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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Neues von lvilhelm Rande

Wilhelm Rabe und doch auch wieder neu, fesselnd, mau sieht, daß er sich nicht
damit begnügt, auf seinen Lorbeeren zu ruhen und wie so viele Virtnosen-
maler heutzutage ein erfolgreiches Kunststück bloß zu wiederholen. Romantiker
ist Racibe nicht etwa bloß wegen seines subjektiven Humors, der mit dein Leser
zu spielen liebt, vou der Sache zu der Form, die er der Erznhluug giebt, ab¬
lenkt, die Illusion, in die uns jedes Kunstwerk versetzen soll, aller Augenblicke
übermütig zerstört, um sie doch wieder, seiner Kraft voll bewußt, sobald er
nur will, unzerstört herzustellen; das allein macht Naabcs Romantik noch nicht
ans, so ganz und gar unmodern mich in unserm nach Thatsachen dürstenden,
erzprosaischem Zeitalter diese Art, Spaß zu machen, sein mag. Die Wurzel
von Raabes Romantik liegt in dem fast aus alle" seineu Dichtungen durch¬
schlagenden Gegensatz zu dem, was er "Philisterei" nennt und als solche mit
seinem Spott übergießt. Der Philister ist der Mensch nach der Schablone,
der seineu Schwerpunkt nicht in sich, sondern in der Meinung der andern
findet, der sein seelisches Gleichgewicht verliert, sobald sich die andern gegen
ihn wenden. Der Philister ist nach Raabes Meinung überall zu finden: bei
den Kleinbürgern und Beamten, bei den Gelehrten und Offizieren: er steckt
allen Deutschen im Blute. DaS Gegenteil des Philisters ist der sreie Mensch,
der sich selber des rechten Weges bewußt ist, der sich ohne Unterstützung der
Gevatterschaft munter und unverzagt durchs Leben schlägt, den uicht Lehrer
und Vormünder, soudern die Not des Lebens zu dem erzogen hat, was er ist,
der überhaupt jeder Erziehung spottet und mit klarer Geistesgegenwart die
Menschen und Verhältnisse überschauen kaun. Ein solcher Mensch ist zum
Führer der Philister geboren, sie sind froh, ihn zu haben, und lehnen sich in
allen Notfällen an ihn an. Dieser Gegensatz zur Philisterei fängt bei der
Fähigkeit an, über sich selbst zu lachen; ein solcher Mensch ist nicht befangen vou
sich selbst, er überspringt die Schranke, die in dieser Beziehung der Mehrzahl der
Menschen gesetzt ist, er ist frei von Eitelkeit, und hierin hat der so gern sich
selbstbeschauende Humor in des Dichters Erzählnugsweise seinen Grund.
Ärgert sich der Philister, wenn seine einmal in Spannung versetzte Neugier
nicht befriedigt wird, so macht es dem Humoristen umso mehr Spaß, die Be¬
friedigung der Spannung durch eingeschobene Randglossen zu verzögern, denu
sein höchstes Gaudium ist die Seelenfreiheit, die vollständige Unabhängigkeit
vom Stoff, die nie unterbrochene Gewißheit, bei sich selbst zu sein, über deu
Dingen zu stehen, besonnen zu blicken. Denn Besonnenheit, Wachsein ist
höchstes Gut; so süß es ist, sich selbst vergessen zu können, so klug ist es, sich
ohne Unterlaß selbst in der Macht zu behalten. Nicht bloß reif sein, sondern
auch frei sein ist alles. Dies will uns als der Grundgedanke von Raabes
Schaffen erscheinen. Daran sagt aber auch seine dichterische Arbeit nnr
einem engern Kreise von Menschen zu: sie ist ja in Form und Inhalt
geradezu der Gegensatz von volkstümlicher, naiver Kunst; sie ist das Werk


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Wilhelm Rabe und doch auch wieder neu, fesselnd, mau sieht, daß er sich nicht
damit begnügt, auf seinen Lorbeeren zu ruhen und wie so viele Virtnosen-
maler heutzutage ein erfolgreiches Kunststück bloß zu wiederholen. Romantiker
ist Racibe nicht etwa bloß wegen seines subjektiven Humors, der mit dein Leser
zu spielen liebt, vou der Sache zu der Form, die er der Erznhluug giebt, ab¬
lenkt, die Illusion, in die uns jedes Kunstwerk versetzen soll, aller Augenblicke
übermütig zerstört, um sie doch wieder, seiner Kraft voll bewußt, sobald er
nur will, unzerstört herzustellen; das allein macht Naabcs Romantik noch nicht
ans, so ganz und gar unmodern mich in unserm nach Thatsachen dürstenden,
erzprosaischem Zeitalter diese Art, Spaß zu machen, sein mag. Die Wurzel
von Raabes Romantik liegt in dem fast aus alle» seineu Dichtungen durch¬
schlagenden Gegensatz zu dem, was er „Philisterei" nennt und als solche mit
seinem Spott übergießt. Der Philister ist der Mensch nach der Schablone,
der seineu Schwerpunkt nicht in sich, sondern in der Meinung der andern
findet, der sein seelisches Gleichgewicht verliert, sobald sich die andern gegen
ihn wenden. Der Philister ist nach Raabes Meinung überall zu finden: bei
den Kleinbürgern und Beamten, bei den Gelehrten und Offizieren: er steckt
allen Deutschen im Blute. DaS Gegenteil des Philisters ist der sreie Mensch,
der sich selber des rechten Weges bewußt ist, der sich ohne Unterstützung der
Gevatterschaft munter und unverzagt durchs Leben schlägt, den uicht Lehrer
und Vormünder, soudern die Not des Lebens zu dem erzogen hat, was er ist,
der überhaupt jeder Erziehung spottet und mit klarer Geistesgegenwart die
Menschen und Verhältnisse überschauen kaun. Ein solcher Mensch ist zum
Führer der Philister geboren, sie sind froh, ihn zu haben, und lehnen sich in
allen Notfällen an ihn an. Dieser Gegensatz zur Philisterei fängt bei der
Fähigkeit an, über sich selbst zu lachen; ein solcher Mensch ist nicht befangen vou
sich selbst, er überspringt die Schranke, die in dieser Beziehung der Mehrzahl der
Menschen gesetzt ist, er ist frei von Eitelkeit, und hierin hat der so gern sich
selbstbeschauende Humor in des Dichters Erzählnugsweise seinen Grund.
Ärgert sich der Philister, wenn seine einmal in Spannung versetzte Neugier
nicht befriedigt wird, so macht es dem Humoristen umso mehr Spaß, die Be¬
friedigung der Spannung durch eingeschobene Randglossen zu verzögern, denu
sein höchstes Gaudium ist die Seelenfreiheit, die vollständige Unabhängigkeit
vom Stoff, die nie unterbrochene Gewißheit, bei sich selbst zu sein, über deu
Dingen zu stehen, besonnen zu blicken. Denn Besonnenheit, Wachsein ist
höchstes Gut; so süß es ist, sich selbst vergessen zu können, so klug ist es, sich
ohne Unterlaß selbst in der Macht zu behalten. Nicht bloß reif sein, sondern
auch frei sein ist alles. Dies will uns als der Grundgedanke von Raabes
Schaffen erscheinen. Daran sagt aber auch seine dichterische Arbeit nnr
einem engern Kreise von Menschen zu: sie ist ja in Form und Inhalt
geradezu der Gegensatz von volkstümlicher, naiver Kunst; sie ist das Werk


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/153>, abgerufen am 21.05.2024.