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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr.

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Der Lottaische Musenalmanach ur I8^>^

Zeit hinter sich und füllten die Seiten mit Kosegarten und Tiedge, mit Baggesen
und Bouterweck, mit Sophie Albrecht und Friederike Brun und kehrten aller¬
hand aus dem Nachlaß von Hagedorn und Hölty zusammen. Keine Frage,
daß die bessern unsrer heutigen Dichter sich neben der größern Zahl der Mit¬
arbeiter der beiden beliebtesten Musenalmanache aus den ersten neunziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts sehen lassen können, ja zu guter Stunde
eine recht stattliche Figur diesen gegenüber machen werden. Ob das ausreichen
wird, die verloren gegangene Lust an der Lyrik und ihren Blüten in weiter"
Kreisen wieder zu wecken, wissen wir nicht, zu wünschen wäre es immerhin,
und wenn Herr Braun nicht auf die unabweisbaren Beiträge der "Be¬
rühmten" beschränkt bleibt und Geduld und Muße genug hat aus je einem
fünfzig Gedichte umfassenden Hefte der Unberühmten die ein oder zwei wert¬
vollen heranszupflücken und dem Kranze des Musenalmanachs einzuverleiben,
so würden sich die gemischten Empfindungen, mit denen man den ersten neuen
"Musenalmanach" begrüßt, in unbedingte Befriedigung verwandeln. Denn
daß der Herausgeber guten Geschmack und feines Formgefühl und ein lebhaftes
und unerschütterliches Interesse an der deutschen Dichtung der Gegenwart hat,
wissen wir schon jetzt, und wir wünschen, daß er glücklicher sein möge, als
schließlich selbst Schiller bei seiner Redaktion war, als er seufzend eingestand,
daß er den meisten Beiträgen mit Zittern und Zagen entgegensehe, der, wenn
er mächtig große Gedichte empfing, sich sagen mußte, daß sie ihm halb so
groß noch einmal so lieb wären, und der Einsendungen erhielt, von denen
Goethe meinte: "Die jungen Herren lernen Verse machen, so wie mau Tuten
macht; wenn sie uns nur aber anch darin einiges Gewürz überreichten"! Vor
der Hand ists ja eben noch nicht so weit, und wenn der Herausgeber des neuen
"Musenalmanachs" nicht so viel wahrhaft Wertvolles und Bleibendes erhalten
hat, als er sich wohl wünschte, so darf er sich mit den Schicksalen seines großen
klassischen Vorgängers trösten.

In einem Pnnkte ist der wiedererstandene "Musenalmanach" seinen klassisch
gewordenen Ahnen und ihren unmittelbaren Nachfahren überlege". Er zeichnet
sich durch eine reizende Ausstattung aus, die man am Ende des achtzehnten
Jahrhunderts wohl auch erstrebte, aber uicht erreichen konnte. Welche Not
hat seinerzeit der arme Schiller um Suez und Druck, um Schreibpapier und
Postpapier, um Deckel und Kupferstiche dazu, um Fütterung der Umschläge
und richtige Herstellung der verschiedenartigen äußern Hüllen seine? Almanachs
gehabt. Dem Herrn Herausgeber des erneuerten "Musenalmanachs" wird es
in diesem Betracht besser ergangen sein. Der prächtige klare Druck, das schöne
Papier, der zierliche Einband und die sechs Kunstbeilagen von W. Krny, von
Chr. Kröner, G. von Hößlin, F. A. von Kaulbach, 3t. Geiger und H. Lossvw
sind sicher mit weniger Mühe zusammengebracht und schöner vervielfältigt worden,
als die einzige schauerliche Terpsichore auf den? Titel des .^enienalmanachs,


Der Lottaische Musenalmanach ur I8^>^

Zeit hinter sich und füllten die Seiten mit Kosegarten und Tiedge, mit Baggesen
und Bouterweck, mit Sophie Albrecht und Friederike Brun und kehrten aller¬
hand aus dem Nachlaß von Hagedorn und Hölty zusammen. Keine Frage,
daß die bessern unsrer heutigen Dichter sich neben der größern Zahl der Mit¬
arbeiter der beiden beliebtesten Musenalmanache aus den ersten neunziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts sehen lassen können, ja zu guter Stunde
eine recht stattliche Figur diesen gegenüber machen werden. Ob das ausreichen
wird, die verloren gegangene Lust an der Lyrik und ihren Blüten in weiter»
Kreisen wieder zu wecken, wissen wir nicht, zu wünschen wäre es immerhin,
und wenn Herr Braun nicht auf die unabweisbaren Beiträge der „Be¬
rühmten" beschränkt bleibt und Geduld und Muße genug hat aus je einem
fünfzig Gedichte umfassenden Hefte der Unberühmten die ein oder zwei wert¬
vollen heranszupflücken und dem Kranze des Musenalmanachs einzuverleiben,
so würden sich die gemischten Empfindungen, mit denen man den ersten neuen
„Musenalmanach" begrüßt, in unbedingte Befriedigung verwandeln. Denn
daß der Herausgeber guten Geschmack und feines Formgefühl und ein lebhaftes
und unerschütterliches Interesse an der deutschen Dichtung der Gegenwart hat,
wissen wir schon jetzt, und wir wünschen, daß er glücklicher sein möge, als
schließlich selbst Schiller bei seiner Redaktion war, als er seufzend eingestand,
daß er den meisten Beiträgen mit Zittern und Zagen entgegensehe, der, wenn
er mächtig große Gedichte empfing, sich sagen mußte, daß sie ihm halb so
groß noch einmal so lieb wären, und der Einsendungen erhielt, von denen
Goethe meinte: „Die jungen Herren lernen Verse machen, so wie mau Tuten
macht; wenn sie uns nur aber anch darin einiges Gewürz überreichten"! Vor
der Hand ists ja eben noch nicht so weit, und wenn der Herausgeber des neuen
„Musenalmanachs" nicht so viel wahrhaft Wertvolles und Bleibendes erhalten
hat, als er sich wohl wünschte, so darf er sich mit den Schicksalen seines großen
klassischen Vorgängers trösten.

In einem Pnnkte ist der wiedererstandene „Musenalmanach" seinen klassisch
gewordenen Ahnen und ihren unmittelbaren Nachfahren überlege». Er zeichnet
sich durch eine reizende Ausstattung aus, die man am Ende des achtzehnten
Jahrhunderts wohl auch erstrebte, aber uicht erreichen konnte. Welche Not
hat seinerzeit der arme Schiller um Suez und Druck, um Schreibpapier und
Postpapier, um Deckel und Kupferstiche dazu, um Fütterung der Umschläge
und richtige Herstellung der verschiedenartigen äußern Hüllen seine? Almanachs
gehabt. Dem Herrn Herausgeber des erneuerten „Musenalmanachs" wird es
in diesem Betracht besser ergangen sein. Der prächtige klare Druck, das schöne
Papier, der zierliche Einband und die sechs Kunstbeilagen von W. Krny, von
Chr. Kröner, G. von Hößlin, F. A. von Kaulbach, 3t. Geiger und H. Lossvw
sind sicher mit weniger Mühe zusammengebracht und schöner vervielfältigt worden,
als die einzige schauerliche Terpsichore auf den? Titel des .^enienalmanachs,


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[0615] Der Lottaische Musenalmanach ur I8^>^ Zeit hinter sich und füllten die Seiten mit Kosegarten und Tiedge, mit Baggesen und Bouterweck, mit Sophie Albrecht und Friederike Brun und kehrten aller¬ hand aus dem Nachlaß von Hagedorn und Hölty zusammen. Keine Frage, daß die bessern unsrer heutigen Dichter sich neben der größern Zahl der Mit¬ arbeiter der beiden beliebtesten Musenalmanache aus den ersten neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sehen lassen können, ja zu guter Stunde eine recht stattliche Figur diesen gegenüber machen werden. Ob das ausreichen wird, die verloren gegangene Lust an der Lyrik und ihren Blüten in weiter» Kreisen wieder zu wecken, wissen wir nicht, zu wünschen wäre es immerhin, und wenn Herr Braun nicht auf die unabweisbaren Beiträge der „Be¬ rühmten" beschränkt bleibt und Geduld und Muße genug hat aus je einem fünfzig Gedichte umfassenden Hefte der Unberühmten die ein oder zwei wert¬ vollen heranszupflücken und dem Kranze des Musenalmanachs einzuverleiben, so würden sich die gemischten Empfindungen, mit denen man den ersten neuen „Musenalmanach" begrüßt, in unbedingte Befriedigung verwandeln. Denn daß der Herausgeber guten Geschmack und feines Formgefühl und ein lebhaftes und unerschütterliches Interesse an der deutschen Dichtung der Gegenwart hat, wissen wir schon jetzt, und wir wünschen, daß er glücklicher sein möge, als schließlich selbst Schiller bei seiner Redaktion war, als er seufzend eingestand, daß er den meisten Beiträgen mit Zittern und Zagen entgegensehe, der, wenn er mächtig große Gedichte empfing, sich sagen mußte, daß sie ihm halb so groß noch einmal so lieb wären, und der Einsendungen erhielt, von denen Goethe meinte: „Die jungen Herren lernen Verse machen, so wie mau Tuten macht; wenn sie uns nur aber anch darin einiges Gewürz überreichten"! Vor der Hand ists ja eben noch nicht so weit, und wenn der Herausgeber des neuen „Musenalmanachs" nicht so viel wahrhaft Wertvolles und Bleibendes erhalten hat, als er sich wohl wünschte, so darf er sich mit den Schicksalen seines großen klassischen Vorgängers trösten. In einem Pnnkte ist der wiedererstandene „Musenalmanach" seinen klassisch gewordenen Ahnen und ihren unmittelbaren Nachfahren überlege». Er zeichnet sich durch eine reizende Ausstattung aus, die man am Ende des achtzehnten Jahrhunderts wohl auch erstrebte, aber uicht erreichen konnte. Welche Not hat seinerzeit der arme Schiller um Suez und Druck, um Schreibpapier und Postpapier, um Deckel und Kupferstiche dazu, um Fütterung der Umschläge und richtige Herstellung der verschiedenartigen äußern Hüllen seine? Almanachs gehabt. Dem Herrn Herausgeber des erneuerten „Musenalmanachs" wird es in diesem Betracht besser ergangen sein. Der prächtige klare Druck, das schöne Papier, der zierliche Einband und die sechs Kunstbeilagen von W. Krny, von Chr. Kröner, G. von Hößlin, F. A. von Kaulbach, 3t. Geiger und H. Lossvw sind sicher mit weniger Mühe zusammengebracht und schöner vervielfältigt worden, als die einzige schauerliche Terpsichore auf den? Titel des .^enienalmanachs,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_208578/615>, abgerufen am 13.05.2024.