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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Mittel zu schlecht, Unschuldige ins Verderben zu stürzen. Die Behandlung
des Präsidenten hängt von seinem Verhalten ab; bald spielt er die Rolle
des guten Onkels, der Anspruch auf Wohlwollen hat, bald verfüllt er als
Tyrann derselben Verdammnis wie der öffentliche Ankläger. Endlich bleibt
noch der Chor, die Geschwornen. Das sind brave, einsichtige Leute, wenn sie
den Anträgen des Verteidigers entsprechen; lassen sie sich aber von den
Sophismen des Staatsanwalts und der parteiischen Leitung der Verhandlungen
bestricken, so dürfen sie froh sein, wenn ihnen nichts weiter nachgesagt wird,
als daß sie zu beschränkt und unselbständig seien sür ihr verantwortungs¬
volles Amt.

Das skandalöse Benehmen eines Teils der Berliner Tagesblätter bei dem
Prozeß gegen den Maler Graf ist noch unvergessen. Sollte etwa das schöne
Geschäft in Berlin weniger ungefährlich geworden sein? Genug, es scheint,
daß es ins Ausland verlegt werden soll. Vor uns liegt ein durch zwei
Nummern der Wiener Neuen Freien Presse gehender Aufsatz, der gleich durch
die Überschrift "Der Prozeß Prager-Schweitzer" angenehm auf das "Deutsch
Reporter" vorbereitet. Der Verfasser nennt sich Anstriaeus. Daß er kein
Jurist ist, läßt sich mit Händen greifen, doch hält ihn das nicht ab, eine
"kriminalistisch-anthropologische (!) Betrachtung" anzustellen. Da wohl nicht
jeder Leser der Grenzboten die "(RA8ö oelöbi-s" verfolgt haben wird, so sei in
Kürze erwähnt, daß ein junger Mensch namens Schweitzer des Mordversuches
gegen einen Doktor Prager, seinen Schwager, bezichtigt ist, und vini seiner
Schwester, Fran Prager, dazu angestiftet worden sein soll. Der "sehr schönen"
Frau stand die Ehescheidung bevor, da ihr Manu "herausgefunden hatte, daß
das gesellschaftliche Glück seiner Frau sich mit dem seinen wenig vertrage,"
und Briefe an sie, deren er sich bemächtigt hatte, ihre Untreue zu beweisen
schienen. Die Anklage beschuldigte sie nun, sie habe ihren Mann aus dem
Wege schaffen wollen, da sie befürchten mußte, als der schuldige Teil aus
dem Scheidungsprozeß hervorzugehen, und dann mittellos dazustehen, während
sie selbst ihren Bruder nur beauftragt habe" will, dem schlafenden Schwager
ans einer Westentasche die Briefe zu rauben, die, zum Teil von verheirateten
Männern herrührend, Unfrieden in Ehen hätten stiften können. Ans die Bor¬
haltung des Widerspruchs, daß sie den Inhalt der Briefe für unverfänglich
erklärt habe, antwortete sie, wie unser Gewährsmann berichtet, "mit feinem
Lächeln", Frauen dächten darüber anders. Also um andre zu schonen, ver¬
steckte sie ihren Bruder, dem Dr. Prager das Hans verboten hatte, in dessen
Schlafzimmer, verkleidet und mit falschem Barte, während sie seine Oberkleider
in ihrem Bette verbarg, stattete ihn auch mit Reisegeld aus, damit er ein
Alibi nachweisen könne. Der junge Mensch weckte aber seinen Schwager
durch ein Geräusch, gab dann aus einer Entfernung von höchstens 40 Zenti¬
meter einen Revolverschuß auf ihn ab und entfloh.


Mittel zu schlecht, Unschuldige ins Verderben zu stürzen. Die Behandlung
des Präsidenten hängt von seinem Verhalten ab; bald spielt er die Rolle
des guten Onkels, der Anspruch auf Wohlwollen hat, bald verfüllt er als
Tyrann derselben Verdammnis wie der öffentliche Ankläger. Endlich bleibt
noch der Chor, die Geschwornen. Das sind brave, einsichtige Leute, wenn sie
den Anträgen des Verteidigers entsprechen; lassen sie sich aber von den
Sophismen des Staatsanwalts und der parteiischen Leitung der Verhandlungen
bestricken, so dürfen sie froh sein, wenn ihnen nichts weiter nachgesagt wird,
als daß sie zu beschränkt und unselbständig seien sür ihr verantwortungs¬
volles Amt.

Das skandalöse Benehmen eines Teils der Berliner Tagesblätter bei dem
Prozeß gegen den Maler Graf ist noch unvergessen. Sollte etwa das schöne
Geschäft in Berlin weniger ungefährlich geworden sein? Genug, es scheint,
daß es ins Ausland verlegt werden soll. Vor uns liegt ein durch zwei
Nummern der Wiener Neuen Freien Presse gehender Aufsatz, der gleich durch
die Überschrift „Der Prozeß Prager-Schweitzer" angenehm auf das „Deutsch
Reporter" vorbereitet. Der Verfasser nennt sich Anstriaeus. Daß er kein
Jurist ist, läßt sich mit Händen greifen, doch hält ihn das nicht ab, eine
„kriminalistisch-anthropologische (!) Betrachtung" anzustellen. Da wohl nicht
jeder Leser der Grenzboten die „(RA8ö oelöbi-s" verfolgt haben wird, so sei in
Kürze erwähnt, daß ein junger Mensch namens Schweitzer des Mordversuches
gegen einen Doktor Prager, seinen Schwager, bezichtigt ist, und vini seiner
Schwester, Fran Prager, dazu angestiftet worden sein soll. Der „sehr schönen"
Frau stand die Ehescheidung bevor, da ihr Manu „herausgefunden hatte, daß
das gesellschaftliche Glück seiner Frau sich mit dem seinen wenig vertrage,"
und Briefe an sie, deren er sich bemächtigt hatte, ihre Untreue zu beweisen
schienen. Die Anklage beschuldigte sie nun, sie habe ihren Mann aus dem
Wege schaffen wollen, da sie befürchten mußte, als der schuldige Teil aus
dem Scheidungsprozeß hervorzugehen, und dann mittellos dazustehen, während
sie selbst ihren Bruder nur beauftragt habe» will, dem schlafenden Schwager
ans einer Westentasche die Briefe zu rauben, die, zum Teil von verheirateten
Männern herrührend, Unfrieden in Ehen hätten stiften können. Ans die Bor¬
haltung des Widerspruchs, daß sie den Inhalt der Briefe für unverfänglich
erklärt habe, antwortete sie, wie unser Gewährsmann berichtet, „mit feinem
Lächeln", Frauen dächten darüber anders. Also um andre zu schonen, ver¬
steckte sie ihren Bruder, dem Dr. Prager das Hans verboten hatte, in dessen
Schlafzimmer, verkleidet und mit falschem Barte, während sie seine Oberkleider
in ihrem Bette verbarg, stattete ihn auch mit Reisegeld aus, damit er ein
Alibi nachweisen könne. Der junge Mensch weckte aber seinen Schwager
durch ein Geräusch, gab dann aus einer Entfernung von höchstens 40 Zenti¬
meter einen Revolverschuß auf ihn ab und entfloh.


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[0426] Mittel zu schlecht, Unschuldige ins Verderben zu stürzen. Die Behandlung des Präsidenten hängt von seinem Verhalten ab; bald spielt er die Rolle des guten Onkels, der Anspruch auf Wohlwollen hat, bald verfüllt er als Tyrann derselben Verdammnis wie der öffentliche Ankläger. Endlich bleibt noch der Chor, die Geschwornen. Das sind brave, einsichtige Leute, wenn sie den Anträgen des Verteidigers entsprechen; lassen sie sich aber von den Sophismen des Staatsanwalts und der parteiischen Leitung der Verhandlungen bestricken, so dürfen sie froh sein, wenn ihnen nichts weiter nachgesagt wird, als daß sie zu beschränkt und unselbständig seien sür ihr verantwortungs¬ volles Amt. Das skandalöse Benehmen eines Teils der Berliner Tagesblätter bei dem Prozeß gegen den Maler Graf ist noch unvergessen. Sollte etwa das schöne Geschäft in Berlin weniger ungefährlich geworden sein? Genug, es scheint, daß es ins Ausland verlegt werden soll. Vor uns liegt ein durch zwei Nummern der Wiener Neuen Freien Presse gehender Aufsatz, der gleich durch die Überschrift „Der Prozeß Prager-Schweitzer" angenehm auf das „Deutsch Reporter" vorbereitet. Der Verfasser nennt sich Anstriaeus. Daß er kein Jurist ist, läßt sich mit Händen greifen, doch hält ihn das nicht ab, eine „kriminalistisch-anthropologische (!) Betrachtung" anzustellen. Da wohl nicht jeder Leser der Grenzboten die „(RA8ö oelöbi-s" verfolgt haben wird, so sei in Kürze erwähnt, daß ein junger Mensch namens Schweitzer des Mordversuches gegen einen Doktor Prager, seinen Schwager, bezichtigt ist, und vini seiner Schwester, Fran Prager, dazu angestiftet worden sein soll. Der „sehr schönen" Frau stand die Ehescheidung bevor, da ihr Manu „herausgefunden hatte, daß das gesellschaftliche Glück seiner Frau sich mit dem seinen wenig vertrage," und Briefe an sie, deren er sich bemächtigt hatte, ihre Untreue zu beweisen schienen. Die Anklage beschuldigte sie nun, sie habe ihren Mann aus dem Wege schaffen wollen, da sie befürchten mußte, als der schuldige Teil aus dem Scheidungsprozeß hervorzugehen, und dann mittellos dazustehen, während sie selbst ihren Bruder nur beauftragt habe» will, dem schlafenden Schwager ans einer Westentasche die Briefe zu rauben, die, zum Teil von verheirateten Männern herrührend, Unfrieden in Ehen hätten stiften können. Ans die Bor¬ haltung des Widerspruchs, daß sie den Inhalt der Briefe für unverfänglich erklärt habe, antwortete sie, wie unser Gewährsmann berichtet, „mit feinem Lächeln", Frauen dächten darüber anders. Also um andre zu schonen, ver¬ steckte sie ihren Bruder, dem Dr. Prager das Hans verboten hatte, in dessen Schlafzimmer, verkleidet und mit falschem Barte, während sie seine Oberkleider in ihrem Bette verbarg, stattete ihn auch mit Reisegeld aus, damit er ein Alibi nachweisen könne. Der junge Mensch weckte aber seinen Schwager durch ein Geräusch, gab dann aus einer Entfernung von höchstens 40 Zenti¬ meter einen Revolverschuß auf ihn ab und entfloh.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/426>, abgerufen am 19.05.2024.