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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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?>le lateinischen und griechischen Persa

Jetzt kommt die Frage der Schulreform wieder in Fluß, jetzt wird damit
endlich Ernst, eine Enquete (wir brauchen das Fremdwort ungern) soll in
Berlin beraten, was zur Besserung unsers Schulwesens nötig sei und gethan
werden müsse. Es dürfte daher an der Zeit sein, daran zu erinnern, daß
wirklich eine Überbürdung, aber nicht so sehr durch deu Stoff, als durch die
Mittel des Unterrichts hervorgerufen wird. Es wird daher nicht unpassend
erscheinen, nochmals auf jene damaligen Angriffe zurückzukommen nud nach¬
zuforschen, ob die schriftlichen Übungen beibehalten werden müssen oder be¬
schränkt oder gar abgeschafft werden können. Vorher möchte ich mich dagegen
verwahren, als Feind der Gymnasien betrachtet zu werden; möge mau deu
Schluß dieser kurzen Erörterung abwarten, ehe man hierüber ein Urteil fallt.

Wer Gymnasiasten während der Zeit ihrer Hansarbeiten zu beobachten
Gelegenheit hat, wessen Kinder selbst ein Gymnasium besuchen, der wird mit
mir übereinstimmen, daß sie überbürdet sind. Bor mir liegt der Stundenplan
meines Sohnes. Ans diesem sind verzeichnet täglich von acht bis zwölf, ja
einmal bis ein Uhr früh, und am Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag
noch von zwei bis fünf Uhr nachmittags Unterricht. Während dieser Zeit
giebt es für das kleine Kinderhirn wahrlich schon genug Arbeit, für ihr natür¬
liches, jugendliches Blut eine genügende Geduldsprobe und für ihr Sitzefleisch
auch Abhärtung genng. Ja, Wenns nur damit gethan wäre! Aber kaum ist
der Bursche zu Hause angekommen, so wird er schon an die Schularbeiten ge¬
trieben, die wir täglich nur auf zwei Stunden berechnen wollen, obwohl wir
wissen, daß schon mancher sekundärer bis zehn oder elf Uhr jeden Abend
sitzen muß. Mein Sohn, ein sehr begabter, aber im Schreiben umgewandter
Junge hat jeden Tag von sechs bis nenn Uhr zu arbeiten, ja auch Sonntags,
und dabei ist er 11^ Jahre.

Welchem Fabrikbesitzer würde das Gesetz gestatten, seine jugendlichen
Arbeiter, die doch vierzehn bis sechzehn Jahre alt sind, so lange zu beschäftigen?
Unsre Kinder müssen aber doch so lange mit dem Kopfe, dein Hirn arbeiten,
dessen Anstrengung sowohl auf das psychische als auch ans das Physische Wesen
des Menschen noch aufreibender einwirkt als die Handarbeit jener; sie müssen
dabei sitzen, während jenen ihre Beschäftigung nicht selten einen freien Umgang,
jedesmal aber eine freie Körperbewegung gestattet. Ein Erwachsener, sei er
Beamter, sei er Lehrer, denkt des Tages Last und Hitze genugsam ertragen zu
haben, wenn er täglich acht Stunden arbeitet, unsre Kinder aber müssen länger
arbeiten.

Und wenn wir nun nachforschen, was den Kindern die meiste, die schwerste,
die unliebsamste Arbeit verursacht, was ihnen auch am wenigsten Befriedigung
und Freude verursacht, so ist es das Pensum mit dein folgenden Emendcitnm
und womöglich gar Snpereinendatum. Prciparirt solch ein Junge z. B. seinen
Nepos, so hat er zwar auch Schwierigkeiten zu überwinde" nud Kopfarbeit,


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Jetzt kommt die Frage der Schulreform wieder in Fluß, jetzt wird damit
endlich Ernst, eine Enquete (wir brauchen das Fremdwort ungern) soll in
Berlin beraten, was zur Besserung unsers Schulwesens nötig sei und gethan
werden müsse. Es dürfte daher an der Zeit sein, daran zu erinnern, daß
wirklich eine Überbürdung, aber nicht so sehr durch deu Stoff, als durch die
Mittel des Unterrichts hervorgerufen wird. Es wird daher nicht unpassend
erscheinen, nochmals auf jene damaligen Angriffe zurückzukommen nud nach¬
zuforschen, ob die schriftlichen Übungen beibehalten werden müssen oder be¬
schränkt oder gar abgeschafft werden können. Vorher möchte ich mich dagegen
verwahren, als Feind der Gymnasien betrachtet zu werden; möge mau deu
Schluß dieser kurzen Erörterung abwarten, ehe man hierüber ein Urteil fallt.

Wer Gymnasiasten während der Zeit ihrer Hansarbeiten zu beobachten
Gelegenheit hat, wessen Kinder selbst ein Gymnasium besuchen, der wird mit
mir übereinstimmen, daß sie überbürdet sind. Bor mir liegt der Stundenplan
meines Sohnes. Ans diesem sind verzeichnet täglich von acht bis zwölf, ja
einmal bis ein Uhr früh, und am Montag, Dienstag, Donnerstag und Freitag
noch von zwei bis fünf Uhr nachmittags Unterricht. Während dieser Zeit
giebt es für das kleine Kinderhirn wahrlich schon genug Arbeit, für ihr natür¬
liches, jugendliches Blut eine genügende Geduldsprobe und für ihr Sitzefleisch
auch Abhärtung genng. Ja, Wenns nur damit gethan wäre! Aber kaum ist
der Bursche zu Hause angekommen, so wird er schon an die Schularbeiten ge¬
trieben, die wir täglich nur auf zwei Stunden berechnen wollen, obwohl wir
wissen, daß schon mancher sekundärer bis zehn oder elf Uhr jeden Abend
sitzen muß. Mein Sohn, ein sehr begabter, aber im Schreiben umgewandter
Junge hat jeden Tag von sechs bis nenn Uhr zu arbeiten, ja auch Sonntags,
und dabei ist er 11^ Jahre.

Welchem Fabrikbesitzer würde das Gesetz gestatten, seine jugendlichen
Arbeiter, die doch vierzehn bis sechzehn Jahre alt sind, so lange zu beschäftigen?
Unsre Kinder müssen aber doch so lange mit dem Kopfe, dein Hirn arbeiten,
dessen Anstrengung sowohl auf das psychische als auch ans das Physische Wesen
des Menschen noch aufreibender einwirkt als die Handarbeit jener; sie müssen
dabei sitzen, während jenen ihre Beschäftigung nicht selten einen freien Umgang,
jedesmal aber eine freie Körperbewegung gestattet. Ein Erwachsener, sei er
Beamter, sei er Lehrer, denkt des Tages Last und Hitze genugsam ertragen zu
haben, wenn er täglich acht Stunden arbeitet, unsre Kinder aber müssen länger
arbeiten.

Und wenn wir nun nachforschen, was den Kindern die meiste, die schwerste,
die unliebsamste Arbeit verursacht, was ihnen auch am wenigsten Befriedigung
und Freude verursacht, so ist es das Pensum mit dein folgenden Emendcitnm
und womöglich gar Snpereinendatum. Prciparirt solch ein Junge z. B. seinen
Nepos, so hat er zwar auch Schwierigkeiten zu überwinde» nud Kopfarbeit,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/475>, abgerufen am 13.05.2024.