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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Das Zukunftsreich Zambesia und dessen Legründer

Deutschland und Österreich-Ungarn zusammengenommen, im Herzen Afrikas,
in den Tropen, ohne Eisenbahnen, ohne Straßen, ohne (soviel bekannt) schiff¬
bare Flüsse, ohne die geringste weiße Bevölkerung erhebt sich seit einem halben
Jahre ein großes binnenländisches, nach den Regeln moderner Zivilisation zu
verwaltendes Reich, das von der See, dem Atlantischen wie dem Indischen
Ozean, durch mindestens mehrere hundert englische Meilen breite fremde,
nebenbuhlerische, feindliche Gebiete abgeschnitten schien, das von der Nord-
uud der Südküste Afrikas durch schier unüberwindliche Entfernungen getrennt ist"

Der Staaten-Hoiuuncnlus auf Aktien ist noch nicht fertig und ausgestaltet,
aber seine Hinrisse sind bereits erkennbar, er krystallisirt sich aus dem um¬
gebenden Chaos, er reckt und streckt sich zu einem Organismus, er ist noch
nicht völlig erstanden, aber er entsteht.

Dieses Zukunftsreich heißt Zambesia, der Prophet und Schöpfer zugleich,
in dessen Kopf der Gedanke keimte, unter dessen Zauberstab das Samenkorn,
weltgeschichtlich betrachtet, mit verblüffender Schnelligkeit zu einem Staatswesen
erwächst, Cecil Rhodes.

Die Grenzen des neuen Reiches sind im Süden Transvaal und Britisch-
Betschuanaland, im Norden der Kongostaat und Deutschostafrika, im Osten
und Westen die portugiesischen Küstenbesitzuugen, gegen Deutschsüdwestafrika
der 20. und (nördlich vom 22. Grad südlicher Breite) der 21. Meridian, der
durch das deutsch-englische Abkommen vom 1. Juli 1890 als Demarkations¬
linie festgestellt ist.

Noch vor wenigen Jahren hätte man sich kein tolleres Hirngespinst denken
können, als in diesem dunkelsten, unerforschten und unzugänglichen Teile des
dunkeln Kontinents ein großes modernes Reich zu gründen. Es braucht uur
darauf hingewiesen zu werden, daß, abgesehen von einigen unruhigen Betschuana-
stämmen, namentlich die militärisch organisirten Matabeles,^ sowie weiter nörd¬
lich die Barotse, Muschukulumbe u. s. w. äußerst kriegerisch und unbündig
sind. Ihre Unterjochung schien bei der Entfernung und bei der Schwierigkeit des
Transports und Unterhalts geordneter Truppen kaum ausführbar. Eine Tonne
Kohlen kostet in Kapstadt für regelmäßige Abnehmer, die sie aufstapeln und
die Konjunkturen mitnehmen können, ungefähr 2 Pfund Sterling (40 Schilling
-- 40 Mark); die deutsche Marineverwaltung, die das nicht kann, muß vertrags¬
mäßig 54 und mehr Schillinge zahlen. Die billigste Eisenbahnfracht nach
Kimberleh beträgt von Port Elizabeth, dem nächsten, etwa 500 englische
Meilen entfernten Hafen, gegen 6 Pfund Sterling pro Tonne. Herr Rhodes
hat selbst in einer bekannten Rede hervorgehoben, daß in Kiinberleh die Tonne
Kohlen nicht unter 8 bis 9 Pfund Sterling zu haben ist. Von Kimberleh
nach dem Sitz des neuen Reiches in Mnschonalaud sind noch über 1000 Meilen,
davon etwa 900 ohne Schienenweg, ohne gebahnte Straßen, über brückenlose
Flüsse, die in der Regenzeit angeschwollen und unpassirbar sind. Die Kosten


Das Zukunftsreich Zambesia und dessen Legründer

Deutschland und Österreich-Ungarn zusammengenommen, im Herzen Afrikas,
in den Tropen, ohne Eisenbahnen, ohne Straßen, ohne (soviel bekannt) schiff¬
bare Flüsse, ohne die geringste weiße Bevölkerung erhebt sich seit einem halben
Jahre ein großes binnenländisches, nach den Regeln moderner Zivilisation zu
verwaltendes Reich, das von der See, dem Atlantischen wie dem Indischen
Ozean, durch mindestens mehrere hundert englische Meilen breite fremde,
nebenbuhlerische, feindliche Gebiete abgeschnitten schien, das von der Nord-
uud der Südküste Afrikas durch schier unüberwindliche Entfernungen getrennt ist»

Der Staaten-Hoiuuncnlus auf Aktien ist noch nicht fertig und ausgestaltet,
aber seine Hinrisse sind bereits erkennbar, er krystallisirt sich aus dem um¬
gebenden Chaos, er reckt und streckt sich zu einem Organismus, er ist noch
nicht völlig erstanden, aber er entsteht.

Dieses Zukunftsreich heißt Zambesia, der Prophet und Schöpfer zugleich,
in dessen Kopf der Gedanke keimte, unter dessen Zauberstab das Samenkorn,
weltgeschichtlich betrachtet, mit verblüffender Schnelligkeit zu einem Staatswesen
erwächst, Cecil Rhodes.

Die Grenzen des neuen Reiches sind im Süden Transvaal und Britisch-
Betschuanaland, im Norden der Kongostaat und Deutschostafrika, im Osten
und Westen die portugiesischen Küstenbesitzuugen, gegen Deutschsüdwestafrika
der 20. und (nördlich vom 22. Grad südlicher Breite) der 21. Meridian, der
durch das deutsch-englische Abkommen vom 1. Juli 1890 als Demarkations¬
linie festgestellt ist.

Noch vor wenigen Jahren hätte man sich kein tolleres Hirngespinst denken
können, als in diesem dunkelsten, unerforschten und unzugänglichen Teile des
dunkeln Kontinents ein großes modernes Reich zu gründen. Es braucht uur
darauf hingewiesen zu werden, daß, abgesehen von einigen unruhigen Betschuana-
stämmen, namentlich die militärisch organisirten Matabeles,^ sowie weiter nörd¬
lich die Barotse, Muschukulumbe u. s. w. äußerst kriegerisch und unbündig
sind. Ihre Unterjochung schien bei der Entfernung und bei der Schwierigkeit des
Transports und Unterhalts geordneter Truppen kaum ausführbar. Eine Tonne
Kohlen kostet in Kapstadt für regelmäßige Abnehmer, die sie aufstapeln und
die Konjunkturen mitnehmen können, ungefähr 2 Pfund Sterling (40 Schilling
— 40 Mark); die deutsche Marineverwaltung, die das nicht kann, muß vertrags¬
mäßig 54 und mehr Schillinge zahlen. Die billigste Eisenbahnfracht nach
Kimberleh beträgt von Port Elizabeth, dem nächsten, etwa 500 englische
Meilen entfernten Hafen, gegen 6 Pfund Sterling pro Tonne. Herr Rhodes
hat selbst in einer bekannten Rede hervorgehoben, daß in Kiinberleh die Tonne
Kohlen nicht unter 8 bis 9 Pfund Sterling zu haben ist. Von Kimberleh
nach dem Sitz des neuen Reiches in Mnschonalaud sind noch über 1000 Meilen,
davon etwa 900 ohne Schienenweg, ohne gebahnte Straßen, über brückenlose
Flüsse, die in der Regenzeit angeschwollen und unpassirbar sind. Die Kosten


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[0300] Das Zukunftsreich Zambesia und dessen Legründer Deutschland und Österreich-Ungarn zusammengenommen, im Herzen Afrikas, in den Tropen, ohne Eisenbahnen, ohne Straßen, ohne (soviel bekannt) schiff¬ bare Flüsse, ohne die geringste weiße Bevölkerung erhebt sich seit einem halben Jahre ein großes binnenländisches, nach den Regeln moderner Zivilisation zu verwaltendes Reich, das von der See, dem Atlantischen wie dem Indischen Ozean, durch mindestens mehrere hundert englische Meilen breite fremde, nebenbuhlerische, feindliche Gebiete abgeschnitten schien, das von der Nord- uud der Südküste Afrikas durch schier unüberwindliche Entfernungen getrennt ist» Der Staaten-Hoiuuncnlus auf Aktien ist noch nicht fertig und ausgestaltet, aber seine Hinrisse sind bereits erkennbar, er krystallisirt sich aus dem um¬ gebenden Chaos, er reckt und streckt sich zu einem Organismus, er ist noch nicht völlig erstanden, aber er entsteht. Dieses Zukunftsreich heißt Zambesia, der Prophet und Schöpfer zugleich, in dessen Kopf der Gedanke keimte, unter dessen Zauberstab das Samenkorn, weltgeschichtlich betrachtet, mit verblüffender Schnelligkeit zu einem Staatswesen erwächst, Cecil Rhodes. Die Grenzen des neuen Reiches sind im Süden Transvaal und Britisch- Betschuanaland, im Norden der Kongostaat und Deutschostafrika, im Osten und Westen die portugiesischen Küstenbesitzuugen, gegen Deutschsüdwestafrika der 20. und (nördlich vom 22. Grad südlicher Breite) der 21. Meridian, der durch das deutsch-englische Abkommen vom 1. Juli 1890 als Demarkations¬ linie festgestellt ist. Noch vor wenigen Jahren hätte man sich kein tolleres Hirngespinst denken können, als in diesem dunkelsten, unerforschten und unzugänglichen Teile des dunkeln Kontinents ein großes modernes Reich zu gründen. Es braucht uur darauf hingewiesen zu werden, daß, abgesehen von einigen unruhigen Betschuana- stämmen, namentlich die militärisch organisirten Matabeles,^ sowie weiter nörd¬ lich die Barotse, Muschukulumbe u. s. w. äußerst kriegerisch und unbündig sind. Ihre Unterjochung schien bei der Entfernung und bei der Schwierigkeit des Transports und Unterhalts geordneter Truppen kaum ausführbar. Eine Tonne Kohlen kostet in Kapstadt für regelmäßige Abnehmer, die sie aufstapeln und die Konjunkturen mitnehmen können, ungefähr 2 Pfund Sterling (40 Schilling — 40 Mark); die deutsche Marineverwaltung, die das nicht kann, muß vertrags¬ mäßig 54 und mehr Schillinge zahlen. Die billigste Eisenbahnfracht nach Kimberleh beträgt von Port Elizabeth, dem nächsten, etwa 500 englische Meilen entfernten Hafen, gegen 6 Pfund Sterling pro Tonne. Herr Rhodes hat selbst in einer bekannten Rede hervorgehoben, daß in Kiinberleh die Tonne Kohlen nicht unter 8 bis 9 Pfund Sterling zu haben ist. Von Kimberleh nach dem Sitz des neuen Reiches in Mnschonalaud sind noch über 1000 Meilen, davon etwa 900 ohne Schienenweg, ohne gebahnte Straßen, über brückenlose Flüsse, die in der Regenzeit angeschwollen und unpassirbar sind. Die Kosten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/300>, abgerufen am 22.05.2024.