schöne Stimme, und Öl und Lichte kosteten
noch einmal so viel als sonst. Der Pfarrer aber war klug genug. Damit
er das Geleucht ersparte, kam er abends bald zu dem, bald zu dem, und man
mußte ihm noch obendrein Papier geben, worauf er dann mit Bleistift, wie
er sagte, etwas aufschrieb, was ihm eingefallen war. Denn wenn der Pfarrer
abends zum Besuche kam, konnte man ihn nicht im Finstern sitzen lassen. Und
so machte er seine Predigten, und die guten Narren mußten ihn in Licht und
Papier dabei frei halten. Mein Vater aber war ein eigensinniger Mann; alles
und jedes mußte an seinein Platze sein, und alles und jedes mußte zu seiner
Zeit geschehen. — Das ist wohl das Ihre?

Weil nun, wie gesagt, der Pfarrer diesen Abend nicht bei meinen Eltern
war, so sangen sie noch: Nun ruhen alle Wälder, machten die Laden zu und
dann die Thür und legten sich in Gottes Namen zur Ruhe. Es gab damals
viele Leute, die nicht so ruhig schliefen, wie meine Eltern, denn die Butter
kostete einen Thaler und acht Groschen, und das Fleisch war nicht zu be¬
zahlen; und der Hunger ist ein unbequemer Bettgenosse, er dreht sich im
leeren Magen hin und her, wie einer, der nicht schlafen kann, und wer ihn
im Leibe hat, dem gehts nicht besser. Meine Eltern aber, Gott habe sie selig,
schliefen, bis sie aufwachten, und da war die Nacht vorbei, und es war Tag.
Denn mein Vater war ein eigensinniger Mann; alles und jedes mußte an
seinem Platze sein, und alles und jedes mußte zu seiner Zeit geschehen. — Das
ist wohl das Ihre? —

Nun trank er früh im Bette gern einen Kümmel. Diesmal aber wußte
er nicht, sollte ers thun, oder sollte ers nicht thun. Denn es war alles teuer;
die Butter kostete einen Thaler und acht Groschen, und das Fleisch war nicht
zu bezahlen. Endlich aber dachte er: Gestern war der Pfarrer nicht da, und
du hast Geleucht und Papier zu seiner Predigt erspart. So, dachte er, kannst
dn in Gottes Namen einen trinken. Meine Mutter war schon auf; ehe sie
noch ihr Halstuch umthat, ging sie gewöhnlich an den Schrank, worin die
Flasche stand. Dasmal aber wurde meinem Vater sein Kümmel verkümmelt.
Draußen gings auf einmal los, als sollte die Welt untergehen. Pferde trabten
vorbei. Das wieherte und trompetete und rasselte und fluchte und sakramen-
tirte dermaßen durch einander, daß mein Vater mit gleichen Beinen in die
Hosen fuhr. Er war ein beherzter Mann, aber es war ihm nicht einerlei,
wie er den Laden aufmachte, um zu sehen, was es gebe. Und das geschah
nicht nur bei meinen Eltern, sondern in allen Häusern war Angst und
Schrecken. Draußen aber war der siebenjährige Krieg. — Sehen Sie, das war
der siebenjährige Krieg, und ist kein Wort davon oder dazu, denn mein Vater
war ein eigensinniger Mann. Alles und jedes mußte an seinem Platze sein,
und alles und jedes mußte zu seiner Zeit geschehen. — Das ist wohl das Ihre?

(Fortsetzung folgt)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/396>, abgerufen am 09.05.2024.