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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr.

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Neiselitteratur

wir die Frau Vuchhvlzen; so, wenn von den "schreienden" Farben der orien¬
talischen Teppiche gesprochen, oder darüber Klage geführt wird, daß die ägyp¬
tische Polizei den Kaffeehäusern gestattet, im Sommer die Seichte auf das
Trottoir zu stellen, sodaß der Vorübergehende "sich durch das Labyrinth von
Stühlen und Tische" durchwinden muß, ohne Kaffeetassen und Nargilehs in
buntem Durcheinander auf das Pflaster rollen zu machen"; oder wenn der
orientalische Schmutz den Verfasser zu der geistreiche,? Äußerung veranlaßt:
"Hier zu Land und überall heißt ja schmutzig und zerlumpt: malerisch.
Warum ist das schmutzige malerisch und das Malerische so oft schmutzig in
Kunst und Litteratur, und warum gefällt es so oft? Verfängliche Frage!
Sollte Monselet Recht haben: ^.u t'ama av olmcnm oocnrr Mmmvillö lL oooliou!"
Daß der Verfasser in Ägypten nichts von dem Borhandensein einer Geschichte
des Stuhls erfahren hat, die er in deutschen, französischen, englischen Werken
finden könnte (wir wollen nur die Kostümgeschichte von Weiß erwähnen), kann
ihm nicht zum Vorwürfe gemacht werden, doch sollte er sich nicht mit einem
solchen Satze: "Ohne Stuhl keine Geschichte, und doch haben wir noch keine
Geschichte des Stuhls!" höchst unnötigerweise eine Blöße geben. Sehr be¬
denklich wird die Sprache, wenn sie sich ins Pathetische oder Poetische ver¬
irrt. "Kairo verdunkelte die unglückliche Schwester am Meer und ließ sie
vergessen." "Da und dort in Moscheen findet man noch glatte prächtige
Sünleu -- schluchzende G^rüße nus^der goldnen Vergangenheit." Dieses
schöne Bild muß dein Verfasser so gefallen haben, daß er gleich ans der
nächsten Seite die Pompejussäule einen "schluchzenden, zu Stein ge¬
wordenen Sterbeseufzer der zerfallenden Alexandria" nennt. Geradezu
lästig werden die philosophischen und sozialpolitischen Betrachtungen, bald Ge¬
meinplätze, bald Orakelspriiche, die uns freilich nicht mehr wundern, wenn am
Schlüsse Fourier und -- "der geniale Philosoph Hellenbach," bekanntlich eine
Säule des Spiritismus, als die Propheten gefeiert werden, deren Lehren "die
Zukunft als ihr Evangelium verehren wird." Wer das nicht glaubt, gehört
zur "stupiden Masse."


^ Dem Frühling entgegen!

Winterreise nach Kreta von Alfred
von Seefeld (Hannover, schmort und von Seefeld Nachfolger iÄo!".
Kreta -- nun, das ist wenigstens keins von den alltäglichen Reisezielen, und
der Mann, der die Reise gemacht hat, gehört auch nicht zu den ganz alltüg-
lichen Erscheinungen. Er folgte einer Einladung der dort wohnenden Schrift¬
stellerin Marie Espvrmice von Schwartz, genannt Elpis Melena, deren Be¬
kanntschaft er auf einem Kongreß der Tierfreunde gemacht hat; als konseonenler
Anhänger dieser Gemeinde ist er auch Vegetnrianer und Bewunderer der
Kämpfer gegen die Vivisektion. Aber mehr als das: er ist kein Neuling im
Reisen, hat Italien und Spanien, allerdings "im Fluge," gesehen, sich aber
für Beobachten und Schildern eine Naivität gewahrt, als ob er nie über


Neiselitteratur

wir die Frau Vuchhvlzen; so, wenn von den „schreienden" Farben der orien¬
talischen Teppiche gesprochen, oder darüber Klage geführt wird, daß die ägyp¬
tische Polizei den Kaffeehäusern gestattet, im Sommer die Seichte auf das
Trottoir zu stellen, sodaß der Vorübergehende „sich durch das Labyrinth von
Stühlen und Tische« durchwinden muß, ohne Kaffeetassen und Nargilehs in
buntem Durcheinander auf das Pflaster rollen zu machen"; oder wenn der
orientalische Schmutz den Verfasser zu der geistreiche,? Äußerung veranlaßt:
„Hier zu Land und überall heißt ja schmutzig und zerlumpt: malerisch.
Warum ist das schmutzige malerisch und das Malerische so oft schmutzig in
Kunst und Litteratur, und warum gefällt es so oft? Verfängliche Frage!
Sollte Monselet Recht haben: ^.u t'ama av olmcnm oocnrr Mmmvillö lL oooliou!"
Daß der Verfasser in Ägypten nichts von dem Borhandensein einer Geschichte
des Stuhls erfahren hat, die er in deutschen, französischen, englischen Werken
finden könnte (wir wollen nur die Kostümgeschichte von Weiß erwähnen), kann
ihm nicht zum Vorwürfe gemacht werden, doch sollte er sich nicht mit einem
solchen Satze: „Ohne Stuhl keine Geschichte, und doch haben wir noch keine
Geschichte des Stuhls!" höchst unnötigerweise eine Blöße geben. Sehr be¬
denklich wird die Sprache, wenn sie sich ins Pathetische oder Poetische ver¬
irrt. „Kairo verdunkelte die unglückliche Schwester am Meer und ließ sie
vergessen." „Da und dort in Moscheen findet man noch glatte prächtige
Sünleu — schluchzende G^rüße nus^der goldnen Vergangenheit." Dieses
schöne Bild muß dein Verfasser so gefallen haben, daß er gleich ans der
nächsten Seite die Pompejussäule einen „schluchzenden, zu Stein ge¬
wordenen Sterbeseufzer der zerfallenden Alexandria" nennt. Geradezu
lästig werden die philosophischen und sozialpolitischen Betrachtungen, bald Ge¬
meinplätze, bald Orakelspriiche, die uns freilich nicht mehr wundern, wenn am
Schlüsse Fourier und — „der geniale Philosoph Hellenbach," bekanntlich eine
Säule des Spiritismus, als die Propheten gefeiert werden, deren Lehren „die
Zukunft als ihr Evangelium verehren wird." Wer das nicht glaubt, gehört
zur „stupiden Masse."


^ Dem Frühling entgegen!

Winterreise nach Kreta von Alfred
von Seefeld (Hannover, schmort und von Seefeld Nachfolger iÄo!».
Kreta — nun, das ist wenigstens keins von den alltäglichen Reisezielen, und
der Mann, der die Reise gemacht hat, gehört auch nicht zu den ganz alltüg-
lichen Erscheinungen. Er folgte einer Einladung der dort wohnenden Schrift¬
stellerin Marie Espvrmice von Schwartz, genannt Elpis Melena, deren Be¬
kanntschaft er auf einem Kongreß der Tierfreunde gemacht hat; als konseonenler
Anhänger dieser Gemeinde ist er auch Vegetnrianer und Bewunderer der
Kämpfer gegen die Vivisektion. Aber mehr als das: er ist kein Neuling im
Reisen, hat Italien und Spanien, allerdings „im Fluge," gesehen, sich aber
für Beobachten und Schildern eine Naivität gewahrt, als ob er nie über


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[0463] Neiselitteratur wir die Frau Vuchhvlzen; so, wenn von den „schreienden" Farben der orien¬ talischen Teppiche gesprochen, oder darüber Klage geführt wird, daß die ägyp¬ tische Polizei den Kaffeehäusern gestattet, im Sommer die Seichte auf das Trottoir zu stellen, sodaß der Vorübergehende „sich durch das Labyrinth von Stühlen und Tische« durchwinden muß, ohne Kaffeetassen und Nargilehs in buntem Durcheinander auf das Pflaster rollen zu machen"; oder wenn der orientalische Schmutz den Verfasser zu der geistreiche,? Äußerung veranlaßt: „Hier zu Land und überall heißt ja schmutzig und zerlumpt: malerisch. Warum ist das schmutzige malerisch und das Malerische so oft schmutzig in Kunst und Litteratur, und warum gefällt es so oft? Verfängliche Frage! Sollte Monselet Recht haben: ^.u t'ama av olmcnm oocnrr Mmmvillö lL oooliou!" Daß der Verfasser in Ägypten nichts von dem Borhandensein einer Geschichte des Stuhls erfahren hat, die er in deutschen, französischen, englischen Werken finden könnte (wir wollen nur die Kostümgeschichte von Weiß erwähnen), kann ihm nicht zum Vorwürfe gemacht werden, doch sollte er sich nicht mit einem solchen Satze: „Ohne Stuhl keine Geschichte, und doch haben wir noch keine Geschichte des Stuhls!" höchst unnötigerweise eine Blöße geben. Sehr be¬ denklich wird die Sprache, wenn sie sich ins Pathetische oder Poetische ver¬ irrt. „Kairo verdunkelte die unglückliche Schwester am Meer und ließ sie vergessen." „Da und dort in Moscheen findet man noch glatte prächtige Sünleu — schluchzende G^rüße nus^der goldnen Vergangenheit." Dieses schöne Bild muß dein Verfasser so gefallen haben, daß er gleich ans der nächsten Seite die Pompejussäule einen „schluchzenden, zu Stein ge¬ wordenen Sterbeseufzer der zerfallenden Alexandria" nennt. Geradezu lästig werden die philosophischen und sozialpolitischen Betrachtungen, bald Ge¬ meinplätze, bald Orakelspriiche, die uns freilich nicht mehr wundern, wenn am Schlüsse Fourier und — „der geniale Philosoph Hellenbach," bekanntlich eine Säule des Spiritismus, als die Propheten gefeiert werden, deren Lehren „die Zukunft als ihr Evangelium verehren wird." Wer das nicht glaubt, gehört zur „stupiden Masse." ^ Dem Frühling entgegen! Winterreise nach Kreta von Alfred von Seefeld (Hannover, schmort und von Seefeld Nachfolger iÄo!». Kreta — nun, das ist wenigstens keins von den alltäglichen Reisezielen, und der Mann, der die Reise gemacht hat, gehört auch nicht zu den ganz alltüg- lichen Erscheinungen. Er folgte einer Einladung der dort wohnenden Schrift¬ stellerin Marie Espvrmice von Schwartz, genannt Elpis Melena, deren Be¬ kanntschaft er auf einem Kongreß der Tierfreunde gemacht hat; als konseonenler Anhänger dieser Gemeinde ist er auch Vegetnrianer und Bewunderer der Kämpfer gegen die Vivisektion. Aber mehr als das: er ist kein Neuling im Reisen, hat Italien und Spanien, allerdings „im Fluge," gesehen, sich aber für Beobachten und Schildern eine Naivität gewahrt, als ob er nie über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209232/463>, abgerufen am 26.05.2024.