Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß bei uns der "Rechts¬
staat" doch noch ans schwachen Füßen steht. Unwillkürlich wird man zu
der Frage geführt, ob deun nicht dieser Zustand geändert werden könne? Und
dabei kommt uns in Erinnerung, daß in einem früheren deutschen Staate eine
Einrichtung bestand, die alle Gefahren dieser Art dem Rechtsuchende" abnahm;
eine Einrichtung, die freilich mit dem gedachten Staat selbst von der Vild-
fläche verschwunden ist. In dein kurhessischen Gesetze vom 11. Juli 1832
war angeordnet, daß jede Klage gegen den Staat, die Landesherrschaft oder
eine öffentliche Anstalt, deren Vermögen ausschließlich der Verfügung der
Staatsbehörden unterworfen war, gegen den "Staatsanwalt" zu richten sei.
Dieser Staatsnnwalt war freilich nicht der Stantsanwalt im heutigen Sinne,
der im Strafprozesse Anklage zu erheben hat. Vielmehr war der hessische
Staatsanwalt der ein für allemal bestellte zivilrechtliche Vertreter des Staates
in allen Rechtssachen. Für jede Provinz war ein solcher Staatsanwalt an¬
gestellt. Die Klage war gegen den Staatsanwnlt der Provinz zu richten,
die die Angelegenheit betraf oder worin sie vorkam oder zu behandeln war.
Diese Einrichtung ließ so gut wie niemals Zweifel und Streitigkeiten der ge¬
dachten Art aufkommen. War die .^'lage dem Staatsanwalt eingehändigt, so
hatte dieser sie der Behörde einzureichen, die deu Prozeß zu führen und ihn
mit Instruktion zu versehen hatte. Beständen Zweifel über diese Behörde, so
waren diese zwischen den Behörden untereinander nuszutrageu. Der Kläger
aber hatte nicht darunter zu leiden. Das war eine Einrichtung, die eines
Staates, der das Recht hochhält, würdig ist.

Wann werden wir wohl dahin kommen, daß diese wertvolle Einrichtung
eines vielgeschmähten Landes (oder wenigstens eine ähnliche) in ganz Deutsch¬
land Eingang findet an der Stelle der jetzigen, die sich vielfach als eine dem
guten Rechte gestellte Falle ausweist? Einstweilen wollen wir aber dem Schrift¬
steller und auch denen, die ihn zu seiner Schrift veranlaßt haben, dankbar
dafür sein, daß durch diese Schrift wenigstens einiges Licht über diese schwache
Seite unseres Rechtslebens verbreitet worden ist.




so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß bei uns der „Rechts¬
staat" doch noch ans schwachen Füßen steht. Unwillkürlich wird man zu
der Frage geführt, ob deun nicht dieser Zustand geändert werden könne? Und
dabei kommt uns in Erinnerung, daß in einem früheren deutschen Staate eine
Einrichtung bestand, die alle Gefahren dieser Art dem Rechtsuchende» abnahm;
eine Einrichtung, die freilich mit dem gedachten Staat selbst von der Vild-
fläche verschwunden ist. In dein kurhessischen Gesetze vom 11. Juli 1832
war angeordnet, daß jede Klage gegen den Staat, die Landesherrschaft oder
eine öffentliche Anstalt, deren Vermögen ausschließlich der Verfügung der
Staatsbehörden unterworfen war, gegen den „Staatsanwalt" zu richten sei.
Dieser Staatsnnwalt war freilich nicht der Stantsanwalt im heutigen Sinne,
der im Strafprozesse Anklage zu erheben hat. Vielmehr war der hessische
Staatsanwalt der ein für allemal bestellte zivilrechtliche Vertreter des Staates
in allen Rechtssachen. Für jede Provinz war ein solcher Staatsanwalt an¬
gestellt. Die Klage war gegen den Staatsanwnlt der Provinz zu richten,
die die Angelegenheit betraf oder worin sie vorkam oder zu behandeln war.
Diese Einrichtung ließ so gut wie niemals Zweifel und Streitigkeiten der ge¬
dachten Art aufkommen. War die .^'lage dem Staatsanwalt eingehändigt, so
hatte dieser sie der Behörde einzureichen, die deu Prozeß zu führen und ihn
mit Instruktion zu versehen hatte. Beständen Zweifel über diese Behörde, so
waren diese zwischen den Behörden untereinander nuszutrageu. Der Kläger
aber hatte nicht darunter zu leiden. Das war eine Einrichtung, die eines
Staates, der das Recht hochhält, würdig ist.

Wann werden wir wohl dahin kommen, daß diese wertvolle Einrichtung
eines vielgeschmähten Landes (oder wenigstens eine ähnliche) in ganz Deutsch¬
land Eingang findet an der Stelle der jetzigen, die sich vielfach als eine dem
guten Rechte gestellte Falle ausweist? Einstweilen wollen wir aber dem Schrift¬
steller und auch denen, die ihn zu seiner Schrift veranlaßt haben, dankbar
dafür sein, daß durch diese Schrift wenigstens einiges Licht über diese schwache
Seite unseres Rechtslebens verbreitet worden ist.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/210383"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1421" prev="#ID_1420"> so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß bei uns der &#x201E;Rechts¬<lb/>
staat" doch noch ans schwachen Füßen steht. Unwillkürlich wird man zu<lb/>
der Frage geführt, ob deun nicht dieser Zustand geändert werden könne? Und<lb/>
dabei kommt uns in Erinnerung, daß in einem früheren deutschen Staate eine<lb/>
Einrichtung bestand, die alle Gefahren dieser Art dem Rechtsuchende» abnahm;<lb/>
eine Einrichtung, die freilich mit dem gedachten Staat selbst von der Vild-<lb/>
fläche verschwunden ist. In dein kurhessischen Gesetze vom 11. Juli 1832<lb/>
war angeordnet, daß jede Klage gegen den Staat, die Landesherrschaft oder<lb/>
eine öffentliche Anstalt, deren Vermögen ausschließlich der Verfügung der<lb/>
Staatsbehörden unterworfen war, gegen den &#x201E;Staatsanwalt" zu richten sei.<lb/>
Dieser Staatsnnwalt war freilich nicht der Stantsanwalt im heutigen Sinne,<lb/>
der im Strafprozesse Anklage zu erheben hat. Vielmehr war der hessische<lb/>
Staatsanwalt der ein für allemal bestellte zivilrechtliche Vertreter des Staates<lb/>
in allen Rechtssachen. Für jede Provinz war ein solcher Staatsanwalt an¬<lb/>
gestellt. Die Klage war gegen den Staatsanwnlt der Provinz zu richten,<lb/>
die die Angelegenheit betraf oder worin sie vorkam oder zu behandeln war.<lb/>
Diese Einrichtung ließ so gut wie niemals Zweifel und Streitigkeiten der ge¬<lb/>
dachten Art aufkommen. War die .^'lage dem Staatsanwalt eingehändigt, so<lb/>
hatte dieser sie der Behörde einzureichen, die deu Prozeß zu führen und ihn<lb/>
mit Instruktion zu versehen hatte. Beständen Zweifel über diese Behörde, so<lb/>
waren diese zwischen den Behörden untereinander nuszutrageu. Der Kläger<lb/>
aber hatte nicht darunter zu leiden. Das war eine Einrichtung, die eines<lb/>
Staates, der das Recht hochhält, würdig ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1422"> Wann werden wir wohl dahin kommen, daß diese wertvolle Einrichtung<lb/>
eines vielgeschmähten Landes (oder wenigstens eine ähnliche) in ganz Deutsch¬<lb/>
land Eingang findet an der Stelle der jetzigen, die sich vielfach als eine dem<lb/>
guten Rechte gestellte Falle ausweist? Einstweilen wollen wir aber dem Schrift¬<lb/>
steller und auch denen, die ihn zu seiner Schrift veranlaßt haben, dankbar<lb/>
dafür sein, daß durch diese Schrift wenigstens einiges Licht über diese schwache<lb/>
Seite unseres Rechtslebens verbreitet worden ist.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0516] so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß bei uns der „Rechts¬ staat" doch noch ans schwachen Füßen steht. Unwillkürlich wird man zu der Frage geführt, ob deun nicht dieser Zustand geändert werden könne? Und dabei kommt uns in Erinnerung, daß in einem früheren deutschen Staate eine Einrichtung bestand, die alle Gefahren dieser Art dem Rechtsuchende» abnahm; eine Einrichtung, die freilich mit dem gedachten Staat selbst von der Vild- fläche verschwunden ist. In dein kurhessischen Gesetze vom 11. Juli 1832 war angeordnet, daß jede Klage gegen den Staat, die Landesherrschaft oder eine öffentliche Anstalt, deren Vermögen ausschließlich der Verfügung der Staatsbehörden unterworfen war, gegen den „Staatsanwalt" zu richten sei. Dieser Staatsnnwalt war freilich nicht der Stantsanwalt im heutigen Sinne, der im Strafprozesse Anklage zu erheben hat. Vielmehr war der hessische Staatsanwalt der ein für allemal bestellte zivilrechtliche Vertreter des Staates in allen Rechtssachen. Für jede Provinz war ein solcher Staatsanwalt an¬ gestellt. Die Klage war gegen den Staatsanwnlt der Provinz zu richten, die die Angelegenheit betraf oder worin sie vorkam oder zu behandeln war. Diese Einrichtung ließ so gut wie niemals Zweifel und Streitigkeiten der ge¬ dachten Art aufkommen. War die .^'lage dem Staatsanwalt eingehändigt, so hatte dieser sie der Behörde einzureichen, die deu Prozeß zu führen und ihn mit Instruktion zu versehen hatte. Beständen Zweifel über diese Behörde, so waren diese zwischen den Behörden untereinander nuszutrageu. Der Kläger aber hatte nicht darunter zu leiden. Das war eine Einrichtung, die eines Staates, der das Recht hochhält, würdig ist. Wann werden wir wohl dahin kommen, daß diese wertvolle Einrichtung eines vielgeschmähten Landes (oder wenigstens eine ähnliche) in ganz Deutsch¬ land Eingang findet an der Stelle der jetzigen, die sich vielfach als eine dem guten Rechte gestellte Falle ausweist? Einstweilen wollen wir aber dem Schrift¬ steller und auch denen, die ihn zu seiner Schrift veranlaßt haben, dankbar dafür sein, daß durch diese Schrift wenigstens einiges Licht über diese schwache Seite unseres Rechtslebens verbreitet worden ist.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/516
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/516>, abgerufen am 22.05.2024.