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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Die Rechtsverfolgung wider den Staat

deutsche Zivilprozeßordnung (Z 20) aufgenommen worden. So ist denn
dieser preußische Sich in ganz Deutschland Rechtens geworden, und der, der
einen Rechtsanspruch gegen den Staat ans dein Prozeßwege verfolgen will,
muß vor allem die Behörde wissen, die er im Namen des Staates zu be¬
lange" hat. Diese Behörde ausfindig zu mache", ist aber in Preußen und
auch im deutscheu Reiche durchaus nicht immer leicht. Denn eine Behörde, die
allgemein deu Staat oder, wie er in seiner verklagbareu Eigenschaft genannt
wird, den Fiskus zu vertreten berufen wäre, giebt es nicht. Vielmehr ist diese
Vertretung einer großen Anzahl von Behörden zugewiesen, und die bezüglichen
Bestimmungen lasse" es mitunter höchst zweifelhaft erscheinen, gegen welche
Behörde die Klage z" richte" sei. Wehe aber dem Kläger, wenn er nicht die
richtige Behörde trifft! Dann wendet die Behörde, der er die Klage hat zu¬
stellen lassen, ein, sie sei nicht der richtige Verklagte. Findet das Gericht
diesen Einwand begründet, so wird der Kläger abgewiesen und muß die Kohle"
des Prozesses trage". Da"" kauu er sehe", ob er eine aiidre Behörde findet,
die den Staat zu vertreten hat, und gegen diese kann er dann einen neuen
Prozeß anfangen. Vielleicht ist auch diese nicht die richtige, dann wird der
Kläger wieder abgewiesen. Ist er dann noch nicht prvzeßmüde, so kaun er
in einem dritten Prozesse versuche", ob er den richtigen Verklagten trifft.

Mir ist eins meiner Praxis folgender Fall, der im Laufe der siebziger
Jahre spielte, noch in Erinnerung. Die Witwe eiues Professors in Kiel
glaubte einen Anspruch auf deu Gehalt ihres verstorbenen Mannes für ein
Gnadenjahr zu haben. Dn dieser Anspruch nicht anerkannt wurde, wollte sie
den Fiskus verklagen. Sie richtete ihre Klage zuerst gegen die königliche
Regierung zu Schleswig. Diese wendete ein, sie sei nicht zur Vertretung des
Fiskus in dieser Sache berufen; in Angelegenheiten der Universität werde der
Fiskus von dem Nniversitäts-Kurator vertreten. Im Verhaudluugstermiue
ließ hierauf der Anwalt der Klägerin die Klage fallen; natürlich unter Be¬
zahlung der Kosten. Er erhob uun dieselbe Klage gegen den Kurator der
Universität als den Vertreter des königlichen Kultusministeriums. Dieser
Kurator war zugleich der Oberpräsident. Aber auch dieser Verklagte wendete
ein, er sei nicht der richtige, da das Kuratorium nicht das Kultusministerium
vertrete. In erster Instanz ward dieser Einwand verworfen, und der ein¬
geklagte Anspruch der Klägerin zuerkannt. Nun appellirte der Verklagte wegen
Verwerfung seines Einwandes, und in zweiter Instanz wurde erkannt, daß
allerdings der Universitäts-Kurator und Oberpräsident nicht der richtige Ver¬
klagte sei; wobei die Entscheiduugsgrttnde dahingestellt sein ließen, ob die
Provinzialregierung oder das königliche Kultusministerium unmittelbar zu ver¬
klagen sei. Auf eine weitere Beschwerde wurde diese Entscheidung durch ein
Erkenntnis des Obertribuuals bestätigt, ohne daß auch diese Instanz sich ge¬
müßigt gefunden hätte, auszusprechen, wer deun nun eigentlich in diesem Falle


Die Rechtsverfolgung wider den Staat

deutsche Zivilprozeßordnung (Z 20) aufgenommen worden. So ist denn
dieser preußische Sich in ganz Deutschland Rechtens geworden, und der, der
einen Rechtsanspruch gegen den Staat ans dein Prozeßwege verfolgen will,
muß vor allem die Behörde wissen, die er im Namen des Staates zu be¬
lange» hat. Diese Behörde ausfindig zu mache», ist aber in Preußen und
auch im deutscheu Reiche durchaus nicht immer leicht. Denn eine Behörde, die
allgemein deu Staat oder, wie er in seiner verklagbareu Eigenschaft genannt
wird, den Fiskus zu vertreten berufen wäre, giebt es nicht. Vielmehr ist diese
Vertretung einer großen Anzahl von Behörden zugewiesen, und die bezüglichen
Bestimmungen lasse» es mitunter höchst zweifelhaft erscheinen, gegen welche
Behörde die Klage z» richte» sei. Wehe aber dem Kläger, wenn er nicht die
richtige Behörde trifft! Dann wendet die Behörde, der er die Klage hat zu¬
stellen lassen, ein, sie sei nicht der richtige Verklagte. Findet das Gericht
diesen Einwand begründet, so wird der Kläger abgewiesen und muß die Kohle»
des Prozesses trage». Da»» kauu er sehe», ob er eine aiidre Behörde findet,
die den Staat zu vertreten hat, und gegen diese kann er dann einen neuen
Prozeß anfangen. Vielleicht ist auch diese nicht die richtige, dann wird der
Kläger wieder abgewiesen. Ist er dann noch nicht prvzeßmüde, so kaun er
in einem dritten Prozesse versuche», ob er den richtigen Verklagten trifft.

Mir ist eins meiner Praxis folgender Fall, der im Laufe der siebziger
Jahre spielte, noch in Erinnerung. Die Witwe eiues Professors in Kiel
glaubte einen Anspruch auf deu Gehalt ihres verstorbenen Mannes für ein
Gnadenjahr zu haben. Dn dieser Anspruch nicht anerkannt wurde, wollte sie
den Fiskus verklagen. Sie richtete ihre Klage zuerst gegen die königliche
Regierung zu Schleswig. Diese wendete ein, sie sei nicht zur Vertretung des
Fiskus in dieser Sache berufen; in Angelegenheiten der Universität werde der
Fiskus von dem Nniversitäts-Kurator vertreten. Im Verhaudluugstermiue
ließ hierauf der Anwalt der Klägerin die Klage fallen; natürlich unter Be¬
zahlung der Kosten. Er erhob uun dieselbe Klage gegen den Kurator der
Universität als den Vertreter des königlichen Kultusministeriums. Dieser
Kurator war zugleich der Oberpräsident. Aber auch dieser Verklagte wendete
ein, er sei nicht der richtige, da das Kuratorium nicht das Kultusministerium
vertrete. In erster Instanz ward dieser Einwand verworfen, und der ein¬
geklagte Anspruch der Klägerin zuerkannt. Nun appellirte der Verklagte wegen
Verwerfung seines Einwandes, und in zweiter Instanz wurde erkannt, daß
allerdings der Universitäts-Kurator und Oberpräsident nicht der richtige Ver¬
klagte sei; wobei die Entscheiduugsgrttnde dahingestellt sein ließen, ob die
Provinzialregierung oder das königliche Kultusministerium unmittelbar zu ver¬
klagen sei. Auf eine weitere Beschwerde wurde diese Entscheidung durch ein
Erkenntnis des Obertribuuals bestätigt, ohne daß auch diese Instanz sich ge¬
müßigt gefunden hätte, auszusprechen, wer deun nun eigentlich in diesem Falle


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[0513] Die Rechtsverfolgung wider den Staat deutsche Zivilprozeßordnung (Z 20) aufgenommen worden. So ist denn dieser preußische Sich in ganz Deutschland Rechtens geworden, und der, der einen Rechtsanspruch gegen den Staat ans dein Prozeßwege verfolgen will, muß vor allem die Behörde wissen, die er im Namen des Staates zu be¬ lange» hat. Diese Behörde ausfindig zu mache», ist aber in Preußen und auch im deutscheu Reiche durchaus nicht immer leicht. Denn eine Behörde, die allgemein deu Staat oder, wie er in seiner verklagbareu Eigenschaft genannt wird, den Fiskus zu vertreten berufen wäre, giebt es nicht. Vielmehr ist diese Vertretung einer großen Anzahl von Behörden zugewiesen, und die bezüglichen Bestimmungen lasse» es mitunter höchst zweifelhaft erscheinen, gegen welche Behörde die Klage z» richte» sei. Wehe aber dem Kläger, wenn er nicht die richtige Behörde trifft! Dann wendet die Behörde, der er die Klage hat zu¬ stellen lassen, ein, sie sei nicht der richtige Verklagte. Findet das Gericht diesen Einwand begründet, so wird der Kläger abgewiesen und muß die Kohle» des Prozesses trage». Da»» kauu er sehe», ob er eine aiidre Behörde findet, die den Staat zu vertreten hat, und gegen diese kann er dann einen neuen Prozeß anfangen. Vielleicht ist auch diese nicht die richtige, dann wird der Kläger wieder abgewiesen. Ist er dann noch nicht prvzeßmüde, so kaun er in einem dritten Prozesse versuche», ob er den richtigen Verklagten trifft. Mir ist eins meiner Praxis folgender Fall, der im Laufe der siebziger Jahre spielte, noch in Erinnerung. Die Witwe eiues Professors in Kiel glaubte einen Anspruch auf deu Gehalt ihres verstorbenen Mannes für ein Gnadenjahr zu haben. Dn dieser Anspruch nicht anerkannt wurde, wollte sie den Fiskus verklagen. Sie richtete ihre Klage zuerst gegen die königliche Regierung zu Schleswig. Diese wendete ein, sie sei nicht zur Vertretung des Fiskus in dieser Sache berufen; in Angelegenheiten der Universität werde der Fiskus von dem Nniversitäts-Kurator vertreten. Im Verhaudluugstermiue ließ hierauf der Anwalt der Klägerin die Klage fallen; natürlich unter Be¬ zahlung der Kosten. Er erhob uun dieselbe Klage gegen den Kurator der Universität als den Vertreter des königlichen Kultusministeriums. Dieser Kurator war zugleich der Oberpräsident. Aber auch dieser Verklagte wendete ein, er sei nicht der richtige, da das Kuratorium nicht das Kultusministerium vertrete. In erster Instanz ward dieser Einwand verworfen, und der ein¬ geklagte Anspruch der Klägerin zuerkannt. Nun appellirte der Verklagte wegen Verwerfung seines Einwandes, und in zweiter Instanz wurde erkannt, daß allerdings der Universitäts-Kurator und Oberpräsident nicht der richtige Ver¬ klagte sei; wobei die Entscheiduugsgrttnde dahingestellt sein ließen, ob die Provinzialregierung oder das königliche Kultusministerium unmittelbar zu ver¬ klagen sei. Auf eine weitere Beschwerde wurde diese Entscheidung durch ein Erkenntnis des Obertribuuals bestätigt, ohne daß auch diese Instanz sich ge¬ müßigt gefunden hätte, auszusprechen, wer deun nun eigentlich in diesem Falle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/513>, abgerufen am 22.05.2024.