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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Altes und neues von Theodor Fontane

sich bescheiden, das Gute zu wollen, auch wenn der Erfolg ausbleibt, und sich
dem Schicksal zu fügen, der muß lernen, still halten, Genügen im eignen ehr¬
lichen Streben finden und sich vor Verbitterung und Verworrenheit bewahren.

Mit diesen Gedanken legten wir ein Buch von Theodor Fontane aus der
Hand: Kriegsgesängen, Erlebtes (Mit dem Porträt des Dichters. Berlin,
F. Fontane u. Co., 1892), das jetzt, nach zwanzig Jahren, eine -- zweite Auflage
erlebt hat. Denn dieses Buch hat einen mächtigen Eindruck auf uns gemacht.
Athemlos, aufs tiefste gefesselt, aufs reichste angeregt, ergriffen und entzückt
haben wir es gelesen. Von der gesamten poetischen Litteratur, die der letzte
große Krieg hervorgerufen hat, dürfte kaum ein andres Buch so tief
wirken, wie diese Prosa. Fontanes Aufzeichnungen erscheinen nach jeder Rich¬
tung hin von Bedeutung, uach der poetischen, künstlerischen, sittlichen, nationalen.
Ein ganz eigner Mensch, ein hochgebildeter, von dem Geiste seiner Zeit erfüllter
Mann und ein peinlich redlicher Charakter offenbart sich in diesem so persönlichen
und zugleich doch auch so typischen Werke. Es ist unmöglich, daß Fontäne
in einem andern seiner Bücher seine Persönlichkeit so reichlich nach allen Seiten
hin "ausgelebt" hätte wie in diesem wirklich erlebten Buche. Und dennoch
ist es der großen Mehrzahl der Volkes so gut wie unbekannt geblieben! Auch
wir haben es jetzt zum erstenmale gelesen. Es wird aber nicht unter den
Büchern genannt, die ein Deutscher heutzutage gelesen haben muß, um zu
wissen, was deutsch ist! Begreife das wer kann, wir haben es zu begreifen
aufgegeben.

Ein unglücklicher Zufall, der freilich auch kein äußerlicher Zufall war,
brachte Theodor Fontane im Oktober 1870 in die traurigste Lage, in die ein
Mensch geraten kann: an den Rand des Grabes. Wie es ihm uun dabei
erging, welche Erfahrungen er an sich selbst und an den verschiedensten Menschen
machte, davon berichtet sein Buch "Kriegsgesängen" in möglichst sachlicher
Weise. Der Erzähler will sich nicht aufputzen, nicht besser, aber auch nicht
schlechter machen, als er ist. Er strebt nach der schlichtesten Form der Mit¬
teilung, er dämpft mit Macht den Gefühlserguß, selbst wo dieser berechtigt
wäre, denn er ist einer von den spröden Sentimentalen, und er ist einzig von
dem Bemühen erfüllt, das jeweilig Zuständliche seiner mannigfaltigen Abenteuer
so lebhaft, als er nur kann, zu vergegenwärtigen. Wir schauen dabei in die
reine Natur einer tiefen Menschenseele.

Ein romantischer Hang brachte Fontane ins Unglück. Er war mit der
deutschen Armee als Schriftsteller ins feindliche Land gezogen, und obgleich
er sich der Gefahr bewußt sein mußte, ohne irgend welchen Schutz über die
Machtsphäre des deutschen Heeres hinauszugehen, unterlag er doch der poeti¬
schen Neugier, die Heimat der Jungfrau von Orleans aufzusuchen, noch bevor
sie von dem deutschen Heere besetzt worden war. In jenen ersten Oktober¬
tagen mochte man ja auch nicht glauben, daß die Sieger noch weiter würden


Altes und neues von Theodor Fontane

sich bescheiden, das Gute zu wollen, auch wenn der Erfolg ausbleibt, und sich
dem Schicksal zu fügen, der muß lernen, still halten, Genügen im eignen ehr¬
lichen Streben finden und sich vor Verbitterung und Verworrenheit bewahren.

Mit diesen Gedanken legten wir ein Buch von Theodor Fontane aus der
Hand: Kriegsgesängen, Erlebtes (Mit dem Porträt des Dichters. Berlin,
F. Fontane u. Co., 1892), das jetzt, nach zwanzig Jahren, eine — zweite Auflage
erlebt hat. Denn dieses Buch hat einen mächtigen Eindruck auf uns gemacht.
Athemlos, aufs tiefste gefesselt, aufs reichste angeregt, ergriffen und entzückt
haben wir es gelesen. Von der gesamten poetischen Litteratur, die der letzte
große Krieg hervorgerufen hat, dürfte kaum ein andres Buch so tief
wirken, wie diese Prosa. Fontanes Aufzeichnungen erscheinen nach jeder Rich¬
tung hin von Bedeutung, uach der poetischen, künstlerischen, sittlichen, nationalen.
Ein ganz eigner Mensch, ein hochgebildeter, von dem Geiste seiner Zeit erfüllter
Mann und ein peinlich redlicher Charakter offenbart sich in diesem so persönlichen
und zugleich doch auch so typischen Werke. Es ist unmöglich, daß Fontäne
in einem andern seiner Bücher seine Persönlichkeit so reichlich nach allen Seiten
hin „ausgelebt" hätte wie in diesem wirklich erlebten Buche. Und dennoch
ist es der großen Mehrzahl der Volkes so gut wie unbekannt geblieben! Auch
wir haben es jetzt zum erstenmale gelesen. Es wird aber nicht unter den
Büchern genannt, die ein Deutscher heutzutage gelesen haben muß, um zu
wissen, was deutsch ist! Begreife das wer kann, wir haben es zu begreifen
aufgegeben.

Ein unglücklicher Zufall, der freilich auch kein äußerlicher Zufall war,
brachte Theodor Fontane im Oktober 1870 in die traurigste Lage, in die ein
Mensch geraten kann: an den Rand des Grabes. Wie es ihm uun dabei
erging, welche Erfahrungen er an sich selbst und an den verschiedensten Menschen
machte, davon berichtet sein Buch „Kriegsgesängen" in möglichst sachlicher
Weise. Der Erzähler will sich nicht aufputzen, nicht besser, aber auch nicht
schlechter machen, als er ist. Er strebt nach der schlichtesten Form der Mit¬
teilung, er dämpft mit Macht den Gefühlserguß, selbst wo dieser berechtigt
wäre, denn er ist einer von den spröden Sentimentalen, und er ist einzig von
dem Bemühen erfüllt, das jeweilig Zuständliche seiner mannigfaltigen Abenteuer
so lebhaft, als er nur kann, zu vergegenwärtigen. Wir schauen dabei in die
reine Natur einer tiefen Menschenseele.

Ein romantischer Hang brachte Fontane ins Unglück. Er war mit der
deutschen Armee als Schriftsteller ins feindliche Land gezogen, und obgleich
er sich der Gefahr bewußt sein mußte, ohne irgend welchen Schutz über die
Machtsphäre des deutschen Heeres hinauszugehen, unterlag er doch der poeti¬
schen Neugier, die Heimat der Jungfrau von Orleans aufzusuchen, noch bevor
sie von dem deutschen Heere besetzt worden war. In jenen ersten Oktober¬
tagen mochte man ja auch nicht glauben, daß die Sieger noch weiter würden


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[0184] Altes und neues von Theodor Fontane sich bescheiden, das Gute zu wollen, auch wenn der Erfolg ausbleibt, und sich dem Schicksal zu fügen, der muß lernen, still halten, Genügen im eignen ehr¬ lichen Streben finden und sich vor Verbitterung und Verworrenheit bewahren. Mit diesen Gedanken legten wir ein Buch von Theodor Fontane aus der Hand: Kriegsgesängen, Erlebtes (Mit dem Porträt des Dichters. Berlin, F. Fontane u. Co., 1892), das jetzt, nach zwanzig Jahren, eine — zweite Auflage erlebt hat. Denn dieses Buch hat einen mächtigen Eindruck auf uns gemacht. Athemlos, aufs tiefste gefesselt, aufs reichste angeregt, ergriffen und entzückt haben wir es gelesen. Von der gesamten poetischen Litteratur, die der letzte große Krieg hervorgerufen hat, dürfte kaum ein andres Buch so tief wirken, wie diese Prosa. Fontanes Aufzeichnungen erscheinen nach jeder Rich¬ tung hin von Bedeutung, uach der poetischen, künstlerischen, sittlichen, nationalen. Ein ganz eigner Mensch, ein hochgebildeter, von dem Geiste seiner Zeit erfüllter Mann und ein peinlich redlicher Charakter offenbart sich in diesem so persönlichen und zugleich doch auch so typischen Werke. Es ist unmöglich, daß Fontäne in einem andern seiner Bücher seine Persönlichkeit so reichlich nach allen Seiten hin „ausgelebt" hätte wie in diesem wirklich erlebten Buche. Und dennoch ist es der großen Mehrzahl der Volkes so gut wie unbekannt geblieben! Auch wir haben es jetzt zum erstenmale gelesen. Es wird aber nicht unter den Büchern genannt, die ein Deutscher heutzutage gelesen haben muß, um zu wissen, was deutsch ist! Begreife das wer kann, wir haben es zu begreifen aufgegeben. Ein unglücklicher Zufall, der freilich auch kein äußerlicher Zufall war, brachte Theodor Fontane im Oktober 1870 in die traurigste Lage, in die ein Mensch geraten kann: an den Rand des Grabes. Wie es ihm uun dabei erging, welche Erfahrungen er an sich selbst und an den verschiedensten Menschen machte, davon berichtet sein Buch „Kriegsgesängen" in möglichst sachlicher Weise. Der Erzähler will sich nicht aufputzen, nicht besser, aber auch nicht schlechter machen, als er ist. Er strebt nach der schlichtesten Form der Mit¬ teilung, er dämpft mit Macht den Gefühlserguß, selbst wo dieser berechtigt wäre, denn er ist einer von den spröden Sentimentalen, und er ist einzig von dem Bemühen erfüllt, das jeweilig Zuständliche seiner mannigfaltigen Abenteuer so lebhaft, als er nur kann, zu vergegenwärtigen. Wir schauen dabei in die reine Natur einer tiefen Menschenseele. Ein romantischer Hang brachte Fontane ins Unglück. Er war mit der deutschen Armee als Schriftsteller ins feindliche Land gezogen, und obgleich er sich der Gefahr bewußt sein mußte, ohne irgend welchen Schutz über die Machtsphäre des deutschen Heeres hinauszugehen, unterlag er doch der poeti¬ schen Neugier, die Heimat der Jungfrau von Orleans aufzusuchen, noch bevor sie von dem deutschen Heere besetzt worden war. In jenen ersten Oktober¬ tagen mochte man ja auch nicht glauben, daß die Sieger noch weiter würden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/184>, abgerufen am 19.05.2024.