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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Iveitero Randbemerkungen zur Dezeinborkonferen^

Erleichterung ist die qualitative: wird beides zu erreichen sein, ohne die leib¬
liche und geistige Wehrkraft unsers Volkes zu gefährden?

Die Erörterung dieser Fragen bildet den Hauptgegenstand der Verhand¬
lungen vom ersten bis zum letzten Tage. Sie hätte nicht ernster, sachlicher,
würdiger geschehen können. Manches Wort ist dabei gefallen, das dauern wird.

Doch werden auch die Vorschläge dauern? werden sie überhaupt aus¬
führbar sein? und wird das neue Ministerium die verantwortuugsreiche Erb¬
schaft antreten wollen? Auf die letzte Frage werden die nächsten Monate die
Antwort geben; die beiden andern Fragen wird erst das kommende Jahrhundert
entscheiden, heute kann es sich mir um eine Prognose handeln.

In der zweiten Sitzung, am 5?. Dezember, als die verschiednen Spielarten
des Unterbaues zur Beratung standen, bezeichnete es Geheimrat Ständer als
Wunsch des Ministers, "die höhern Schulen in etwas von der Gebundenheit
der Lehrpläne zu befreien" und "eine gewisse Freiheit in der Gestaltung der
Pläne nach individuellen Bedürfnissen, nach lokalen Verhältnissen so weit als
möglich zuzulassen" (S. 108.) Der Anlaß war verhältnismäßig unbedeutend,
und wo Geheimrat Ständer von der Konsequenz der verheißnen Freiheit
spricht (S. 374), da handelt es sich wieder nur um Angliedernng von fakulta¬
tiven Unterricht in den untersten Klassen, von fakultativen Deutsch und
Französisch statt des Lateins in VI, V, IV an Orten, wo nur Lateinschulen
sind, und dergleichen mehr. Ganz unwichtig, ohne Tragweite wären ja diese
Maßregeln gewiß nicht; sie würden geeignet sein, den Zudrang zu den
Gymnasien und den Universitäten in gesündere Bahnen zu leite". Aber es
fragt sich, ob jene Erklärung nicht doch vielleicht noch weiter trügt. Das
Zwischenexamen in der Sekunda empfiehlt derselbe Vertreter des Ministeriums,
wieder unter ausdrücklicher Berufung auf die Absichten des Ministers, durch
die Möglichkeit, darnach den jungen Leuten eine gewisse Freiheit in der
Einrichtung ihrer Studien zu gestatten (S. 572).

Diese in Preußen bisher ungewohnten Töne fanden während der Konferenz
wiederholt lebhaften Widerhall, den lebhaftesten in dem einstimmig dargebrachten
Dank am Schluß der neunten, der Montagssitzung, von der wir noch zu reden
haben. Wenn der Nachfolger des Herrn von Goßler diesen Gedanken seines
Vorgängers nur aufnimmt und bei der Wahl namentlich der Direktoren nur
etwas mehr, als es während der letzten Jahrzehnte geschehen ist, auf Männer
sieht mit eignen Gedanken und etwas weniger auf Verwaltnngstaleutc, so
wird die Verjüngung des höhern Unterrichts, die sich von oben her doch
nicht erzwingen läßt, auch durch die trefflichsten Verfügungen nicht, noch durch
die ausführlichsten Instruktionen, von selber da vor sich gehen, wo nun einmal
in der Schule alles Leben, alle Wärme, alle Kraft entspringt und in Fluß
erhalten wird: im Herzen der Lehrer, die ihres Berufes warten um Gottes
willen, das heißt um einer heiligen, selbsterworbenen, im heißen Ringkampfe


Iveitero Randbemerkungen zur Dezeinborkonferen^

Erleichterung ist die qualitative: wird beides zu erreichen sein, ohne die leib¬
liche und geistige Wehrkraft unsers Volkes zu gefährden?

Die Erörterung dieser Fragen bildet den Hauptgegenstand der Verhand¬
lungen vom ersten bis zum letzten Tage. Sie hätte nicht ernster, sachlicher,
würdiger geschehen können. Manches Wort ist dabei gefallen, das dauern wird.

Doch werden auch die Vorschläge dauern? werden sie überhaupt aus¬
führbar sein? und wird das neue Ministerium die verantwortuugsreiche Erb¬
schaft antreten wollen? Auf die letzte Frage werden die nächsten Monate die
Antwort geben; die beiden andern Fragen wird erst das kommende Jahrhundert
entscheiden, heute kann es sich mir um eine Prognose handeln.

In der zweiten Sitzung, am 5?. Dezember, als die verschiednen Spielarten
des Unterbaues zur Beratung standen, bezeichnete es Geheimrat Ständer als
Wunsch des Ministers, „die höhern Schulen in etwas von der Gebundenheit
der Lehrpläne zu befreien" und „eine gewisse Freiheit in der Gestaltung der
Pläne nach individuellen Bedürfnissen, nach lokalen Verhältnissen so weit als
möglich zuzulassen" (S. 108.) Der Anlaß war verhältnismäßig unbedeutend,
und wo Geheimrat Ständer von der Konsequenz der verheißnen Freiheit
spricht (S. 374), da handelt es sich wieder nur um Angliedernng von fakulta¬
tiven Unterricht in den untersten Klassen, von fakultativen Deutsch und
Französisch statt des Lateins in VI, V, IV an Orten, wo nur Lateinschulen
sind, und dergleichen mehr. Ganz unwichtig, ohne Tragweite wären ja diese
Maßregeln gewiß nicht; sie würden geeignet sein, den Zudrang zu den
Gymnasien und den Universitäten in gesündere Bahnen zu leite». Aber es
fragt sich, ob jene Erklärung nicht doch vielleicht noch weiter trügt. Das
Zwischenexamen in der Sekunda empfiehlt derselbe Vertreter des Ministeriums,
wieder unter ausdrücklicher Berufung auf die Absichten des Ministers, durch
die Möglichkeit, darnach den jungen Leuten eine gewisse Freiheit in der
Einrichtung ihrer Studien zu gestatten (S. 572).

Diese in Preußen bisher ungewohnten Töne fanden während der Konferenz
wiederholt lebhaften Widerhall, den lebhaftesten in dem einstimmig dargebrachten
Dank am Schluß der neunten, der Montagssitzung, von der wir noch zu reden
haben. Wenn der Nachfolger des Herrn von Goßler diesen Gedanken seines
Vorgängers nur aufnimmt und bei der Wahl namentlich der Direktoren nur
etwas mehr, als es während der letzten Jahrzehnte geschehen ist, auf Männer
sieht mit eignen Gedanken und etwas weniger auf Verwaltnngstaleutc, so
wird die Verjüngung des höhern Unterrichts, die sich von oben her doch
nicht erzwingen läßt, auch durch die trefflichsten Verfügungen nicht, noch durch
die ausführlichsten Instruktionen, von selber da vor sich gehen, wo nun einmal
in der Schule alles Leben, alle Wärme, alle Kraft entspringt und in Fluß
erhalten wird: im Herzen der Lehrer, die ihres Berufes warten um Gottes
willen, das heißt um einer heiligen, selbsterworbenen, im heißen Ringkampfe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/130>, abgerufen am 21.05.2024.