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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Noseggers hervorgehoben. Er selbst bemühte sich auch, im Bilde allerlei An¬
schauungen festzuhalten; aber die Unbeholfenheit dieser mit großer Sorgfalt
gemachten Zeichnungen kann Nosegger mir mit den ans den "Fliegende"
Blättern" berühmten Übungen des Knaben Moritz von Oberländer vergleichen.
Dagegen war der musikalische Sinn Hamerliugs stark entwickelt, er konnte frei
und schön auf dem Klavier phantasiren. Aber ohne Zuhörer. Fühlte er
solche in der Nähe, so klappte er den Kasten zu. Er war auch sehr eigen¬
sinnig. Er ließ sich von keinem raten, von keinem trösten, Ärzte ließ er auch
auf seinem Sterbebett nicht an sich heran. Er behauptete, selber soviel Me¬
dizin studirt zu habe", um sein Leiden und dessen Behandlung zu kennen (es
war ein chronisches Darmleiden). Auch einige Pedanterie war ihm eigentümlich.
Alle seine Schriften und Bücher hielt er in strengster Ordnung. Bücher, die
er sich geliehen hatte, versah er mit einem Umschlag, um sie sauber zu erhalten,
und schrieb den Namen des Eigentümers darauf. Die illustrirten Ausgaben
seiner eignen Bücher waren ihm gleichgiltig, was wir ihm nicht verargen,
man sehe sich nur die Prachtausgabe des "Ahasver" an; dagegen gefielen
ihm Paul Thumauns Bilder zu seinem Märchen ,,Amor und Psyche" sehr
gut. Seine eignen Exemplare dieser Prachtausgaben schickte er zum An¬
tiquar. Er wurde, namentlich von Verehrerinnen, mit Liebesgaben über¬
schüttet. So qualvoll ihm solche Zusendungen auch waren, so sorgfältig hob
er sie doch auf; sein Wohnzimmer war dermaßen mit solchen Reliquien an¬
gefüllt, daß Nosegger sagen kauu: Hamerliug war förmlich eingemauert in
Liebe. Ebenso hatte er alle Aktenstücke, alle Briefwechsel, die zu seiner Bio¬
graphie gehören, alle Tagebücher, die er geführt hat, sorgfältig geordnet
hinterlassen; das ist die Philisterei des Gelehrten, der die Philister haßte. Wir
haben eben alle unsre Schwächen. Aber rührend ist es doch, den Mann ans
dem letzten Krankenlager von keiner größern Sorge erfüllt zu sehen, als die
um seine "Atomistik," um der er jahrzehntelang gearbeitet hatte, und die er
doch nicht ganz ausfeilen konnte.

Bei aller durch seine Erziehung, seine Kränklichkeit, seine Einsamkeit, sein
Leben in der Provinz, seinen ersten Beruf als Lehrer begründeten äußerlichen
Unfreiheit (bezeichnend ist auch sein Verhältnis zum Gelde, das er stets wie
einer behandelte, der von armen Leuten stammt) ist doch der Zug wahrer
menschlicher Größe in ihm vorherrschend, und es ist der schönste Dank, den
Nosegger seinem Lehrer, Führer und Freunde abstatten konnte, daß er seine
MN "persönlichen Erinnerungen" niederschrieb.'^). . ,



Nach Schluß dieses Aufsatzes kommt uns eine litterarische Studie zu: Über Hamer¬
liugs Lyrik von Dr. Ernst Gnad (Graz, Verlag von Leuschucr und Lnbensky, 1L9I),
die uus deswegen beachtenswert erscheint, weil sie endlich mit einer nüchternen Beurteilung
Hamerliugs den Anfang macht und, wenn anch ohne die Sache zu erschöpfen, doch von wissen-

Noseggers hervorgehoben. Er selbst bemühte sich auch, im Bilde allerlei An¬
schauungen festzuhalten; aber die Unbeholfenheit dieser mit großer Sorgfalt
gemachten Zeichnungen kann Nosegger mir mit den ans den „Fliegende»
Blättern" berühmten Übungen des Knaben Moritz von Oberländer vergleichen.
Dagegen war der musikalische Sinn Hamerliugs stark entwickelt, er konnte frei
und schön auf dem Klavier phantasiren. Aber ohne Zuhörer. Fühlte er
solche in der Nähe, so klappte er den Kasten zu. Er war auch sehr eigen¬
sinnig. Er ließ sich von keinem raten, von keinem trösten, Ärzte ließ er auch
auf seinem Sterbebett nicht an sich heran. Er behauptete, selber soviel Me¬
dizin studirt zu habe», um sein Leiden und dessen Behandlung zu kennen (es
war ein chronisches Darmleiden). Auch einige Pedanterie war ihm eigentümlich.
Alle seine Schriften und Bücher hielt er in strengster Ordnung. Bücher, die
er sich geliehen hatte, versah er mit einem Umschlag, um sie sauber zu erhalten,
und schrieb den Namen des Eigentümers darauf. Die illustrirten Ausgaben
seiner eignen Bücher waren ihm gleichgiltig, was wir ihm nicht verargen,
man sehe sich nur die Prachtausgabe des „Ahasver" an; dagegen gefielen
ihm Paul Thumauns Bilder zu seinem Märchen ,,Amor und Psyche" sehr
gut. Seine eignen Exemplare dieser Prachtausgaben schickte er zum An¬
tiquar. Er wurde, namentlich von Verehrerinnen, mit Liebesgaben über¬
schüttet. So qualvoll ihm solche Zusendungen auch waren, so sorgfältig hob
er sie doch auf; sein Wohnzimmer war dermaßen mit solchen Reliquien an¬
gefüllt, daß Nosegger sagen kauu: Hamerliug war förmlich eingemauert in
Liebe. Ebenso hatte er alle Aktenstücke, alle Briefwechsel, die zu seiner Bio¬
graphie gehören, alle Tagebücher, die er geführt hat, sorgfältig geordnet
hinterlassen; das ist die Philisterei des Gelehrten, der die Philister haßte. Wir
haben eben alle unsre Schwächen. Aber rührend ist es doch, den Mann ans
dem letzten Krankenlager von keiner größern Sorge erfüllt zu sehen, als die
um seine „Atomistik," um der er jahrzehntelang gearbeitet hatte, und die er
doch nicht ganz ausfeilen konnte.

Bei aller durch seine Erziehung, seine Kränklichkeit, seine Einsamkeit, sein
Leben in der Provinz, seinen ersten Beruf als Lehrer begründeten äußerlichen
Unfreiheit (bezeichnend ist auch sein Verhältnis zum Gelde, das er stets wie
einer behandelte, der von armen Leuten stammt) ist doch der Zug wahrer
menschlicher Größe in ihm vorherrschend, und es ist der schönste Dank, den
Nosegger seinem Lehrer, Führer und Freunde abstatten konnte, daß er seine
MN „persönlichen Erinnerungen" niederschrieb.'^). . ,



Nach Schluß dieses Aufsatzes kommt uns eine litterarische Studie zu: Über Hamer¬
liugs Lyrik von Dr. Ernst Gnad (Graz, Verlag von Leuschucr und Lnbensky, 1L9I),
die uus deswegen beachtenswert erscheint, weil sie endlich mit einer nüchternen Beurteilung
Hamerliugs den Anfang macht und, wenn anch ohne die Sache zu erschöpfen, doch von wissen-
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[0292] Noseggers hervorgehoben. Er selbst bemühte sich auch, im Bilde allerlei An¬ schauungen festzuhalten; aber die Unbeholfenheit dieser mit großer Sorgfalt gemachten Zeichnungen kann Nosegger mir mit den ans den „Fliegende» Blättern" berühmten Übungen des Knaben Moritz von Oberländer vergleichen. Dagegen war der musikalische Sinn Hamerliugs stark entwickelt, er konnte frei und schön auf dem Klavier phantasiren. Aber ohne Zuhörer. Fühlte er solche in der Nähe, so klappte er den Kasten zu. Er war auch sehr eigen¬ sinnig. Er ließ sich von keinem raten, von keinem trösten, Ärzte ließ er auch auf seinem Sterbebett nicht an sich heran. Er behauptete, selber soviel Me¬ dizin studirt zu habe», um sein Leiden und dessen Behandlung zu kennen (es war ein chronisches Darmleiden). Auch einige Pedanterie war ihm eigentümlich. Alle seine Schriften und Bücher hielt er in strengster Ordnung. Bücher, die er sich geliehen hatte, versah er mit einem Umschlag, um sie sauber zu erhalten, und schrieb den Namen des Eigentümers darauf. Die illustrirten Ausgaben seiner eignen Bücher waren ihm gleichgiltig, was wir ihm nicht verargen, man sehe sich nur die Prachtausgabe des „Ahasver" an; dagegen gefielen ihm Paul Thumauns Bilder zu seinem Märchen ,,Amor und Psyche" sehr gut. Seine eignen Exemplare dieser Prachtausgaben schickte er zum An¬ tiquar. Er wurde, namentlich von Verehrerinnen, mit Liebesgaben über¬ schüttet. So qualvoll ihm solche Zusendungen auch waren, so sorgfältig hob er sie doch auf; sein Wohnzimmer war dermaßen mit solchen Reliquien an¬ gefüllt, daß Nosegger sagen kauu: Hamerliug war förmlich eingemauert in Liebe. Ebenso hatte er alle Aktenstücke, alle Briefwechsel, die zu seiner Bio¬ graphie gehören, alle Tagebücher, die er geführt hat, sorgfältig geordnet hinterlassen; das ist die Philisterei des Gelehrten, der die Philister haßte. Wir haben eben alle unsre Schwächen. Aber rührend ist es doch, den Mann ans dem letzten Krankenlager von keiner größern Sorge erfüllt zu sehen, als die um seine „Atomistik," um der er jahrzehntelang gearbeitet hatte, und die er doch nicht ganz ausfeilen konnte. Bei aller durch seine Erziehung, seine Kränklichkeit, seine Einsamkeit, sein Leben in der Provinz, seinen ersten Beruf als Lehrer begründeten äußerlichen Unfreiheit (bezeichnend ist auch sein Verhältnis zum Gelde, das er stets wie einer behandelte, der von armen Leuten stammt) ist doch der Zug wahrer menschlicher Größe in ihm vorherrschend, und es ist der schönste Dank, den Nosegger seinem Lehrer, Führer und Freunde abstatten konnte, daß er seine MN „persönlichen Erinnerungen" niederschrieb.'^). . , Nach Schluß dieses Aufsatzes kommt uns eine litterarische Studie zu: Über Hamer¬ liugs Lyrik von Dr. Ernst Gnad (Graz, Verlag von Leuschucr und Lnbensky, 1L9I), die uus deswegen beachtenswert erscheint, weil sie endlich mit einer nüchternen Beurteilung Hamerliugs den Anfang macht und, wenn anch ohne die Sache zu erschöpfen, doch von wissen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/292>, abgerufen am 22.05.2024.