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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Blüte" und Früchte der Moderne

Wer in der allerneuesten Litteratur "auf dem Laufenden" bleiben will,
dem macht das namentlich die in Brunn erscheinende Monatsschrift "Moderne
Dichtung" sehr bequem. Welche Menge von Dichtern, fast unübersehbar!
Und was das merkwürdige ist, darunter einige, die ganz ohne Sehen noch
Freude am Leben in dieser Welt verraten. Dn kommen Sachen vor, die "ach
nnserm altmodischen Geschmack allerliebst sind. Ich will keine Namen nennen,
um gegen die Träger nicht eine Achtöerklärung heraufzubeschwören. Auch sind
sie die Ausnahmen. Das meiste ist sonderbar oder abgeschmackt oder wider¬
wärtig, manches auch recht heiter.

Vegiuueu wir mit den heiterm Sachen. Jedes Heft der genannten Zeit¬
schrift hat seinen Heiligen, der im Bilde und in eignen Beiträgen vorgeführt
und beweihräuchert wird, das Aprilheft deu Dr. Georg Brandes. Mit dem
Bilde muß aber der Redaktion ein Schabernack gespielt worden sei". Ein
schlechter Spaßmacher hat ihr offenbar eine fremde Photographie zugeschickt,
vielleicht von dein Herrn, der unlängst sich selbst in einer großen Zeitung
solgeudermaße" ausbot: "Der Besitzer eines schwunghaften Mvdengeschäftes,
Jor., aber vorurteilsfrei, von solidem Charakter und angenehmem Äußern, hoch¬
fein gebildet, sucht eine Lebensgefährtin mit vierzig bis fünfzig Mille." Doch
welche Bewandtnis es mit dem Bilde haben möge, der Aufsatz "Donatello"
ist echter Brandes. Er beginnt mit einer Schilderung der Straße von Florenz
nach Sau Miuiato: die Stadt "liegt da gleich eiuer Mosaikblume im Voden
einer kostbaren Schale." Nun fragen wir die ungezählten Tausende, die vom
Viale dei Colii aus den unvergleichliche" Blick auf das Aruothal genossen
haben, ja auch jeden andern, ob ein albernerer Vergleich erdacht werden kann!
Aber das ist ja eben das Wesen der "Geistreichigkeit," heranzuziehen, was so
unpassend ist, daß kein vernünftiger Mensch darauf verfallen würde. Dann
belehrt uns der Verfasser, daß der heilige Georg von Donatello ein Pracht¬
werk ist, was natürlich noch niemand gewußt hat, und daß Michel Angelo in
seinem David den Georg und in seinem Moses den sitzenden Johannes Dona-
tellvs (im Dom) "nachgeahmt" hat. Daß der spätere Meister deu früher"
studirt, sich von ihm beeinflussen läßt, ist für Herrn Brandes, der bei dieser
Gelegenheit Florenz nach Umbrieu verlegt, Nachahmung. Wie weit überhaupt
die Verwandtschaft in beide" Fällen geht, muß hier unerörtert bleiben. Ferner
"ist nämlich (wer wagte da zu zweifeln!) Shakespeares Heißsporn das Gegen¬
stück der Renaissance zu Homers Achilles, der Se. Georg steht "litten zwischen
beiden." Wenn jemand behaupten wollte, Herr Brandes sei das Gegenstück
der Moderne zu dem Hanswurst der Stegreifkomödie, so würde das aus keinem
Fall weniger Sinn haben. Doch das beste kommt erst. "O Se. Georg! mein
Schutzpatron!" Richtig, bald hätte ich vergessen, daß Herr Brandes sich Georg
nennt! "Du, der du preisgegeben dem Eiter (Geifer?) und dein Gift der
Drachen, du weißt es, daß die Zeit wird kommen, wo dn wieder einen Lanzen-


Blüte» und Früchte der Moderne

Wer in der allerneuesten Litteratur „auf dem Laufenden" bleiben will,
dem macht das namentlich die in Brunn erscheinende Monatsschrift „Moderne
Dichtung" sehr bequem. Welche Menge von Dichtern, fast unübersehbar!
Und was das merkwürdige ist, darunter einige, die ganz ohne Sehen noch
Freude am Leben in dieser Welt verraten. Dn kommen Sachen vor, die »ach
nnserm altmodischen Geschmack allerliebst sind. Ich will keine Namen nennen,
um gegen die Träger nicht eine Achtöerklärung heraufzubeschwören. Auch sind
sie die Ausnahmen. Das meiste ist sonderbar oder abgeschmackt oder wider¬
wärtig, manches auch recht heiter.

Vegiuueu wir mit den heiterm Sachen. Jedes Heft der genannten Zeit¬
schrift hat seinen Heiligen, der im Bilde und in eignen Beiträgen vorgeführt
und beweihräuchert wird, das Aprilheft deu Dr. Georg Brandes. Mit dem
Bilde muß aber der Redaktion ein Schabernack gespielt worden sei». Ein
schlechter Spaßmacher hat ihr offenbar eine fremde Photographie zugeschickt,
vielleicht von dein Herrn, der unlängst sich selbst in einer großen Zeitung
solgeudermaße» ausbot: „Der Besitzer eines schwunghaften Mvdengeschäftes,
Jor., aber vorurteilsfrei, von solidem Charakter und angenehmem Äußern, hoch¬
fein gebildet, sucht eine Lebensgefährtin mit vierzig bis fünfzig Mille." Doch
welche Bewandtnis es mit dem Bilde haben möge, der Aufsatz „Donatello"
ist echter Brandes. Er beginnt mit einer Schilderung der Straße von Florenz
nach Sau Miuiato: die Stadt „liegt da gleich eiuer Mosaikblume im Voden
einer kostbaren Schale." Nun fragen wir die ungezählten Tausende, die vom
Viale dei Colii aus den unvergleichliche» Blick auf das Aruothal genossen
haben, ja auch jeden andern, ob ein albernerer Vergleich erdacht werden kann!
Aber das ist ja eben das Wesen der „Geistreichigkeit," heranzuziehen, was so
unpassend ist, daß kein vernünftiger Mensch darauf verfallen würde. Dann
belehrt uns der Verfasser, daß der heilige Georg von Donatello ein Pracht¬
werk ist, was natürlich noch niemand gewußt hat, und daß Michel Angelo in
seinem David den Georg und in seinem Moses den sitzenden Johannes Dona-
tellvs (im Dom) „nachgeahmt" hat. Daß der spätere Meister deu früher»
studirt, sich von ihm beeinflussen läßt, ist für Herrn Brandes, der bei dieser
Gelegenheit Florenz nach Umbrieu verlegt, Nachahmung. Wie weit überhaupt
die Verwandtschaft in beide» Fällen geht, muß hier unerörtert bleiben. Ferner
„ist nämlich (wer wagte da zu zweifeln!) Shakespeares Heißsporn das Gegen¬
stück der Renaissance zu Homers Achilles, der Se. Georg steht »litten zwischen
beiden." Wenn jemand behaupten wollte, Herr Brandes sei das Gegenstück
der Moderne zu dem Hanswurst der Stegreifkomödie, so würde das aus keinem
Fall weniger Sinn haben. Doch das beste kommt erst. „O Se. Georg! mein
Schutzpatron!" Richtig, bald hätte ich vergessen, daß Herr Brandes sich Georg
nennt! „Du, der du preisgegeben dem Eiter (Geifer?) und dein Gift der
Drachen, du weißt es, daß die Zeit wird kommen, wo dn wieder einen Lanzen-


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[0483] Blüte» und Früchte der Moderne Wer in der allerneuesten Litteratur „auf dem Laufenden" bleiben will, dem macht das namentlich die in Brunn erscheinende Monatsschrift „Moderne Dichtung" sehr bequem. Welche Menge von Dichtern, fast unübersehbar! Und was das merkwürdige ist, darunter einige, die ganz ohne Sehen noch Freude am Leben in dieser Welt verraten. Dn kommen Sachen vor, die »ach nnserm altmodischen Geschmack allerliebst sind. Ich will keine Namen nennen, um gegen die Träger nicht eine Achtöerklärung heraufzubeschwören. Auch sind sie die Ausnahmen. Das meiste ist sonderbar oder abgeschmackt oder wider¬ wärtig, manches auch recht heiter. Vegiuueu wir mit den heiterm Sachen. Jedes Heft der genannten Zeit¬ schrift hat seinen Heiligen, der im Bilde und in eignen Beiträgen vorgeführt und beweihräuchert wird, das Aprilheft deu Dr. Georg Brandes. Mit dem Bilde muß aber der Redaktion ein Schabernack gespielt worden sei». Ein schlechter Spaßmacher hat ihr offenbar eine fremde Photographie zugeschickt, vielleicht von dein Herrn, der unlängst sich selbst in einer großen Zeitung solgeudermaße» ausbot: „Der Besitzer eines schwunghaften Mvdengeschäftes, Jor., aber vorurteilsfrei, von solidem Charakter und angenehmem Äußern, hoch¬ fein gebildet, sucht eine Lebensgefährtin mit vierzig bis fünfzig Mille." Doch welche Bewandtnis es mit dem Bilde haben möge, der Aufsatz „Donatello" ist echter Brandes. Er beginnt mit einer Schilderung der Straße von Florenz nach Sau Miuiato: die Stadt „liegt da gleich eiuer Mosaikblume im Voden einer kostbaren Schale." Nun fragen wir die ungezählten Tausende, die vom Viale dei Colii aus den unvergleichliche» Blick auf das Aruothal genossen haben, ja auch jeden andern, ob ein albernerer Vergleich erdacht werden kann! Aber das ist ja eben das Wesen der „Geistreichigkeit," heranzuziehen, was so unpassend ist, daß kein vernünftiger Mensch darauf verfallen würde. Dann belehrt uns der Verfasser, daß der heilige Georg von Donatello ein Pracht¬ werk ist, was natürlich noch niemand gewußt hat, und daß Michel Angelo in seinem David den Georg und in seinem Moses den sitzenden Johannes Dona- tellvs (im Dom) „nachgeahmt" hat. Daß der spätere Meister deu früher» studirt, sich von ihm beeinflussen läßt, ist für Herrn Brandes, der bei dieser Gelegenheit Florenz nach Umbrieu verlegt, Nachahmung. Wie weit überhaupt die Verwandtschaft in beide» Fällen geht, muß hier unerörtert bleiben. Ferner „ist nämlich (wer wagte da zu zweifeln!) Shakespeares Heißsporn das Gegen¬ stück der Renaissance zu Homers Achilles, der Se. Georg steht »litten zwischen beiden." Wenn jemand behaupten wollte, Herr Brandes sei das Gegenstück der Moderne zu dem Hanswurst der Stegreifkomödie, so würde das aus keinem Fall weniger Sinn haben. Doch das beste kommt erst. „O Se. Georg! mein Schutzpatron!" Richtig, bald hätte ich vergessen, daß Herr Brandes sich Georg nennt! „Du, der du preisgegeben dem Eiter (Geifer?) und dein Gift der Drachen, du weißt es, daß die Zeit wird kommen, wo dn wieder einen Lanzen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/483>, abgerufen am 13.05.2024.