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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Lin Vorachtundvierziger

diese Schlußfolgerung läßt sich nichts einwenden," meint Hühner. "Die Macht
der Verhältnisse" folgerte aber doch sehr bald, daß es besser gewesen wäre, wenn
Windischgrätz sich mehr um sein Kommando als um die österreichische Ver¬
fassung gekümmert hätte. Sechs Wochen, nachdem er sich die Zustimmung
zur sogenannten Märzverfassung hatte abringen lassen, wurde er des Kom¬
mandos enthoben, weil er sich fortwährend "rückwärts konzentrirte"! Aber
davon weiß das "vernewerte" Tagebuch nichts. So weiß es z. B. von Vem
in Siebenbürgen uur zu erzählen, daß er, zweimal von Clam-Gallas geschlagen,
sich auf türkisches Gebiet geflüchtet habe. Beins Charakter ist nicht frei von
Flecken, aber als tüchtiger Soldat hat er sich von Ostrolenka bis Aleppo be¬
wahrt, und wenn einmal biographische Daten gegeben werden sollten, so durfte
die jenen beideu Niederlagen vorausgegangene lange Reihe von Siegen nicht
verschwiegen werden.

Doch was wundern wir uns darüber bei einem Manne, der im März 1848
die Zustünde in der Lombardei, die Volksstimmung, den Volkscharakter und
anderseits die Verlassenheit und Hilflosigkeit der Regierung treffend schildert
(,,ein sehr großer Teil der italienischen Beamten und beinah alle niedern
Polizeiagenten hielten zu den Verschwornen"), und in einem von 1890 da-
tirten Aufsatze die Glückseligkeit des damaligen zerrissenen Italiens seiner
jetzigen Lage gegenüberstellt, die Hoffnung auf Wiederauflösung des Einheits¬
staates und Wiedereinsetzung der fremden Fürstenhäuser uicht unterdrücken kann?
der für Nationalgeftthl gar kein Verständnis zeigt? dessen ,,unerschütterliche
Überzeugung" es ist, der Papst bedürfe für die freie Erfüllung seines geist¬
lichen Berufes der politischen Unabhängigkeit, d. h. der weltlichen Macht, als
ob ihn jetzt irgend etwas in der Ausübung seines Berufes hinderte? der mit
großer Befriedigung verzeichnet, daß in einem Orte auf Neuseeland die Zahl
der Katholiken von 1865 bis 1883 von sechzehn auf fünftausend gestiegen ist,
weil -- die eingewanderten Jrländer durchschnittlich zehn bis zwölf, die pro¬
testantischen Engländer nur fünf bis sechs Kinder bekommen? der seinen Ab¬
scheu gegen die Revolution so oft als möglich ausdrückt, und dabei jede revo¬
lutionäre Maßregel einer Regierung preist?

Fürst Metternich sagte 1849 zu dem Verfasser: "Felix Schwarzenberg
ist ein ausgezeichneter Mann. Ich habe ihn immer als meinen Nachfolger
bezeichnet. Er besitzt einen klaren Geist, einen energischen Charakter, und er
kennt die Revolution, aber er braucht einen Gehilfen." Und der kurzsichtige
Schwarzenberg schickte Herrn von Hübner nach Paris, anstatt Arm in Arm
mit ihm das Jahrhundert in die Schranken zu fordern!




Lin Vorachtundvierziger

diese Schlußfolgerung läßt sich nichts einwenden," meint Hühner. „Die Macht
der Verhältnisse" folgerte aber doch sehr bald, daß es besser gewesen wäre, wenn
Windischgrätz sich mehr um sein Kommando als um die österreichische Ver¬
fassung gekümmert hätte. Sechs Wochen, nachdem er sich die Zustimmung
zur sogenannten Märzverfassung hatte abringen lassen, wurde er des Kom¬
mandos enthoben, weil er sich fortwährend „rückwärts konzentrirte"! Aber
davon weiß das „vernewerte" Tagebuch nichts. So weiß es z. B. von Vem
in Siebenbürgen uur zu erzählen, daß er, zweimal von Clam-Gallas geschlagen,
sich auf türkisches Gebiet geflüchtet habe. Beins Charakter ist nicht frei von
Flecken, aber als tüchtiger Soldat hat er sich von Ostrolenka bis Aleppo be¬
wahrt, und wenn einmal biographische Daten gegeben werden sollten, so durfte
die jenen beideu Niederlagen vorausgegangene lange Reihe von Siegen nicht
verschwiegen werden.

Doch was wundern wir uns darüber bei einem Manne, der im März 1848
die Zustünde in der Lombardei, die Volksstimmung, den Volkscharakter und
anderseits die Verlassenheit und Hilflosigkeit der Regierung treffend schildert
(,,ein sehr großer Teil der italienischen Beamten und beinah alle niedern
Polizeiagenten hielten zu den Verschwornen"), und in einem von 1890 da-
tirten Aufsatze die Glückseligkeit des damaligen zerrissenen Italiens seiner
jetzigen Lage gegenüberstellt, die Hoffnung auf Wiederauflösung des Einheits¬
staates und Wiedereinsetzung der fremden Fürstenhäuser uicht unterdrücken kann?
der für Nationalgeftthl gar kein Verständnis zeigt? dessen ,,unerschütterliche
Überzeugung" es ist, der Papst bedürfe für die freie Erfüllung seines geist¬
lichen Berufes der politischen Unabhängigkeit, d. h. der weltlichen Macht, als
ob ihn jetzt irgend etwas in der Ausübung seines Berufes hinderte? der mit
großer Befriedigung verzeichnet, daß in einem Orte auf Neuseeland die Zahl
der Katholiken von 1865 bis 1883 von sechzehn auf fünftausend gestiegen ist,
weil — die eingewanderten Jrländer durchschnittlich zehn bis zwölf, die pro¬
testantischen Engländer nur fünf bis sechs Kinder bekommen? der seinen Ab¬
scheu gegen die Revolution so oft als möglich ausdrückt, und dabei jede revo¬
lutionäre Maßregel einer Regierung preist?

Fürst Metternich sagte 1849 zu dem Verfasser: „Felix Schwarzenberg
ist ein ausgezeichneter Mann. Ich habe ihn immer als meinen Nachfolger
bezeichnet. Er besitzt einen klaren Geist, einen energischen Charakter, und er
kennt die Revolution, aber er braucht einen Gehilfen." Und der kurzsichtige
Schwarzenberg schickte Herrn von Hübner nach Paris, anstatt Arm in Arm
mit ihm das Jahrhundert in die Schranken zu fordern!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/71>, abgerufen am 21.05.2024.