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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr.

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Unsre Verhandlungen mit Osterreich

leer Kurs -- neuer Kurs! Wie weit decken sie sich inhaltlich,
und von welchem Zeitpunkt an gehen sie auseinander? Be¬
steht ein grundsätzlicher Gegensatz zwischen beiden, oder ist es
nur ein Unterschied der Personen und der äußern Verhältnisse,
der einen nicht wegzuleugnenden Unterschied zwischen dem Früher
und dem Heute hervorgerufen hat? Es wird gut sein, die Frage scharf zu
stellen, denn nur dann ist Aussicht auf eine befriedigende Antwort.

Uns scheint der richtige Ausgangspunkt für jede Betrachtung die feierliche
Erklärung Kaiser Wilhelms zu sein: Der Kurs bleibt der alte! Daraus ergiebt
sich sofort ein Schluß von entscheidender Tragweite. Die Absicht einer Än¬
derung des Kurses hat nicht vorgelegen und liegt nicht vor. Wenn thatsächlich
das Staatsschiff hente in andern Gewässern fahren sollte, als vor Jahresfrist,
fo kann nicht der Wille des Steuermanns, sondern nur Strömung und Wind
den Anlaß gegeben haben. Auch ein geschickter Fährmann kann zuweilen ge¬
nötigt sein, den Elementen nachzugeben und sein ursprüngliches Ziel auf Um¬
wegen zu erreichen, die dein, der die Absicht nicht kennt, als eine Abweichung
vom alten Kurs erscheinen. Was war der alte Kurs? Was wollte und
was erreichte die Politik des Fürsten Bismarck? Sein nächstes und höchstes
Ziel, das unter allen Umständen eingehalten wurde, war die Erhaltung der
Errungenschaften vou 1870: die deutsche Einheit und die Machtstellung des
Reiches. Das zweite Ziel, wenn wir von den Fragen der innern Politik ab¬
sehen, war die Erhaltung des Friedens, wo möglich durch eine Versöhnung,
wie er sie thatsächlich zwischen Österreich und Deutschland herbeigeführt hat,
wenn nicht anders, durch den Zwang einer überlegenen Machtstellung. Die
großen Vündnisfe, durch die er das übrige Europa um Deutschland ver-


Grenzboten 11 18S1


Unsre Verhandlungen mit Osterreich

leer Kurs — neuer Kurs! Wie weit decken sie sich inhaltlich,
und von welchem Zeitpunkt an gehen sie auseinander? Be¬
steht ein grundsätzlicher Gegensatz zwischen beiden, oder ist es
nur ein Unterschied der Personen und der äußern Verhältnisse,
der einen nicht wegzuleugnenden Unterschied zwischen dem Früher
und dem Heute hervorgerufen hat? Es wird gut sein, die Frage scharf zu
stellen, denn nur dann ist Aussicht auf eine befriedigende Antwort.

Uns scheint der richtige Ausgangspunkt für jede Betrachtung die feierliche
Erklärung Kaiser Wilhelms zu sein: Der Kurs bleibt der alte! Daraus ergiebt
sich sofort ein Schluß von entscheidender Tragweite. Die Absicht einer Än¬
derung des Kurses hat nicht vorgelegen und liegt nicht vor. Wenn thatsächlich
das Staatsschiff hente in andern Gewässern fahren sollte, als vor Jahresfrist,
fo kann nicht der Wille des Steuermanns, sondern nur Strömung und Wind
den Anlaß gegeben haben. Auch ein geschickter Fährmann kann zuweilen ge¬
nötigt sein, den Elementen nachzugeben und sein ursprüngliches Ziel auf Um¬
wegen zu erreichen, die dein, der die Absicht nicht kennt, als eine Abweichung
vom alten Kurs erscheinen. Was war der alte Kurs? Was wollte und
was erreichte die Politik des Fürsten Bismarck? Sein nächstes und höchstes
Ziel, das unter allen Umständen eingehalten wurde, war die Erhaltung der
Errungenschaften vou 1870: die deutsche Einheit und die Machtstellung des
Reiches. Das zweite Ziel, wenn wir von den Fragen der innern Politik ab¬
sehen, war die Erhaltung des Friedens, wo möglich durch eine Versöhnung,
wie er sie thatsächlich zwischen Österreich und Deutschland herbeigeführt hat,
wenn nicht anders, durch den Zwang einer überlegenen Machtstellung. Die
großen Vündnisfe, durch die er das übrige Europa um Deutschland ver-


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[0009] [Abbildung] Unsre Verhandlungen mit Osterreich leer Kurs — neuer Kurs! Wie weit decken sie sich inhaltlich, und von welchem Zeitpunkt an gehen sie auseinander? Be¬ steht ein grundsätzlicher Gegensatz zwischen beiden, oder ist es nur ein Unterschied der Personen und der äußern Verhältnisse, der einen nicht wegzuleugnenden Unterschied zwischen dem Früher und dem Heute hervorgerufen hat? Es wird gut sein, die Frage scharf zu stellen, denn nur dann ist Aussicht auf eine befriedigende Antwort. Uns scheint der richtige Ausgangspunkt für jede Betrachtung die feierliche Erklärung Kaiser Wilhelms zu sein: Der Kurs bleibt der alte! Daraus ergiebt sich sofort ein Schluß von entscheidender Tragweite. Die Absicht einer Än¬ derung des Kurses hat nicht vorgelegen und liegt nicht vor. Wenn thatsächlich das Staatsschiff hente in andern Gewässern fahren sollte, als vor Jahresfrist, fo kann nicht der Wille des Steuermanns, sondern nur Strömung und Wind den Anlaß gegeben haben. Auch ein geschickter Fährmann kann zuweilen ge¬ nötigt sein, den Elementen nachzugeben und sein ursprüngliches Ziel auf Um¬ wegen zu erreichen, die dein, der die Absicht nicht kennt, als eine Abweichung vom alten Kurs erscheinen. Was war der alte Kurs? Was wollte und was erreichte die Politik des Fürsten Bismarck? Sein nächstes und höchstes Ziel, das unter allen Umständen eingehalten wurde, war die Erhaltung der Errungenschaften vou 1870: die deutsche Einheit und die Machtstellung des Reiches. Das zweite Ziel, wenn wir von den Fragen der innern Politik ab¬ sehen, war die Erhaltung des Friedens, wo möglich durch eine Versöhnung, wie er sie thatsächlich zwischen Österreich und Deutschland herbeigeführt hat, wenn nicht anders, durch den Zwang einer überlegenen Machtstellung. Die großen Vündnisfe, durch die er das übrige Europa um Deutschland ver- Grenzboten 11 18S1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_209866/9>, abgerufen am 22.05.2024.