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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Der Natioiuilismils

Herrschaft. So lange das revolutionäre Frankreich im Namen der Kultur,
der Freiheit mit blendenden Verheißungen eines goldnen Zeitalters auftrat,
sahen die Völker darin einen wenn auch unklaren Rechtsgrund der französischen
Ansprüche auf Herrschaft, und der Rheinbund fand begeisterte Anhänger nicht
bloß bei Fürsten und Höflingen, sondern auch im Volke. Erst als sich zeigte,
daß der Rechtsgrund lügnerisch war, als sich statt der Kultnrherrschaft eine
rohe Gewaltherrschaft über Deutschland legte, brach der Nationalismus auch
hier durch. Leicht trägt ein Volk die friedliche Leitung eines höher stehenden
Kulturvolkes, aber unerträglich ist die gewaltsame Hinderung seiner Kultur-
entwicklung. Weshalb sich die Italiener jahrhundertelang immer wieder gegen
die Kaiser erhoben, weshalb die Niederländer um jeden Preis die Freiheit
erkämpften, das war weniger der gekränkte nationale Stolz, das ideale Be¬
dürfnis nach nationaler Unabhängigkeit, als die tägliche Erfahrung, im Zwange
einer in Glauben und Recht, in Sitte und Geschmack, in Kunst und Wissen,
kurz in der Kultur niedern Macht stehen zu müssen. Was ist das Positive
in dem Streben nach nationaler Freiheit? Warum ziehe" wir die Herrschaft
des Eingeborenen dem des Fremden vor? Etwa nur deshalb, weil es unsre
Eigenliebe verletzt, einen Fremden über uns zu sehen? Oder nicht vielmehr
deshalb, weil der Herrscher unsers Stammes uns größere Gewähr dafür bietet,
daß wir uns in unsern nationalen Lebensformen ungehindert entwickeln werden?
Die Völker vertragen sehr wohl die Herrschaft des Fremden, der, sich ihnen
anpassend, sie in ihren, nicht in den Lebensformen seines Stammes regiert.
Fast alle Throne Europas sind mit Fürsten deutschen Blutes besetzt, aber
das Haus Hannover regiert in englischem, das Haus Holstein in russischem,
das Haus Koburg in dein Geiste aller möglichen Völker. Also nicht das
fremde Blut, sondern der fremde Geist des Herrschers und der Herrschaft wider¬
strebt den Völkern.

Worin besteht um dieser verhaßte fremde Geist?

(Schluß folgt)




Der Natioiuilismils

Herrschaft. So lange das revolutionäre Frankreich im Namen der Kultur,
der Freiheit mit blendenden Verheißungen eines goldnen Zeitalters auftrat,
sahen die Völker darin einen wenn auch unklaren Rechtsgrund der französischen
Ansprüche auf Herrschaft, und der Rheinbund fand begeisterte Anhänger nicht
bloß bei Fürsten und Höflingen, sondern auch im Volke. Erst als sich zeigte,
daß der Rechtsgrund lügnerisch war, als sich statt der Kultnrherrschaft eine
rohe Gewaltherrschaft über Deutschland legte, brach der Nationalismus auch
hier durch. Leicht trägt ein Volk die friedliche Leitung eines höher stehenden
Kulturvolkes, aber unerträglich ist die gewaltsame Hinderung seiner Kultur-
entwicklung. Weshalb sich die Italiener jahrhundertelang immer wieder gegen
die Kaiser erhoben, weshalb die Niederländer um jeden Preis die Freiheit
erkämpften, das war weniger der gekränkte nationale Stolz, das ideale Be¬
dürfnis nach nationaler Unabhängigkeit, als die tägliche Erfahrung, im Zwange
einer in Glauben und Recht, in Sitte und Geschmack, in Kunst und Wissen,
kurz in der Kultur niedern Macht stehen zu müssen. Was ist das Positive
in dem Streben nach nationaler Freiheit? Warum ziehe» wir die Herrschaft
des Eingeborenen dem des Fremden vor? Etwa nur deshalb, weil es unsre
Eigenliebe verletzt, einen Fremden über uns zu sehen? Oder nicht vielmehr
deshalb, weil der Herrscher unsers Stammes uns größere Gewähr dafür bietet,
daß wir uns in unsern nationalen Lebensformen ungehindert entwickeln werden?
Die Völker vertragen sehr wohl die Herrschaft des Fremden, der, sich ihnen
anpassend, sie in ihren, nicht in den Lebensformen seines Stammes regiert.
Fast alle Throne Europas sind mit Fürsten deutschen Blutes besetzt, aber
das Haus Hannover regiert in englischem, das Haus Holstein in russischem,
das Haus Koburg in dein Geiste aller möglichen Völker. Also nicht das
fremde Blut, sondern der fremde Geist des Herrschers und der Herrschaft wider¬
strebt den Völkern.

Worin besteht um dieser verhaßte fremde Geist?

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[0128] Der Natioiuilismils Herrschaft. So lange das revolutionäre Frankreich im Namen der Kultur, der Freiheit mit blendenden Verheißungen eines goldnen Zeitalters auftrat, sahen die Völker darin einen wenn auch unklaren Rechtsgrund der französischen Ansprüche auf Herrschaft, und der Rheinbund fand begeisterte Anhänger nicht bloß bei Fürsten und Höflingen, sondern auch im Volke. Erst als sich zeigte, daß der Rechtsgrund lügnerisch war, als sich statt der Kultnrherrschaft eine rohe Gewaltherrschaft über Deutschland legte, brach der Nationalismus auch hier durch. Leicht trägt ein Volk die friedliche Leitung eines höher stehenden Kulturvolkes, aber unerträglich ist die gewaltsame Hinderung seiner Kultur- entwicklung. Weshalb sich die Italiener jahrhundertelang immer wieder gegen die Kaiser erhoben, weshalb die Niederländer um jeden Preis die Freiheit erkämpften, das war weniger der gekränkte nationale Stolz, das ideale Be¬ dürfnis nach nationaler Unabhängigkeit, als die tägliche Erfahrung, im Zwange einer in Glauben und Recht, in Sitte und Geschmack, in Kunst und Wissen, kurz in der Kultur niedern Macht stehen zu müssen. Was ist das Positive in dem Streben nach nationaler Freiheit? Warum ziehe» wir die Herrschaft des Eingeborenen dem des Fremden vor? Etwa nur deshalb, weil es unsre Eigenliebe verletzt, einen Fremden über uns zu sehen? Oder nicht vielmehr deshalb, weil der Herrscher unsers Stammes uns größere Gewähr dafür bietet, daß wir uns in unsern nationalen Lebensformen ungehindert entwickeln werden? Die Völker vertragen sehr wohl die Herrschaft des Fremden, der, sich ihnen anpassend, sie in ihren, nicht in den Lebensformen seines Stammes regiert. Fast alle Throne Europas sind mit Fürsten deutschen Blutes besetzt, aber das Haus Hannover regiert in englischem, das Haus Holstein in russischem, das Haus Koburg in dein Geiste aller möglichen Völker. Also nicht das fremde Blut, sondern der fremde Geist des Herrschers und der Herrschaft wider¬ strebt den Völkern. Worin besteht um dieser verhaßte fremde Geist? (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/128>, abgerufen am 21.05.2024.