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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Herr

Schauspiel keinen einheitlichen, künstlerischen Organismus, sondern eine Reihe
von lose zusammenhängenden Bildern, ein paar drcnnatisirte Abschnitte
aus einer Geschichtschronik, die, je nachdem sie in Schloß und Palast oder
im Wirtshause spielen, bald auf eiuen pathetisch-deklamatorischen Ton, bald
auf eiuen naturalistischen gestimmt sind. Mit dieser Abweichung von allem,
was man bisher unter Stil verstand, mit diesen: Wechselspiel von scharfen,
ans die gröbste Wirkung abzielenden Gegensätzen glaubt Wildenbruch
deu Grund zu einer neuen Gattung des volkstümlichen Schauspiels gelegt zu
haben, der am besten dem geistigen Niveau einer Zeit entsprechen soll, in dem
der Jambenstil Schillerscher Richtung bereits abgewirtschaftet, der Naturalismus
oder der Wirklichkeitsdrang aber noch keine Kunstform gefunden hat, die seine
Absichten zu vollem Ausdruck bringen könnte. Der Erfolg, den Wildenbruchs
,,Quitzows" in Berlin gefunden haben, scheint ihm Recht zu geben. Aber es
darf dabei nicht übersehen werden, daß dieser Erfolg nicht durch rein künstle¬
rische Mittel errungen worden ist, sondern daß vielmehr lokalpatriotische Inter¬
essen stark in die Wagschnle gefallen sind. Außerhalb Berlins haben weder
die ,,Quitzows" uoch der "Gcueralfeldoberst" ein verständnisvolles Publikum
gefunden, weil die Voraussetzung fehlte, die das Glück der Volksszeuen ^ für
Berlin kommen nur die ,,Quitzows" in Betracht -- gemacht hat: die
kecke Verpflanzung neueren Berlinertums in die Vergangenheit und die Ver¬
quickung des parodirenden Berliner Humors mit großen Staatshandlungen
und Katastrophen der Geschichte. Es siud dieselben technischen Kunstgriffe,
die dem modernen Berliner Sittenbilde ,,Die Haubenlerche" zu einem starken,
aber auch schnell wieder vorübergegangenen Erfolge verholfen haben. Aus
eigenartig gebildeten Charakteren, aus den Seelen warmblütiger Menschen, aus
psychologischen Grundlagen wachsen bei Wildenbruch selten dramatische Ver¬
wicklungen heraus, die die Handlung zu rascherem Gange beflügelter. Er ist
nicht gewohnt, ans der Tiefe, aus einer vollen, dichterischen Begabung zu
schöpfen. Er ist nur ein kluger Rechner, der in: richtigen Augenblick eine
starke äußere Wirkung hervorzulocken weiß, der aber niemals erwärmt und
immer flacher wird, je mehr sein Schaffen in die Breite geht und zwischen
den Polen entgegengesetzter .Kunstrichtungen schwankt.




Der neue Herr

Schauspiel keinen einheitlichen, künstlerischen Organismus, sondern eine Reihe
von lose zusammenhängenden Bildern, ein paar drcnnatisirte Abschnitte
aus einer Geschichtschronik, die, je nachdem sie in Schloß und Palast oder
im Wirtshause spielen, bald auf eiuen pathetisch-deklamatorischen Ton, bald
auf eiuen naturalistischen gestimmt sind. Mit dieser Abweichung von allem,
was man bisher unter Stil verstand, mit diesen: Wechselspiel von scharfen,
ans die gröbste Wirkung abzielenden Gegensätzen glaubt Wildenbruch
deu Grund zu einer neuen Gattung des volkstümlichen Schauspiels gelegt zu
haben, der am besten dem geistigen Niveau einer Zeit entsprechen soll, in dem
der Jambenstil Schillerscher Richtung bereits abgewirtschaftet, der Naturalismus
oder der Wirklichkeitsdrang aber noch keine Kunstform gefunden hat, die seine
Absichten zu vollem Ausdruck bringen könnte. Der Erfolg, den Wildenbruchs
,,Quitzows" in Berlin gefunden haben, scheint ihm Recht zu geben. Aber es
darf dabei nicht übersehen werden, daß dieser Erfolg nicht durch rein künstle¬
rische Mittel errungen worden ist, sondern daß vielmehr lokalpatriotische Inter¬
essen stark in die Wagschnle gefallen sind. Außerhalb Berlins haben weder
die ,,Quitzows" uoch der „Gcueralfeldoberst" ein verständnisvolles Publikum
gefunden, weil die Voraussetzung fehlte, die das Glück der Volksszeuen ^ für
Berlin kommen nur die ,,Quitzows" in Betracht — gemacht hat: die
kecke Verpflanzung neueren Berlinertums in die Vergangenheit und die Ver¬
quickung des parodirenden Berliner Humors mit großen Staatshandlungen
und Katastrophen der Geschichte. Es siud dieselben technischen Kunstgriffe,
die dem modernen Berliner Sittenbilde ,,Die Haubenlerche" zu einem starken,
aber auch schnell wieder vorübergegangenen Erfolge verholfen haben. Aus
eigenartig gebildeten Charakteren, aus den Seelen warmblütiger Menschen, aus
psychologischen Grundlagen wachsen bei Wildenbruch selten dramatische Ver¬
wicklungen heraus, die die Handlung zu rascherem Gange beflügelter. Er ist
nicht gewohnt, ans der Tiefe, aus einer vollen, dichterischen Begabung zu
schöpfen. Er ist nur ein kluger Rechner, der in: richtigen Augenblick eine
starke äußere Wirkung hervorzulocken weiß, der aber niemals erwärmt und
immer flacher wird, je mehr sein Schaffen in die Breite geht und zwischen
den Polen entgegengesetzter .Kunstrichtungen schwankt.




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[0386] Der neue Herr Schauspiel keinen einheitlichen, künstlerischen Organismus, sondern eine Reihe von lose zusammenhängenden Bildern, ein paar drcnnatisirte Abschnitte aus einer Geschichtschronik, die, je nachdem sie in Schloß und Palast oder im Wirtshause spielen, bald auf eiuen pathetisch-deklamatorischen Ton, bald auf eiuen naturalistischen gestimmt sind. Mit dieser Abweichung von allem, was man bisher unter Stil verstand, mit diesen: Wechselspiel von scharfen, ans die gröbste Wirkung abzielenden Gegensätzen glaubt Wildenbruch deu Grund zu einer neuen Gattung des volkstümlichen Schauspiels gelegt zu haben, der am besten dem geistigen Niveau einer Zeit entsprechen soll, in dem der Jambenstil Schillerscher Richtung bereits abgewirtschaftet, der Naturalismus oder der Wirklichkeitsdrang aber noch keine Kunstform gefunden hat, die seine Absichten zu vollem Ausdruck bringen könnte. Der Erfolg, den Wildenbruchs ,,Quitzows" in Berlin gefunden haben, scheint ihm Recht zu geben. Aber es darf dabei nicht übersehen werden, daß dieser Erfolg nicht durch rein künstle¬ rische Mittel errungen worden ist, sondern daß vielmehr lokalpatriotische Inter¬ essen stark in die Wagschnle gefallen sind. Außerhalb Berlins haben weder die ,,Quitzows" uoch der „Gcueralfeldoberst" ein verständnisvolles Publikum gefunden, weil die Voraussetzung fehlte, die das Glück der Volksszeuen ^ für Berlin kommen nur die ,,Quitzows" in Betracht — gemacht hat: die kecke Verpflanzung neueren Berlinertums in die Vergangenheit und die Ver¬ quickung des parodirenden Berliner Humors mit großen Staatshandlungen und Katastrophen der Geschichte. Es siud dieselben technischen Kunstgriffe, die dem modernen Berliner Sittenbilde ,,Die Haubenlerche" zu einem starken, aber auch schnell wieder vorübergegangenen Erfolge verholfen haben. Aus eigenartig gebildeten Charakteren, aus den Seelen warmblütiger Menschen, aus psychologischen Grundlagen wachsen bei Wildenbruch selten dramatische Ver¬ wicklungen heraus, die die Handlung zu rascherem Gange beflügelter. Er ist nicht gewohnt, ans der Tiefe, aus einer vollen, dichterischen Begabung zu schöpfen. Er ist nur ein kluger Rechner, der in: richtigen Augenblick eine starke äußere Wirkung hervorzulocken weiß, der aber niemals erwärmt und immer flacher wird, je mehr sein Schaffen in die Breite geht und zwischen den Polen entgegengesetzter .Kunstrichtungen schwankt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/386>, abgerufen am 18.05.2024.