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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Die ausgesprochene Spiellust und ihren Einfluß auf die gesellige Kultur
der Zeit kann der nicht unbeachtet lassen, der dem Tagewerke des Rokoko seine
Aufmerksamkeit zuwendet. Der jüngste Darsteller dieser Zeit, Atom Schultz,
hat in seinem Buche: "Alltagsleben einer deutschen Frau zu Anfang des acht¬
zehnten Jahrhunderts" dieser für die Frauenwelt so wichtigen Erscheinung
entschieden zu geringes Gewicht beigelegt. "Weniger interessiren uns die
Kartenspiele der Zeit," bemerkt er und widmet ihnen nur wenige Zeilen.
Eine eingehendere Betrachtung wird zeigen, daß die Eigentümlichkeiten der Zeit
mich in der Pflege des Spieles anschaulich hervortreten. Der Versuch, die
Vedeutuug der bunten Blätter für das Gesellschaftsleben des Rokoko ins Auge
zu fassen, wird daher uicht als ein Raub um der Hoheit kulturgeschichtlicher
Forschung erscheinen.

Zahlreiche Zeugnisse von begeisterten Verehrern, mehr noch die vergeb¬
lichen Angriffe mürrischer Gegner beweisen, daß die Kartenspiele uuter den
Alltagsbelustiguugeu der Zeit eine geradezu herrschende Stellung einnahmen.
Ganz abgesehen von der umfangreichen rein technischen Litteratur, durch die
die Wissenschaft des Spieles ihre Ausbildung fand, spiegelt sich auch in den
verschiedenartigsten Äußerungen die Teilnahme, die man ihnen entgegenbrachte,
die übertriebene Wichtigkeit, die man ihnen beilegte. Goethes Aussage darf
hierbei ganz besonders in die Wagschale gelegt werden. Als er 1765 nach
Leipzig kam, ließen sichs freundliche Gönnerinnen angelegen sein, mehrere ihrer
Auffassung nach sehr auffällige Lücke., der galanten Bildung ihres Schützlings
auszufüllen. Besonders dringlich erschien es ihnen, ihn in die Geheimnisse
der beliebtesten Kartenspiele einzuweihen. "Sie lehrten mich -- erzählt der
Dichter -- Piquet und L'Hombre und was andere dergleichen Spiele sind,
deren Kenntnis und Ausübung in der Gesellschaft für unerläßlich gehalten
wird." Ohne jemals ein vollkommener und leidenschaftlicher Spieler zu werden
^ er nahm nnr den Spielsinn, nicht den Spielgeist für sich in Anspruch --
hat sich Goethe von da um eine weite und milde Auffassung des Kartenspiels
und seiner Bedeutung für das gesellige Leben bewahrt. Er geht sogar so
weit, zu erklären, daß ohne Kartenspiel "eine gewisse allgemeine Geselligkeit"
gar nicht mehr deutbar sei.

Eine ganze Reihe von Kartenspielen war in der Rokokozeit dazu berufen,
müßigen Stunden Flügel zu leihen und ein tändelndes Geschlecht über die
Leere des Daseins hinwegzutäuschen. Ihre Zahl war groß genug, um den
verschiedensten Neigungen gerecht zu werden.


Soll mich ein Kartenspiel ergötzen.
So ist es das Passarowitz.
Da pflegt es manche Lust zu setzen,
Da nehm ich willig Theil und Sitz.
Ich wüßte mir zum Zeitvertreiben
Kein besser Spielchen zu verschreibe"

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Die ausgesprochene Spiellust und ihren Einfluß auf die gesellige Kultur
der Zeit kann der nicht unbeachtet lassen, der dem Tagewerke des Rokoko seine
Aufmerksamkeit zuwendet. Der jüngste Darsteller dieser Zeit, Atom Schultz,
hat in seinem Buche: „Alltagsleben einer deutschen Frau zu Anfang des acht¬
zehnten Jahrhunderts" dieser für die Frauenwelt so wichtigen Erscheinung
entschieden zu geringes Gewicht beigelegt. „Weniger interessiren uns die
Kartenspiele der Zeit," bemerkt er und widmet ihnen nur wenige Zeilen.
Eine eingehendere Betrachtung wird zeigen, daß die Eigentümlichkeiten der Zeit
mich in der Pflege des Spieles anschaulich hervortreten. Der Versuch, die
Vedeutuug der bunten Blätter für das Gesellschaftsleben des Rokoko ins Auge
zu fassen, wird daher uicht als ein Raub um der Hoheit kulturgeschichtlicher
Forschung erscheinen.

Zahlreiche Zeugnisse von begeisterten Verehrern, mehr noch die vergeb¬
lichen Angriffe mürrischer Gegner beweisen, daß die Kartenspiele uuter den
Alltagsbelustiguugeu der Zeit eine geradezu herrschende Stellung einnahmen.
Ganz abgesehen von der umfangreichen rein technischen Litteratur, durch die
die Wissenschaft des Spieles ihre Ausbildung fand, spiegelt sich auch in den
verschiedenartigsten Äußerungen die Teilnahme, die man ihnen entgegenbrachte,
die übertriebene Wichtigkeit, die man ihnen beilegte. Goethes Aussage darf
hierbei ganz besonders in die Wagschale gelegt werden. Als er 1765 nach
Leipzig kam, ließen sichs freundliche Gönnerinnen angelegen sein, mehrere ihrer
Auffassung nach sehr auffällige Lücke., der galanten Bildung ihres Schützlings
auszufüllen. Besonders dringlich erschien es ihnen, ihn in die Geheimnisse
der beliebtesten Kartenspiele einzuweihen. „Sie lehrten mich — erzählt der
Dichter — Piquet und L'Hombre und was andere dergleichen Spiele sind,
deren Kenntnis und Ausübung in der Gesellschaft für unerläßlich gehalten
wird." Ohne jemals ein vollkommener und leidenschaftlicher Spieler zu werden
^ er nahm nnr den Spielsinn, nicht den Spielgeist für sich in Anspruch --
hat sich Goethe von da um eine weite und milde Auffassung des Kartenspiels
und seiner Bedeutung für das gesellige Leben bewahrt. Er geht sogar so
weit, zu erklären, daß ohne Kartenspiel „eine gewisse allgemeine Geselligkeit"
gar nicht mehr deutbar sei.

Eine ganze Reihe von Kartenspielen war in der Rokokozeit dazu berufen,
müßigen Stunden Flügel zu leihen und ein tändelndes Geschlecht über die
Leere des Daseins hinwegzutäuschen. Ihre Zahl war groß genug, um den
verschiedensten Neigungen gerecht zu werden.


Soll mich ein Kartenspiel ergötzen.
So ist es das Passarowitz.
Da pflegt es manche Lust zu setzen,
Da nehm ich willig Theil und Sitz.
Ich wüßte mir zum Zeitvertreiben
Kein besser Spielchen zu verschreibe»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/201>, abgerufen am 22.05.2024.