Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sodoms Lüde

Verbot die seit Jahresfrist gehegten Hoffnungen auf goldne Ernten zu nichte
zu machen schien, im Direktionsbüreau des Berliner Lessingtheaters größer
gewesen zu sein, als im Lager des Dichters und seiner journalistischen Unter¬
nehmer und Teilhaber. Wahrend der bedrängte Theaterdirektor die Sache
realistisch vom Standpunkte seiner Kasse auffaßte und die maßgebenden Instanzen
dnrch Nachgiebigkeit, durch Preisgebung der beanstandeten Stellen umzustimmen
suchte, gefielen sich Sudermauu und seine litterarischen Genossen in der Rolle
entrüsteter Sittenprediger, die in ihrem heiligen Vorhaben durch die Blindheit
der Obrigkeit gestört würden. Als es dem Direktor bereits gelungen war,
den Behörden eine mildere Auffassung von "Sodoms Ende" beizubringen,
versandte die Redaktion des "Magazins für Litteratur," das nach häufigen
Wandlungen kürzlich in den Besitz der Verleger Sudermanns übergegangen
ist, das also, wie sich der "Berliner Börsenkurier" in seiner zaghaften Art
ausdrückt, dem Dichter "litterarisch nahesteht," eine Erklärung, in der sie mit
der Veröffentlichung des verbotenen Stückes in seinem Wortlaut drohte.
Sie hat damit eine Weile gewartet, und als sie mit den ersten Szenen
des Dramas kam, war die sittliche Entrüstung einer merklichen Abkühlung
gewichen, nachdem die erste Aufführung einen sehr ruhigen, von keinem
Sturm erschütterten Verlauf genommen hatte. Gegen alle theatralischen
Wetterregeln hat es keinen Kampf widerstrebender Elemente, keinen Streit
litterarischer Parteien gegeben, und wer behauptet, daß das Publikum der
ersten Aufführung eine ungewöhnliche Erregung gezeigt habe, der lügt entweder,
"der er hat noch nie vorher der ersten Aufführung eines neuen Schauspieles
in einem Berliner Theater beigewohnt. Die Grundstimmung des Publikums
senkte sich von gespannter Erwartung schnell zur Enttäuschung, und von da
war nur noch ein kleiner Schritt zur Langenweile, um die sich der Dichter
in seinem Bestreben, der Natur möglichst nahe auf den Leib zu rücken, redlich
bemüht hat. Seit Menschengedenken hat das stärkste aller Reklamemittel, das
polizeiliche Verbot, zum erstenmale seine Wirkung versagt, und noch dazu
versagt, trotzdem daß der juristische Beistand aller von der Zensur bedrängten
Schriftsteller und Künstler aus dem freisinnigen Lager, der Rechtsanwalt und
freisinnige Agitator I)r. Grelling, seine gewaltige Stimme gegen die Theater¬
zensur im "Magazin für Litteratur" erhoben hatte.

Das ist ein Fall, der in erster Linie den Reklamebüreaus zu denken giebt
und sie zu eiuer gründlichen Verbesserung ihrer keineswegs an Schüchternheit
leidenden Einrichtungen veranlassen könnte. Der Fall kann aber auch zu
ernstern Betrachtungen anregen. Haben die zwei Jahre, die seit dem Tode
des großen Kaisers verflossen sind, wirklich ausgereicht, um auf allen Gebieten
des öffentlichen Lebens -- wir wollen nicht sagen: eine Versumpfung -- aber
eine allgemeine Unsicherheit, eine Unlust des Schaffens, eine Abstumpfung
gegen jede Autorität herbeizuführen? Ist das polizeiliche Verbot eines Theater-


Sodoms Lüde

Verbot die seit Jahresfrist gehegten Hoffnungen auf goldne Ernten zu nichte
zu machen schien, im Direktionsbüreau des Berliner Lessingtheaters größer
gewesen zu sein, als im Lager des Dichters und seiner journalistischen Unter¬
nehmer und Teilhaber. Wahrend der bedrängte Theaterdirektor die Sache
realistisch vom Standpunkte seiner Kasse auffaßte und die maßgebenden Instanzen
dnrch Nachgiebigkeit, durch Preisgebung der beanstandeten Stellen umzustimmen
suchte, gefielen sich Sudermauu und seine litterarischen Genossen in der Rolle
entrüsteter Sittenprediger, die in ihrem heiligen Vorhaben durch die Blindheit
der Obrigkeit gestört würden. Als es dem Direktor bereits gelungen war,
den Behörden eine mildere Auffassung von „Sodoms Ende" beizubringen,
versandte die Redaktion des „Magazins für Litteratur," das nach häufigen
Wandlungen kürzlich in den Besitz der Verleger Sudermanns übergegangen
ist, das also, wie sich der „Berliner Börsenkurier" in seiner zaghaften Art
ausdrückt, dem Dichter „litterarisch nahesteht," eine Erklärung, in der sie mit
der Veröffentlichung des verbotenen Stückes in seinem Wortlaut drohte.
Sie hat damit eine Weile gewartet, und als sie mit den ersten Szenen
des Dramas kam, war die sittliche Entrüstung einer merklichen Abkühlung
gewichen, nachdem die erste Aufführung einen sehr ruhigen, von keinem
Sturm erschütterten Verlauf genommen hatte. Gegen alle theatralischen
Wetterregeln hat es keinen Kampf widerstrebender Elemente, keinen Streit
litterarischer Parteien gegeben, und wer behauptet, daß das Publikum der
ersten Aufführung eine ungewöhnliche Erregung gezeigt habe, der lügt entweder,
»der er hat noch nie vorher der ersten Aufführung eines neuen Schauspieles
in einem Berliner Theater beigewohnt. Die Grundstimmung des Publikums
senkte sich von gespannter Erwartung schnell zur Enttäuschung, und von da
war nur noch ein kleiner Schritt zur Langenweile, um die sich der Dichter
in seinem Bestreben, der Natur möglichst nahe auf den Leib zu rücken, redlich
bemüht hat. Seit Menschengedenken hat das stärkste aller Reklamemittel, das
polizeiliche Verbot, zum erstenmale seine Wirkung versagt, und noch dazu
versagt, trotzdem daß der juristische Beistand aller von der Zensur bedrängten
Schriftsteller und Künstler aus dem freisinnigen Lager, der Rechtsanwalt und
freisinnige Agitator I)r. Grelling, seine gewaltige Stimme gegen die Theater¬
zensur im „Magazin für Litteratur" erhoben hatte.

Das ist ein Fall, der in erster Linie den Reklamebüreaus zu denken giebt
und sie zu eiuer gründlichen Verbesserung ihrer keineswegs an Schüchternheit
leidenden Einrichtungen veranlassen könnte. Der Fall kann aber auch zu
ernstern Betrachtungen anregen. Haben die zwei Jahre, die seit dem Tode
des großen Kaisers verflossen sind, wirklich ausgereicht, um auf allen Gebieten
des öffentlichen Lebens — wir wollen nicht sagen: eine Versumpfung — aber
eine allgemeine Unsicherheit, eine Unlust des Schaffens, eine Abstumpfung
gegen jede Autorität herbeizuführen? Ist das polizeiliche Verbot eines Theater-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0422" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/209001"/>
          <fw type="header" place="top"> Sodoms Lüde</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1213" prev="#ID_1212"> Verbot die seit Jahresfrist gehegten Hoffnungen auf goldne Ernten zu nichte<lb/>
zu machen schien, im Direktionsbüreau des Berliner Lessingtheaters größer<lb/>
gewesen zu sein, als im Lager des Dichters und seiner journalistischen Unter¬<lb/>
nehmer und Teilhaber. Wahrend der bedrängte Theaterdirektor die Sache<lb/>
realistisch vom Standpunkte seiner Kasse auffaßte und die maßgebenden Instanzen<lb/>
dnrch Nachgiebigkeit, durch Preisgebung der beanstandeten Stellen umzustimmen<lb/>
suchte, gefielen sich Sudermauu und seine litterarischen Genossen in der Rolle<lb/>
entrüsteter Sittenprediger, die in ihrem heiligen Vorhaben durch die Blindheit<lb/>
der Obrigkeit gestört würden. Als es dem Direktor bereits gelungen war,<lb/>
den Behörden eine mildere Auffassung von &#x201E;Sodoms Ende" beizubringen,<lb/>
versandte die Redaktion des &#x201E;Magazins für Litteratur," das nach häufigen<lb/>
Wandlungen kürzlich in den Besitz der Verleger Sudermanns übergegangen<lb/>
ist, das also, wie sich der &#x201E;Berliner Börsenkurier" in seiner zaghaften Art<lb/>
ausdrückt, dem Dichter &#x201E;litterarisch nahesteht," eine Erklärung, in der sie mit<lb/>
der Veröffentlichung des verbotenen Stückes in seinem Wortlaut drohte.<lb/>
Sie hat damit eine Weile gewartet, und als sie mit den ersten Szenen<lb/>
des Dramas kam, war die sittliche Entrüstung einer merklichen Abkühlung<lb/>
gewichen, nachdem die erste Aufführung einen sehr ruhigen, von keinem<lb/>
Sturm erschütterten Verlauf genommen hatte. Gegen alle theatralischen<lb/>
Wetterregeln hat es keinen Kampf widerstrebender Elemente, keinen Streit<lb/>
litterarischer Parteien gegeben, und wer behauptet, daß das Publikum der<lb/>
ersten Aufführung eine ungewöhnliche Erregung gezeigt habe, der lügt entweder,<lb/>
»der er hat noch nie vorher der ersten Aufführung eines neuen Schauspieles<lb/>
in einem Berliner Theater beigewohnt. Die Grundstimmung des Publikums<lb/>
senkte sich von gespannter Erwartung schnell zur Enttäuschung, und von da<lb/>
war nur noch ein kleiner Schritt zur Langenweile, um die sich der Dichter<lb/>
in seinem Bestreben, der Natur möglichst nahe auf den Leib zu rücken, redlich<lb/>
bemüht hat. Seit Menschengedenken hat das stärkste aller Reklamemittel, das<lb/>
polizeiliche Verbot, zum erstenmale seine Wirkung versagt, und noch dazu<lb/>
versagt, trotzdem daß der juristische Beistand aller von der Zensur bedrängten<lb/>
Schriftsteller und Künstler aus dem freisinnigen Lager, der Rechtsanwalt und<lb/>
freisinnige Agitator I)r. Grelling, seine gewaltige Stimme gegen die Theater¬<lb/>
zensur im &#x201E;Magazin für Litteratur" erhoben hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1214" next="#ID_1215"> Das ist ein Fall, der in erster Linie den Reklamebüreaus zu denken giebt<lb/>
und sie zu eiuer gründlichen Verbesserung ihrer keineswegs an Schüchternheit<lb/>
leidenden Einrichtungen veranlassen könnte. Der Fall kann aber auch zu<lb/>
ernstern Betrachtungen anregen. Haben die zwei Jahre, die seit dem Tode<lb/>
des großen Kaisers verflossen sind, wirklich ausgereicht, um auf allen Gebieten<lb/>
des öffentlichen Lebens &#x2014; wir wollen nicht sagen: eine Versumpfung &#x2014; aber<lb/>
eine allgemeine Unsicherheit, eine Unlust des Schaffens, eine Abstumpfung<lb/>
gegen jede Autorität herbeizuführen? Ist das polizeiliche Verbot eines Theater-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0422] Sodoms Lüde Verbot die seit Jahresfrist gehegten Hoffnungen auf goldne Ernten zu nichte zu machen schien, im Direktionsbüreau des Berliner Lessingtheaters größer gewesen zu sein, als im Lager des Dichters und seiner journalistischen Unter¬ nehmer und Teilhaber. Wahrend der bedrängte Theaterdirektor die Sache realistisch vom Standpunkte seiner Kasse auffaßte und die maßgebenden Instanzen dnrch Nachgiebigkeit, durch Preisgebung der beanstandeten Stellen umzustimmen suchte, gefielen sich Sudermauu und seine litterarischen Genossen in der Rolle entrüsteter Sittenprediger, die in ihrem heiligen Vorhaben durch die Blindheit der Obrigkeit gestört würden. Als es dem Direktor bereits gelungen war, den Behörden eine mildere Auffassung von „Sodoms Ende" beizubringen, versandte die Redaktion des „Magazins für Litteratur," das nach häufigen Wandlungen kürzlich in den Besitz der Verleger Sudermanns übergegangen ist, das also, wie sich der „Berliner Börsenkurier" in seiner zaghaften Art ausdrückt, dem Dichter „litterarisch nahesteht," eine Erklärung, in der sie mit der Veröffentlichung des verbotenen Stückes in seinem Wortlaut drohte. Sie hat damit eine Weile gewartet, und als sie mit den ersten Szenen des Dramas kam, war die sittliche Entrüstung einer merklichen Abkühlung gewichen, nachdem die erste Aufführung einen sehr ruhigen, von keinem Sturm erschütterten Verlauf genommen hatte. Gegen alle theatralischen Wetterregeln hat es keinen Kampf widerstrebender Elemente, keinen Streit litterarischer Parteien gegeben, und wer behauptet, daß das Publikum der ersten Aufführung eine ungewöhnliche Erregung gezeigt habe, der lügt entweder, »der er hat noch nie vorher der ersten Aufführung eines neuen Schauspieles in einem Berliner Theater beigewohnt. Die Grundstimmung des Publikums senkte sich von gespannter Erwartung schnell zur Enttäuschung, und von da war nur noch ein kleiner Schritt zur Langenweile, um die sich der Dichter in seinem Bestreben, der Natur möglichst nahe auf den Leib zu rücken, redlich bemüht hat. Seit Menschengedenken hat das stärkste aller Reklamemittel, das polizeiliche Verbot, zum erstenmale seine Wirkung versagt, und noch dazu versagt, trotzdem daß der juristische Beistand aller von der Zensur bedrängten Schriftsteller und Künstler aus dem freisinnigen Lager, der Rechtsanwalt und freisinnige Agitator I)r. Grelling, seine gewaltige Stimme gegen die Theater¬ zensur im „Magazin für Litteratur" erhoben hatte. Das ist ein Fall, der in erster Linie den Reklamebüreaus zu denken giebt und sie zu eiuer gründlichen Verbesserung ihrer keineswegs an Schüchternheit leidenden Einrichtungen veranlassen könnte. Der Fall kann aber auch zu ernstern Betrachtungen anregen. Haben die zwei Jahre, die seit dem Tode des großen Kaisers verflossen sind, wirklich ausgereicht, um auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens — wir wollen nicht sagen: eine Versumpfung — aber eine allgemeine Unsicherheit, eine Unlust des Schaffens, eine Abstumpfung gegen jede Autorität herbeizuführen? Ist das polizeiliche Verbot eines Theater-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/422
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/422>, abgerufen am 13.05.2024.