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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Seltsame Fortschritte

Sybel zerstörten gründlich die Legende von der Auffindung und Sendung des
Rockes durch die heilige Helena, die Sage von Orendel wurde neu mitersucht,
die katholische Gemeinde zu Schncidemühl sagte sich mit ihrem Pfarrer Czerski
von der "Römischen Hofkirche" los, Ronge erließ in den "Sächsischen Vaterlands¬
blättern" sein berühmtes Sendschreiben an den Bischof, es entstanden die
deutschkatholischen Gemeinden, und wie Gewinns knüpften noch viele an diese
Bewegung die Hoffnung auf endgiltige Befreiung Deutschlands von der römischen
Herrschaft -- eine Hoffnung, die damals noch weniger Boden hatte als 1871,
wo doch viel bedeutendere Männer und auf viel schwereren Anlaß hin mit dem
Papsttum brachen- An der Gleichgiltigkeit scheiterte die eine wie die andre
Bewegung- Ein kleines Erlebnis ist nur als charakteristisch in Erinnerung ge¬
blieben. Vier Jahre nach der Rockausstellung besuchte ich Trier. Nach einem
Tage, der den Altertümern und deu Naturschönheiten gewidmet war, geriet
ich in einem Bierhause in eine Gesellschaft munterer junger Leute, die bald
vom Gespräche zum Gesänge übergingen und nach dem mir noch im Ohre klingenden
"Dort wo der Vater Rhein mit jseinen Wellen so mancher Burg bemooste
Trümmer grüßt," dem "Wirtshaus an der Lahn" und ähnlichen harmlosen
Liedern anstimmten i "Freifrau von Droste-Vischering nach Trier zum heiligen
Rocke ging." Mein Staunen, diese Spottverse gerade an diesem Orte zu ver¬
nehmen, wurde nur mit Lachen beantwortet und mit Anekdoten ans der Zeit
des großen Rummels und Erzählungen von den großen Geschäften, die mit
"angerührten," d. h. beim Vorübergehen an den wunderthätigen Rock gehaltenen
Gegenständen gemacht worden seien; ein anwesender Tabakhändler mußte sich
im Scherz nachsagen lassen, er habe angerührte Cigarren verkauft u. tgi. in.
Ich dachte an das Sprichwort, daß am wenigsten Glauben in der Nähe des
Papstes zu finden sei.

So groß scheint diesmal das Geschäft nicht gewesen zu sein, aber man
hat sich auswärts wenig darum gekümmert, daß wieder ein der Regierung ge¬
nehmer Bischof den Augenblick für eine Kraftprobe und Heerschau passend
gefunden hat. Von dem eigentlichen Gegenstande der Verehrung ist wenig die
Rede gewesen: "ungenähte Röcke" sind seitdem in Ägypten in solcher Menge
ausgegraben worden, daß alle Museen damit versorgt werden könnten; keine
"kritischen Schneider," wie dereinst Gildemeister und Sybel gescholten worden
waren, untersuchten die Geschichte des Gewebes, und kein Guido Görres
hat, soviel bekannt, die neue "Gottesfahrt nach Trier" besungen. Man ereiferte
sich weder für noch gegen, triumphirte nicht und spottete nicht, nahm drüben
in dem Gefühl der neu befestigten Macht, hüben in Bescheidenheit das Er¬
eignis gelassen hin -- wie das Zeugnis, daß der personifizirte Störenfried
Windthorst sich um das Reich wohlverdient gemacht habe. Wir sind eben fort¬
geschritten in Erkenntnis und guter Zucht.

Und abermals: wer, der noch ein Gedächtnis hat, würde es für möglich


Seltsame Fortschritte

Sybel zerstörten gründlich die Legende von der Auffindung und Sendung des
Rockes durch die heilige Helena, die Sage von Orendel wurde neu mitersucht,
die katholische Gemeinde zu Schncidemühl sagte sich mit ihrem Pfarrer Czerski
von der „Römischen Hofkirche" los, Ronge erließ in den „Sächsischen Vaterlands¬
blättern" sein berühmtes Sendschreiben an den Bischof, es entstanden die
deutschkatholischen Gemeinden, und wie Gewinns knüpften noch viele an diese
Bewegung die Hoffnung auf endgiltige Befreiung Deutschlands von der römischen
Herrschaft — eine Hoffnung, die damals noch weniger Boden hatte als 1871,
wo doch viel bedeutendere Männer und auf viel schwereren Anlaß hin mit dem
Papsttum brachen- An der Gleichgiltigkeit scheiterte die eine wie die andre
Bewegung- Ein kleines Erlebnis ist nur als charakteristisch in Erinnerung ge¬
blieben. Vier Jahre nach der Rockausstellung besuchte ich Trier. Nach einem
Tage, der den Altertümern und deu Naturschönheiten gewidmet war, geriet
ich in einem Bierhause in eine Gesellschaft munterer junger Leute, die bald
vom Gespräche zum Gesänge übergingen und nach dem mir noch im Ohre klingenden
„Dort wo der Vater Rhein mit jseinen Wellen so mancher Burg bemooste
Trümmer grüßt," dem „Wirtshaus an der Lahn" und ähnlichen harmlosen
Liedern anstimmten i „Freifrau von Droste-Vischering nach Trier zum heiligen
Rocke ging." Mein Staunen, diese Spottverse gerade an diesem Orte zu ver¬
nehmen, wurde nur mit Lachen beantwortet und mit Anekdoten ans der Zeit
des großen Rummels und Erzählungen von den großen Geschäften, die mit
„angerührten," d. h. beim Vorübergehen an den wunderthätigen Rock gehaltenen
Gegenständen gemacht worden seien; ein anwesender Tabakhändler mußte sich
im Scherz nachsagen lassen, er habe angerührte Cigarren verkauft u. tgi. in.
Ich dachte an das Sprichwort, daß am wenigsten Glauben in der Nähe des
Papstes zu finden sei.

So groß scheint diesmal das Geschäft nicht gewesen zu sein, aber man
hat sich auswärts wenig darum gekümmert, daß wieder ein der Regierung ge¬
nehmer Bischof den Augenblick für eine Kraftprobe und Heerschau passend
gefunden hat. Von dem eigentlichen Gegenstande der Verehrung ist wenig die
Rede gewesen: „ungenähte Röcke" sind seitdem in Ägypten in solcher Menge
ausgegraben worden, daß alle Museen damit versorgt werden könnten; keine
„kritischen Schneider," wie dereinst Gildemeister und Sybel gescholten worden
waren, untersuchten die Geschichte des Gewebes, und kein Guido Görres
hat, soviel bekannt, die neue „Gottesfahrt nach Trier" besungen. Man ereiferte
sich weder für noch gegen, triumphirte nicht und spottete nicht, nahm drüben
in dem Gefühl der neu befestigten Macht, hüben in Bescheidenheit das Er¬
eignis gelassen hin — wie das Zeugnis, daß der personifizirte Störenfried
Windthorst sich um das Reich wohlverdient gemacht habe. Wir sind eben fort¬
geschritten in Erkenntnis und guter Zucht.

Und abermals: wer, der noch ein Gedächtnis hat, würde es für möglich


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[0058] Seltsame Fortschritte Sybel zerstörten gründlich die Legende von der Auffindung und Sendung des Rockes durch die heilige Helena, die Sage von Orendel wurde neu mitersucht, die katholische Gemeinde zu Schncidemühl sagte sich mit ihrem Pfarrer Czerski von der „Römischen Hofkirche" los, Ronge erließ in den „Sächsischen Vaterlands¬ blättern" sein berühmtes Sendschreiben an den Bischof, es entstanden die deutschkatholischen Gemeinden, und wie Gewinns knüpften noch viele an diese Bewegung die Hoffnung auf endgiltige Befreiung Deutschlands von der römischen Herrschaft — eine Hoffnung, die damals noch weniger Boden hatte als 1871, wo doch viel bedeutendere Männer und auf viel schwereren Anlaß hin mit dem Papsttum brachen- An der Gleichgiltigkeit scheiterte die eine wie die andre Bewegung- Ein kleines Erlebnis ist nur als charakteristisch in Erinnerung ge¬ blieben. Vier Jahre nach der Rockausstellung besuchte ich Trier. Nach einem Tage, der den Altertümern und deu Naturschönheiten gewidmet war, geriet ich in einem Bierhause in eine Gesellschaft munterer junger Leute, die bald vom Gespräche zum Gesänge übergingen und nach dem mir noch im Ohre klingenden „Dort wo der Vater Rhein mit jseinen Wellen so mancher Burg bemooste Trümmer grüßt," dem „Wirtshaus an der Lahn" und ähnlichen harmlosen Liedern anstimmten i „Freifrau von Droste-Vischering nach Trier zum heiligen Rocke ging." Mein Staunen, diese Spottverse gerade an diesem Orte zu ver¬ nehmen, wurde nur mit Lachen beantwortet und mit Anekdoten ans der Zeit des großen Rummels und Erzählungen von den großen Geschäften, die mit „angerührten," d. h. beim Vorübergehen an den wunderthätigen Rock gehaltenen Gegenständen gemacht worden seien; ein anwesender Tabakhändler mußte sich im Scherz nachsagen lassen, er habe angerührte Cigarren verkauft u. tgi. in. Ich dachte an das Sprichwort, daß am wenigsten Glauben in der Nähe des Papstes zu finden sei. So groß scheint diesmal das Geschäft nicht gewesen zu sein, aber man hat sich auswärts wenig darum gekümmert, daß wieder ein der Regierung ge¬ nehmer Bischof den Augenblick für eine Kraftprobe und Heerschau passend gefunden hat. Von dem eigentlichen Gegenstande der Verehrung ist wenig die Rede gewesen: „ungenähte Röcke" sind seitdem in Ägypten in solcher Menge ausgegraben worden, daß alle Museen damit versorgt werden könnten; keine „kritischen Schneider," wie dereinst Gildemeister und Sybel gescholten worden waren, untersuchten die Geschichte des Gewebes, und kein Guido Görres hat, soviel bekannt, die neue „Gottesfahrt nach Trier" besungen. Man ereiferte sich weder für noch gegen, triumphirte nicht und spottete nicht, nahm drüben in dem Gefühl der neu befestigten Macht, hüben in Bescheidenheit das Er¬ eignis gelassen hin — wie das Zeugnis, daß der personifizirte Störenfried Windthorst sich um das Reich wohlverdient gemacht habe. Wir sind eben fort¬ geschritten in Erkenntnis und guter Zucht. Und abermals: wer, der noch ein Gedächtnis hat, würde es für möglich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/58>, abgerufen am 19.05.2024.