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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Das volksschnlgesetz

Was geschieht, wenn der Lehrer den Weisungen des Pfarrers -- vielleicht
unter Berufung auf die Weisungen seiner Schulbehörde -- nicht folgt? Die
Kirche wird unter Berufung auf diesen § 18 verlange", daß ihm der Religions¬
unterricht entzogen werde. Das steht nun freilich ausdrücklich nicht im Ge¬
setze, läßt sich aber aus dem Worte "Leitung" ableiten und muß auch im
stillen gemeint sein, denn es folgt auf deu fraglichen Satz die Bestimmung,
daß die kirchliche Oberbehörde -- im Einverständnis mit der staatlichen Be¬
hörde -- einen Geistlichen mit der Erteilung des Religionsunterrichtes be¬
trauen kann. Wird aber das Gesetz nach dieser Seite hin ausgelegt und aus¬
gebaut, so gewinnt die katholische Kirche eine ungeheure Macht über die Schule.
Ein Lehrer, dem der Religionsunterricht entzogen ist, ist so gut wie in den
Bann gethan, seine ganze übrige Lehrthätigkeit ist lahm gelegt, und schon die
bloße Drohung genügt, ihn in allem fügsam zu machen. Der Staat aber mit
seiner Schulaufsicht hat das Nachsehen. Das geschieht, wenn sich der Staat
nachgiebig zeigt. Wenn er aber auf seinem Rechte besteht, daß alles mir
unter Zustimmung des Regierungsprüsidenteu geschehe, und diese Zustimmung
verweigert, so steht die Maschine still. Da dies ein unerträglicher Zustand
ist, wird man auf ultramontaner Seite nicht ohne eine" Schein des Rechts
die Einrichtung einer katholischen Abteilung im Kultusministerium fordern.

Hierzu kommt ein weiteres sehr wirksames Mittel, das das Gesetz der
katholischen Kirche in den Bestimmungen über den Privatunterricht giebt.
Gegenwärtig entscheidet der Staat über die Bedürfnisfrage. Das Gesetz läßt
diese Beschränkung fallen und bestimmt im § 82: Wer eine Unterrichtsanstalt
einzurichten gedenkt, hat dies der Kreis- oder Stadtbehörde anzuzeigen. Er
hat den Befähigungsnachweis zu liefern, den Lehrplan einzureichen und steht
mit seiner Schule unter staatlicher Oberaufsicht. Diese Bestimmungen sind
harmlos, ja sogar recht und billig, werden aber fehr bedenklich, wenn auf
Grund dessen der deutschen Schule eine polnische, der evangelischen eine katho¬
lische, der öffentlichen Schule eine Klosterschule gegenübergestellt wird und
keine Mittel da sind, etwaigen Übergriffen entgegenzutreten. Welchen Einfluß
eine kirchliche Privatschule auf die öffentliche ausüben kann, haben wir seiner
Zeit selbst mit angesehen. Wir erinnern uns wohl, wie der Herr Pfarrer
aufatmete, als infolge der Kulturkampfgesetze die Franziskaner und die
Schulschwestern den Ort verlassen mußten. Die Bestimmung, daß der Besuch
der Privatschule uicht von deu Leistungen zur öffentlichen Schule entbinde,
genügt jetzt um so weniger, als nicht einmal mehr Schulgeld gezahlt wird.
An Mittel,,, Privatschulen zu gründen, und an Lehrkräften, die den Befähi¬
gungsnachweis bringen, wird es schwerlich fehlen.

Das Problem, eine Abgrenzung der Rechte von Staat und Kirche zu
finden, ist von dem vergangnen Jahrhunderte uicht gelöst worden, und das zu
Ende gehende wird es auch nicht lösen. Man muß zufrieden sein, wenn ein


Das volksschnlgesetz

Was geschieht, wenn der Lehrer den Weisungen des Pfarrers — vielleicht
unter Berufung auf die Weisungen seiner Schulbehörde — nicht folgt? Die
Kirche wird unter Berufung auf diesen § 18 verlange», daß ihm der Religions¬
unterricht entzogen werde. Das steht nun freilich ausdrücklich nicht im Ge¬
setze, läßt sich aber aus dem Worte „Leitung" ableiten und muß auch im
stillen gemeint sein, denn es folgt auf deu fraglichen Satz die Bestimmung,
daß die kirchliche Oberbehörde — im Einverständnis mit der staatlichen Be¬
hörde — einen Geistlichen mit der Erteilung des Religionsunterrichtes be¬
trauen kann. Wird aber das Gesetz nach dieser Seite hin ausgelegt und aus¬
gebaut, so gewinnt die katholische Kirche eine ungeheure Macht über die Schule.
Ein Lehrer, dem der Religionsunterricht entzogen ist, ist so gut wie in den
Bann gethan, seine ganze übrige Lehrthätigkeit ist lahm gelegt, und schon die
bloße Drohung genügt, ihn in allem fügsam zu machen. Der Staat aber mit
seiner Schulaufsicht hat das Nachsehen. Das geschieht, wenn sich der Staat
nachgiebig zeigt. Wenn er aber auf seinem Rechte besteht, daß alles mir
unter Zustimmung des Regierungsprüsidenteu geschehe, und diese Zustimmung
verweigert, so steht die Maschine still. Da dies ein unerträglicher Zustand
ist, wird man auf ultramontaner Seite nicht ohne eine» Schein des Rechts
die Einrichtung einer katholischen Abteilung im Kultusministerium fordern.

Hierzu kommt ein weiteres sehr wirksames Mittel, das das Gesetz der
katholischen Kirche in den Bestimmungen über den Privatunterricht giebt.
Gegenwärtig entscheidet der Staat über die Bedürfnisfrage. Das Gesetz läßt
diese Beschränkung fallen und bestimmt im § 82: Wer eine Unterrichtsanstalt
einzurichten gedenkt, hat dies der Kreis- oder Stadtbehörde anzuzeigen. Er
hat den Befähigungsnachweis zu liefern, den Lehrplan einzureichen und steht
mit seiner Schule unter staatlicher Oberaufsicht. Diese Bestimmungen sind
harmlos, ja sogar recht und billig, werden aber fehr bedenklich, wenn auf
Grund dessen der deutschen Schule eine polnische, der evangelischen eine katho¬
lische, der öffentlichen Schule eine Klosterschule gegenübergestellt wird und
keine Mittel da sind, etwaigen Übergriffen entgegenzutreten. Welchen Einfluß
eine kirchliche Privatschule auf die öffentliche ausüben kann, haben wir seiner
Zeit selbst mit angesehen. Wir erinnern uns wohl, wie der Herr Pfarrer
aufatmete, als infolge der Kulturkampfgesetze die Franziskaner und die
Schulschwestern den Ort verlassen mußten. Die Bestimmung, daß der Besuch
der Privatschule uicht von deu Leistungen zur öffentlichen Schule entbinde,
genügt jetzt um so weniger, als nicht einmal mehr Schulgeld gezahlt wird.
An Mittel,,, Privatschulen zu gründen, und an Lehrkräften, die den Befähi¬
gungsnachweis bringen, wird es schwerlich fehlen.

Das Problem, eine Abgrenzung der Rechte von Staat und Kirche zu
finden, ist von dem vergangnen Jahrhunderte uicht gelöst worden, und das zu
Ende gehende wird es auch nicht lösen. Man muß zufrieden sein, wenn ein


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[0256] Das volksschnlgesetz Was geschieht, wenn der Lehrer den Weisungen des Pfarrers — vielleicht unter Berufung auf die Weisungen seiner Schulbehörde — nicht folgt? Die Kirche wird unter Berufung auf diesen § 18 verlange», daß ihm der Religions¬ unterricht entzogen werde. Das steht nun freilich ausdrücklich nicht im Ge¬ setze, läßt sich aber aus dem Worte „Leitung" ableiten und muß auch im stillen gemeint sein, denn es folgt auf deu fraglichen Satz die Bestimmung, daß die kirchliche Oberbehörde — im Einverständnis mit der staatlichen Be¬ hörde — einen Geistlichen mit der Erteilung des Religionsunterrichtes be¬ trauen kann. Wird aber das Gesetz nach dieser Seite hin ausgelegt und aus¬ gebaut, so gewinnt die katholische Kirche eine ungeheure Macht über die Schule. Ein Lehrer, dem der Religionsunterricht entzogen ist, ist so gut wie in den Bann gethan, seine ganze übrige Lehrthätigkeit ist lahm gelegt, und schon die bloße Drohung genügt, ihn in allem fügsam zu machen. Der Staat aber mit seiner Schulaufsicht hat das Nachsehen. Das geschieht, wenn sich der Staat nachgiebig zeigt. Wenn er aber auf seinem Rechte besteht, daß alles mir unter Zustimmung des Regierungsprüsidenteu geschehe, und diese Zustimmung verweigert, so steht die Maschine still. Da dies ein unerträglicher Zustand ist, wird man auf ultramontaner Seite nicht ohne eine» Schein des Rechts die Einrichtung einer katholischen Abteilung im Kultusministerium fordern. Hierzu kommt ein weiteres sehr wirksames Mittel, das das Gesetz der katholischen Kirche in den Bestimmungen über den Privatunterricht giebt. Gegenwärtig entscheidet der Staat über die Bedürfnisfrage. Das Gesetz läßt diese Beschränkung fallen und bestimmt im § 82: Wer eine Unterrichtsanstalt einzurichten gedenkt, hat dies der Kreis- oder Stadtbehörde anzuzeigen. Er hat den Befähigungsnachweis zu liefern, den Lehrplan einzureichen und steht mit seiner Schule unter staatlicher Oberaufsicht. Diese Bestimmungen sind harmlos, ja sogar recht und billig, werden aber fehr bedenklich, wenn auf Grund dessen der deutschen Schule eine polnische, der evangelischen eine katho¬ lische, der öffentlichen Schule eine Klosterschule gegenübergestellt wird und keine Mittel da sind, etwaigen Übergriffen entgegenzutreten. Welchen Einfluß eine kirchliche Privatschule auf die öffentliche ausüben kann, haben wir seiner Zeit selbst mit angesehen. Wir erinnern uns wohl, wie der Herr Pfarrer aufatmete, als infolge der Kulturkampfgesetze die Franziskaner und die Schulschwestern den Ort verlassen mußten. Die Bestimmung, daß der Besuch der Privatschule uicht von deu Leistungen zur öffentlichen Schule entbinde, genügt jetzt um so weniger, als nicht einmal mehr Schulgeld gezahlt wird. An Mittel,,, Privatschulen zu gründen, und an Lehrkräften, die den Befähi¬ gungsnachweis bringen, wird es schwerlich fehlen. Das Problem, eine Abgrenzung der Rechte von Staat und Kirche zu finden, ist von dem vergangnen Jahrhunderte uicht gelöst worden, und das zu Ende gehende wird es auch nicht lösen. Man muß zufrieden sein, wenn ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/256>, abgerufen am 27.05.2024.