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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Frmlenvorein Reform

schließenden Debatten zu interessanten Wahrnehninngen lind Schlüssen kommen,
wenn nicht etwa gleich erklärt wird, am Schlüsse könne eine Debatte wegen Mangel
an Zeit nicht stattfinden, wie es kürzlich in Erfurt geschehen ist. Dort fand
an demselben Tage, um dessen Mittagsstunde der Sozialistelikougreß sein Ende
erreicht hatte, abends eine Versammlung des Frauenvereins "Reform" statt. Der
Zufall dieses Zusammentreffens wurde noch wunderlicher dadurch, daß die Haupt¬
rolle des Abends voll dem wegen seiner sozialdemokratischen Eigentümlühkeiteu
bekannten fortschrittlichen Reichstagsabgeordneten Hcirmening gespielt wurde, der
vom Borstande des Vereins gewonnen war, über die Stellung der Frau im Ent-
wurfe des bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich zu sprechen. Und nun
filld die Erfurter so komisch, zu behaupte", der Franeltverein "Reform" konspirire mit
den Sozialdemokraten, und die Versammlung am 21. Oktober sei nur ein Anhängsel
des Sozialisteukongresses gewesen. Was giebt es doch für schlechte Menschen! Es
gehört die ganze Verstocktheit eines Reformgegners dazu, Ähnlichkeiten heraus¬
zufinden zwischen den Ausführungen des Herrn Harmening und der auf dem
Erfurter Sozialistenkvngresse in das Programm der sozialdemokratischen Partei
aufgenommenen Forderung von der völligen Gleichstellung der Frau mit dem
Manne in öffentlicher und privatrechtlicher Beziehung.

Zu unsrer Beschämung müsse" wir gestehen, daß wir voll dem reiche"
Schristensegen, der durch den Frauenverein "Reform" in alle deutschen Lande
hinausgesandt wird, nur einen kleinen Teil gelesen haben. Aber wie matt aus
der Klane den Löwen erkennen kann, so genügt zur Charakteristik des Vereins
ein von seiner streitbaren Leiterin verfaßtes Hauptschristchen, das bereits in
vierter Auflage vorliegt und gleiche Bildung für beide Geschlechter fordert. *) Es
gehört ziemliche Überwindung dazu, sich durch den unwirscher Wortschwall
trotziger Gereiztheit hindurchzuarbeiten, und manchmal kann dem ruhigen Leser
der Verdacht kommen, all diese neuen Offenbarungen seien nur eine boshafte
Satire aus gewisse Auswüchse der Frauenbewegung. Doch Frau Kettler will
ernst, ganz ernst genommen sein, und da mich man ihr schon glauben, daß sie
die Erscheinungen wirklich sieht, voll denen sie in ihrer Broschüre zu er¬
zählen weiß.

Die ganze Schrift von Fran Kettler charakterisirt sich als ein rebellisches,
unbändiges Aufbäumen wider die unwandelbaren Gesetze der Schöpfung. Daß
den Frauen eine andre Natur gegeben, eine andre Bestimmung vorgezeichnet ist
als den Männern, darüber ist die Verfasserin in tiefster Seele gekränkt und
entrüstet, sie erblickt darin nur eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, predigt
Empörung und will mit Gewalt die Frauen zu Männern, oder wenns nicht



') Bibliothek der Frauenfrage, hrransgcgcbm von Fran I. Kettler. Heft":
I. Kcttlcr, Gleiche Bildung für Mann und Fran! -1. Auflage. Weimar, Verlags-
anstalt, l^'et.
Der deutsche Frmlenvorein Reform

schließenden Debatten zu interessanten Wahrnehninngen lind Schlüssen kommen,
wenn nicht etwa gleich erklärt wird, am Schlüsse könne eine Debatte wegen Mangel
an Zeit nicht stattfinden, wie es kürzlich in Erfurt geschehen ist. Dort fand
an demselben Tage, um dessen Mittagsstunde der Sozialistelikougreß sein Ende
erreicht hatte, abends eine Versammlung des Frauenvereins „Reform" statt. Der
Zufall dieses Zusammentreffens wurde noch wunderlicher dadurch, daß die Haupt¬
rolle des Abends voll dem wegen seiner sozialdemokratischen Eigentümlühkeiteu
bekannten fortschrittlichen Reichstagsabgeordneten Hcirmening gespielt wurde, der
vom Borstande des Vereins gewonnen war, über die Stellung der Frau im Ent-
wurfe des bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich zu sprechen. Und nun
filld die Erfurter so komisch, zu behaupte«, der Franeltverein „Reform" konspirire mit
den Sozialdemokraten, und die Versammlung am 21. Oktober sei nur ein Anhängsel
des Sozialisteukongresses gewesen. Was giebt es doch für schlechte Menschen! Es
gehört die ganze Verstocktheit eines Reformgegners dazu, Ähnlichkeiten heraus¬
zufinden zwischen den Ausführungen des Herrn Harmening und der auf dem
Erfurter Sozialistenkvngresse in das Programm der sozialdemokratischen Partei
aufgenommenen Forderung von der völligen Gleichstellung der Frau mit dem
Manne in öffentlicher und privatrechtlicher Beziehung.

Zu unsrer Beschämung müsse» wir gestehen, daß wir voll dem reiche«
Schristensegen, der durch den Frauenverein „Reform" in alle deutschen Lande
hinausgesandt wird, nur einen kleinen Teil gelesen haben. Aber wie matt aus
der Klane den Löwen erkennen kann, so genügt zur Charakteristik des Vereins
ein von seiner streitbaren Leiterin verfaßtes Hauptschristchen, das bereits in
vierter Auflage vorliegt und gleiche Bildung für beide Geschlechter fordert. *) Es
gehört ziemliche Überwindung dazu, sich durch den unwirscher Wortschwall
trotziger Gereiztheit hindurchzuarbeiten, und manchmal kann dem ruhigen Leser
der Verdacht kommen, all diese neuen Offenbarungen seien nur eine boshafte
Satire aus gewisse Auswüchse der Frauenbewegung. Doch Frau Kettler will
ernst, ganz ernst genommen sein, und da mich man ihr schon glauben, daß sie
die Erscheinungen wirklich sieht, voll denen sie in ihrer Broschüre zu er¬
zählen weiß.

Die ganze Schrift von Fran Kettler charakterisirt sich als ein rebellisches,
unbändiges Aufbäumen wider die unwandelbaren Gesetze der Schöpfung. Daß
den Frauen eine andre Natur gegeben, eine andre Bestimmung vorgezeichnet ist
als den Männern, darüber ist die Verfasserin in tiefster Seele gekränkt und
entrüstet, sie erblickt darin nur eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, predigt
Empörung und will mit Gewalt die Frauen zu Männern, oder wenns nicht



') Bibliothek der Frauenfrage, hrransgcgcbm von Fran I. Kettler. Heft»:
I. Kcttlcr, Gleiche Bildung für Mann und Fran! -1. Auflage. Weimar, Verlags-
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[0083] Der deutsche Frmlenvorein Reform schließenden Debatten zu interessanten Wahrnehninngen lind Schlüssen kommen, wenn nicht etwa gleich erklärt wird, am Schlüsse könne eine Debatte wegen Mangel an Zeit nicht stattfinden, wie es kürzlich in Erfurt geschehen ist. Dort fand an demselben Tage, um dessen Mittagsstunde der Sozialistelikougreß sein Ende erreicht hatte, abends eine Versammlung des Frauenvereins „Reform" statt. Der Zufall dieses Zusammentreffens wurde noch wunderlicher dadurch, daß die Haupt¬ rolle des Abends voll dem wegen seiner sozialdemokratischen Eigentümlühkeiteu bekannten fortschrittlichen Reichstagsabgeordneten Hcirmening gespielt wurde, der vom Borstande des Vereins gewonnen war, über die Stellung der Frau im Ent- wurfe des bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich zu sprechen. Und nun filld die Erfurter so komisch, zu behaupte«, der Franeltverein „Reform" konspirire mit den Sozialdemokraten, und die Versammlung am 21. Oktober sei nur ein Anhängsel des Sozialisteukongresses gewesen. Was giebt es doch für schlechte Menschen! Es gehört die ganze Verstocktheit eines Reformgegners dazu, Ähnlichkeiten heraus¬ zufinden zwischen den Ausführungen des Herrn Harmening und der auf dem Erfurter Sozialistenkvngresse in das Programm der sozialdemokratischen Partei aufgenommenen Forderung von der völligen Gleichstellung der Frau mit dem Manne in öffentlicher und privatrechtlicher Beziehung. Zu unsrer Beschämung müsse» wir gestehen, daß wir voll dem reiche« Schristensegen, der durch den Frauenverein „Reform" in alle deutschen Lande hinausgesandt wird, nur einen kleinen Teil gelesen haben. Aber wie matt aus der Klane den Löwen erkennen kann, so genügt zur Charakteristik des Vereins ein von seiner streitbaren Leiterin verfaßtes Hauptschristchen, das bereits in vierter Auflage vorliegt und gleiche Bildung für beide Geschlechter fordert. *) Es gehört ziemliche Überwindung dazu, sich durch den unwirscher Wortschwall trotziger Gereiztheit hindurchzuarbeiten, und manchmal kann dem ruhigen Leser der Verdacht kommen, all diese neuen Offenbarungen seien nur eine boshafte Satire aus gewisse Auswüchse der Frauenbewegung. Doch Frau Kettler will ernst, ganz ernst genommen sein, und da mich man ihr schon glauben, daß sie die Erscheinungen wirklich sieht, voll denen sie in ihrer Broschüre zu er¬ zählen weiß. Die ganze Schrift von Fran Kettler charakterisirt sich als ein rebellisches, unbändiges Aufbäumen wider die unwandelbaren Gesetze der Schöpfung. Daß den Frauen eine andre Natur gegeben, eine andre Bestimmung vorgezeichnet ist als den Männern, darüber ist die Verfasserin in tiefster Seele gekränkt und entrüstet, sie erblickt darin nur eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, predigt Empörung und will mit Gewalt die Frauen zu Männern, oder wenns nicht ') Bibliothek der Frauenfrage, hrransgcgcbm von Fran I. Kettler. Heft»: I. Kcttlcr, Gleiche Bildung für Mann und Fran! -1. Auflage. Weimar, Verlags- anstalt, l^'et.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_211167/83>, abgerufen am 27.05.2024.