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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Berlin und sein Hof im Jahre ^6^6

Sophie, geboren 1674, seit 1691 mit dem Herzog Kasimir von Kurland ver¬
mählt.

Der Kurfürst ist klein an Wuchs, etwas verwachsen, wortkarg und sehr
eingezogen; er schwärmt für Bauten und liebt die Virtuosen. Er spricht nur
deutsch und französisch, auch etwas lateinisch. In erster Ehe hatte er Elisabeth
Henrike, die Tochter Wilhelms VI., des Markgrafen von Hessen, und der Hedwig
Sophie von Brandenburg, zur Gemahlin; dieser Ehe ist eine Tochter, Ludovike
Sophie, geboren am 29. September 1680, entsprossen. Diese ist eine treffliche
Prinzessin; aber wenn die Natur sie mit Gaben des Geistes ausgestattet hat,
so hat sie sich doch enthalten, ihr Schönheit des Körpers zu verleihen, denn
sie ist sehr hager und unschön. Nach dem Tode seiner ersten Gemahlin
vermählte sich der Kurfürst am 28. September 1684 mit der Prinzessin
Sophie Charlotte von Hannover, der Tochter des Kurfürsten Ernst August,
die ihm am 4. August 1688 einen Sohn gebar, der den Namen Friedrich Wilhelm
empfing; er ist der Kurprinz und ein sehr lebhafter und aufgeweckter Knabe.

Das brandenburgische Fürstenhaus stammt von den Grafen von Hohen-
zollern ab, die heute Reichsfürsten sind, und in Schwaben, um Ulm herum,
Besitzungen haben. Es spaltet sich in drei Linien, nämlich in die kurfürstliche,
in die der Markgrafen vou Kulmbach, vou der die Vaireuthische eine Neben¬
linie ist, und in die der Markgrafen von Ansbach.

Die Kurfürstin ist eine Scholle Fran mit lebhaftem, schwarzen Augen und
etwas Neigung zur Starkleibigkeit; sie spricht sehr gut französisch und italienisch
und hat im Deutschen den ihr angeborne" Accent bewahrt. Sie ist von aus¬
nehmender Liebenswürdigkeit und erweist den Ausländer", besonders den Ita¬
lienern, manche ehrenvolle Auszeichnung. Gleich um ersten Abend, wo ich ihr
meine Aufwartung machte, wünschte sie meine Teilnahme an der Unterhaltung,
die immer in einem Spiel zu bestehen pflegt. Nach deren Beendigung erhob
sie sich sofort zur Abendtafel, und als sie dabei an mir vorüber kam, sagte
sie zu mir: Wollen Sie nicht an meinem Tischchen Platz nehmen? Sie be¬
dient sich des Spieles nur als Vorwand, da sie sich bei dieser Gelegenheit
mit allen, insbesondre mit den Italienern, scherzend unterhält. Übrigens
war die Frage eine Einladung für den ganzen Abend; denn sobald ich in die
Nähe ihres Tisches kam, war es, wohl oder übel, meine Pflicht, dort zu
bleiben. Das Spiel geht um geringe" Einsatz, sodaß sich viele Personen zu¬
sammen daran beteiligen, und erfordert keine Aufmerksamkeit. Es heißt rien<zu6
und hat mit unsrer "wilsttu Ähnlichkeit.

Als ich mich der Kurfürstl" vorstellen ließ, war sie eben im Begriff, das
Spiel zu beginne"; deshalb wurde ich, nachdem sie von meinem Wunsch in
Kenntnis gesetzt worden war, in leutseligster Weise sofort empfangen. Während
des ganzen Abends hielt mich die Kurfürstin zum Zwecke der Unterhaltung
mit ihr an ihren Sessel gebannt, wobei ich stand, und sie bald italienisch, bald


Berlin und sein Hof im Jahre ^6^6

Sophie, geboren 1674, seit 1691 mit dem Herzog Kasimir von Kurland ver¬
mählt.

Der Kurfürst ist klein an Wuchs, etwas verwachsen, wortkarg und sehr
eingezogen; er schwärmt für Bauten und liebt die Virtuosen. Er spricht nur
deutsch und französisch, auch etwas lateinisch. In erster Ehe hatte er Elisabeth
Henrike, die Tochter Wilhelms VI., des Markgrafen von Hessen, und der Hedwig
Sophie von Brandenburg, zur Gemahlin; dieser Ehe ist eine Tochter, Ludovike
Sophie, geboren am 29. September 1680, entsprossen. Diese ist eine treffliche
Prinzessin; aber wenn die Natur sie mit Gaben des Geistes ausgestattet hat,
so hat sie sich doch enthalten, ihr Schönheit des Körpers zu verleihen, denn
sie ist sehr hager und unschön. Nach dem Tode seiner ersten Gemahlin
vermählte sich der Kurfürst am 28. September 1684 mit der Prinzessin
Sophie Charlotte von Hannover, der Tochter des Kurfürsten Ernst August,
die ihm am 4. August 1688 einen Sohn gebar, der den Namen Friedrich Wilhelm
empfing; er ist der Kurprinz und ein sehr lebhafter und aufgeweckter Knabe.

Das brandenburgische Fürstenhaus stammt von den Grafen von Hohen-
zollern ab, die heute Reichsfürsten sind, und in Schwaben, um Ulm herum,
Besitzungen haben. Es spaltet sich in drei Linien, nämlich in die kurfürstliche,
in die der Markgrafen vou Kulmbach, vou der die Vaireuthische eine Neben¬
linie ist, und in die der Markgrafen von Ansbach.

Die Kurfürstin ist eine Scholle Fran mit lebhaftem, schwarzen Augen und
etwas Neigung zur Starkleibigkeit; sie spricht sehr gut französisch und italienisch
und hat im Deutschen den ihr angeborne» Accent bewahrt. Sie ist von aus¬
nehmender Liebenswürdigkeit und erweist den Ausländer», besonders den Ita¬
lienern, manche ehrenvolle Auszeichnung. Gleich um ersten Abend, wo ich ihr
meine Aufwartung machte, wünschte sie meine Teilnahme an der Unterhaltung,
die immer in einem Spiel zu bestehen pflegt. Nach deren Beendigung erhob
sie sich sofort zur Abendtafel, und als sie dabei an mir vorüber kam, sagte
sie zu mir: Wollen Sie nicht an meinem Tischchen Platz nehmen? Sie be¬
dient sich des Spieles nur als Vorwand, da sie sich bei dieser Gelegenheit
mit allen, insbesondre mit den Italienern, scherzend unterhält. Übrigens
war die Frage eine Einladung für den ganzen Abend; denn sobald ich in die
Nähe ihres Tisches kam, war es, wohl oder übel, meine Pflicht, dort zu
bleiben. Das Spiel geht um geringe» Einsatz, sodaß sich viele Personen zu¬
sammen daran beteiligen, und erfordert keine Aufmerksamkeit. Es heißt rien<zu6
und hat mit unsrer »wilsttu Ähnlichkeit.

Als ich mich der Kurfürstl» vorstellen ließ, war sie eben im Begriff, das
Spiel zu beginne»; deshalb wurde ich, nachdem sie von meinem Wunsch in
Kenntnis gesetzt worden war, in leutseligster Weise sofort empfangen. Während
des ganzen Abends hielt mich die Kurfürstin zum Zwecke der Unterhaltung
mit ihr an ihren Sessel gebannt, wobei ich stand, und sie bald italienisch, bald


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[0037] Berlin und sein Hof im Jahre ^6^6 Sophie, geboren 1674, seit 1691 mit dem Herzog Kasimir von Kurland ver¬ mählt. Der Kurfürst ist klein an Wuchs, etwas verwachsen, wortkarg und sehr eingezogen; er schwärmt für Bauten und liebt die Virtuosen. Er spricht nur deutsch und französisch, auch etwas lateinisch. In erster Ehe hatte er Elisabeth Henrike, die Tochter Wilhelms VI., des Markgrafen von Hessen, und der Hedwig Sophie von Brandenburg, zur Gemahlin; dieser Ehe ist eine Tochter, Ludovike Sophie, geboren am 29. September 1680, entsprossen. Diese ist eine treffliche Prinzessin; aber wenn die Natur sie mit Gaben des Geistes ausgestattet hat, so hat sie sich doch enthalten, ihr Schönheit des Körpers zu verleihen, denn sie ist sehr hager und unschön. Nach dem Tode seiner ersten Gemahlin vermählte sich der Kurfürst am 28. September 1684 mit der Prinzessin Sophie Charlotte von Hannover, der Tochter des Kurfürsten Ernst August, die ihm am 4. August 1688 einen Sohn gebar, der den Namen Friedrich Wilhelm empfing; er ist der Kurprinz und ein sehr lebhafter und aufgeweckter Knabe. Das brandenburgische Fürstenhaus stammt von den Grafen von Hohen- zollern ab, die heute Reichsfürsten sind, und in Schwaben, um Ulm herum, Besitzungen haben. Es spaltet sich in drei Linien, nämlich in die kurfürstliche, in die der Markgrafen vou Kulmbach, vou der die Vaireuthische eine Neben¬ linie ist, und in die der Markgrafen von Ansbach. Die Kurfürstin ist eine Scholle Fran mit lebhaftem, schwarzen Augen und etwas Neigung zur Starkleibigkeit; sie spricht sehr gut französisch und italienisch und hat im Deutschen den ihr angeborne» Accent bewahrt. Sie ist von aus¬ nehmender Liebenswürdigkeit und erweist den Ausländer», besonders den Ita¬ lienern, manche ehrenvolle Auszeichnung. Gleich um ersten Abend, wo ich ihr meine Aufwartung machte, wünschte sie meine Teilnahme an der Unterhaltung, die immer in einem Spiel zu bestehen pflegt. Nach deren Beendigung erhob sie sich sofort zur Abendtafel, und als sie dabei an mir vorüber kam, sagte sie zu mir: Wollen Sie nicht an meinem Tischchen Platz nehmen? Sie be¬ dient sich des Spieles nur als Vorwand, da sie sich bei dieser Gelegenheit mit allen, insbesondre mit den Italienern, scherzend unterhält. Übrigens war die Frage eine Einladung für den ganzen Abend; denn sobald ich in die Nähe ihres Tisches kam, war es, wohl oder übel, meine Pflicht, dort zu bleiben. Das Spiel geht um geringe» Einsatz, sodaß sich viele Personen zu¬ sammen daran beteiligen, und erfordert keine Aufmerksamkeit. Es heißt rien<zu6 und hat mit unsrer »wilsttu Ähnlichkeit. Als ich mich der Kurfürstl» vorstellen ließ, war sie eben im Begriff, das Spiel zu beginne»; deshalb wurde ich, nachdem sie von meinem Wunsch in Kenntnis gesetzt worden war, in leutseligster Weise sofort empfangen. Während des ganzen Abends hielt mich die Kurfürstin zum Zwecke der Unterhaltung mit ihr an ihren Sessel gebannt, wobei ich stand, und sie bald italienisch, bald

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/37>, abgerufen am 17.06.2024.