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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

des Verfassers vom hundertsten ins tausendste werfen zu lassen. Sind wir es oder
ist es Herr Dr. Kleinpaul, der hier die Bildung unsrer Nation verkennt?

Das ist es, was wir gegen das Buch auf dem Herzen haben. Als ein
Vorzug muß es schon bezeichnet werden, daß der Verfasser auf dem Gebiete reiner
Hypothese fast durchweg mögliches bietet, und ist bei unbeweisbaren Dingen nicht
die unbestreitbare Möglichkeit das höchste, was überhaupt erreicht werden kann?
Denn von zweien oder mehr Möglichkeiten eine um ihrer größern Wahrscheinlich¬
keit willen bevorzugen, das heißt jn doch schon die Grenze des sicher erreichbaren
überschreiten.

Was seine Stellung zur "zünftigen" Wissenschaft betrifft, so macht Kleinpaul
den Eindruck eines "Wilden." Man wird aber diesem "Wilden" zugestehn müssen,
daß er auf seinem unsichern Gebiete oft mit einer Feinfühligkeit tastet, die verrät,
wie innig er mit dem Leben der Sprache bis in ihr äußerstes Gecider vertraut ist,
und daß er andrerseits ihren ganzen Körper von einer Höhe überschaut, die wir
manchem von der Zunft wünschten.


Französische Königsgeschichten aus der Bonrbonenzeit. Erzählt von Konrad
Sturm hoefel. Leipzig, Otto Spamer, 1892

Für ein geschichtliches Werk, das reifern Schülern ein wichtiges, vom Unter¬
richt oft nicht genügend behandeltes Kapitel vorführen will, klingt der Titel ziem¬
lich bescheiden. Aber gerade für das bourbvnische Königtum faßt er mehr in sich
als anderswo. Denn nirgends ist das gesamte Staatsleben so unmittelbar an die
Person des Herrschers und an das intime Hofgetriebe um ihn geknüpft gewesen
wie im französischen Absolutismus. IViztat o'sse moi: Ludwig der Vierzehnte hatte
ein Recht, dieses berüchtigte stolze Wort auszusprechen.

Der Verfasser giebt in frisch fließender Erzählung ein anschauliches Bild von
der Entwicklung und dem Falle der Bourbonen. Er hat besonders den reichen
Stoff der Memoiren- und Brieflitteratur jener Zeit mit Geschick verwendet, um
den Leser mitten in die Ereignisse hineinzuversetzen. Daß er es an einer klaren
Beurteilung der Schäden des Absolutismus und an nachdrücklicher Hinweisung auf
sie nicht fehlen läßt, daß er den oft heikeln Stoff mit gesundem Takt bewältigt
hat, läßt uns das Buch für seineu nächsten Zweck durchaus geeignet erscheinen.
Wir können ihm aber auch den weitern Leserkreis wünschen, auf den der Verfasser
bei der Niederschrift schließlich doch gehofft haben wird.

Die Bilder hätten wir der Verlagshandlung, abgesehn von einigen guten
Zeitporträts wie dem des Blaise Pascal, Moliüres, Labruyeres, gern erlassen.
Manche von ihnen erinnern doch gar zu sehr an die alte Spamersche Manier ü. 1i>,:
"Friedrich von Schiller das Lied von der Glocke dichtend," und über solche Illu¬
strationen sind doch jetzt wohl auch unsre Primaner hinaus.







Für die Redaktion verantwortlich: Dr. G, Wustmann in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

des Verfassers vom hundertsten ins tausendste werfen zu lassen. Sind wir es oder
ist es Herr Dr. Kleinpaul, der hier die Bildung unsrer Nation verkennt?

Das ist es, was wir gegen das Buch auf dem Herzen haben. Als ein
Vorzug muß es schon bezeichnet werden, daß der Verfasser auf dem Gebiete reiner
Hypothese fast durchweg mögliches bietet, und ist bei unbeweisbaren Dingen nicht
die unbestreitbare Möglichkeit das höchste, was überhaupt erreicht werden kann?
Denn von zweien oder mehr Möglichkeiten eine um ihrer größern Wahrscheinlich¬
keit willen bevorzugen, das heißt jn doch schon die Grenze des sicher erreichbaren
überschreiten.

Was seine Stellung zur „zünftigen" Wissenschaft betrifft, so macht Kleinpaul
den Eindruck eines „Wilden." Man wird aber diesem „Wilden" zugestehn müssen,
daß er auf seinem unsichern Gebiete oft mit einer Feinfühligkeit tastet, die verrät,
wie innig er mit dem Leben der Sprache bis in ihr äußerstes Gecider vertraut ist,
und daß er andrerseits ihren ganzen Körper von einer Höhe überschaut, die wir
manchem von der Zunft wünschten.


Französische Königsgeschichten aus der Bonrbonenzeit. Erzählt von Konrad
Sturm hoefel. Leipzig, Otto Spamer, 1892

Für ein geschichtliches Werk, das reifern Schülern ein wichtiges, vom Unter¬
richt oft nicht genügend behandeltes Kapitel vorführen will, klingt der Titel ziem¬
lich bescheiden. Aber gerade für das bourbvnische Königtum faßt er mehr in sich
als anderswo. Denn nirgends ist das gesamte Staatsleben so unmittelbar an die
Person des Herrschers und an das intime Hofgetriebe um ihn geknüpft gewesen
wie im französischen Absolutismus. IViztat o'sse moi: Ludwig der Vierzehnte hatte
ein Recht, dieses berüchtigte stolze Wort auszusprechen.

Der Verfasser giebt in frisch fließender Erzählung ein anschauliches Bild von
der Entwicklung und dem Falle der Bourbonen. Er hat besonders den reichen
Stoff der Memoiren- und Brieflitteratur jener Zeit mit Geschick verwendet, um
den Leser mitten in die Ereignisse hineinzuversetzen. Daß er es an einer klaren
Beurteilung der Schäden des Absolutismus und an nachdrücklicher Hinweisung auf
sie nicht fehlen läßt, daß er den oft heikeln Stoff mit gesundem Takt bewältigt
hat, läßt uns das Buch für seineu nächsten Zweck durchaus geeignet erscheinen.
Wir können ihm aber auch den weitern Leserkreis wünschen, auf den der Verfasser
bei der Niederschrift schließlich doch gehofft haben wird.

Die Bilder hätten wir der Verlagshandlung, abgesehn von einigen guten
Zeitporträts wie dem des Blaise Pascal, Moliüres, Labruyeres, gern erlassen.
Manche von ihnen erinnern doch gar zu sehr an die alte Spamersche Manier ü. 1i>,:
„Friedrich von Schiller das Lied von der Glocke dichtend," und über solche Illu¬
strationen sind doch jetzt wohl auch unsre Primaner hinaus.







Für die Redaktion verantwortlich: Dr. G, Wustmann in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0488] Litteratur des Verfassers vom hundertsten ins tausendste werfen zu lassen. Sind wir es oder ist es Herr Dr. Kleinpaul, der hier die Bildung unsrer Nation verkennt? Das ist es, was wir gegen das Buch auf dem Herzen haben. Als ein Vorzug muß es schon bezeichnet werden, daß der Verfasser auf dem Gebiete reiner Hypothese fast durchweg mögliches bietet, und ist bei unbeweisbaren Dingen nicht die unbestreitbare Möglichkeit das höchste, was überhaupt erreicht werden kann? Denn von zweien oder mehr Möglichkeiten eine um ihrer größern Wahrscheinlich¬ keit willen bevorzugen, das heißt jn doch schon die Grenze des sicher erreichbaren überschreiten. Was seine Stellung zur „zünftigen" Wissenschaft betrifft, so macht Kleinpaul den Eindruck eines „Wilden." Man wird aber diesem „Wilden" zugestehn müssen, daß er auf seinem unsichern Gebiete oft mit einer Feinfühligkeit tastet, die verrät, wie innig er mit dem Leben der Sprache bis in ihr äußerstes Gecider vertraut ist, und daß er andrerseits ihren ganzen Körper von einer Höhe überschaut, die wir manchem von der Zunft wünschten. Französische Königsgeschichten aus der Bonrbonenzeit. Erzählt von Konrad Sturm hoefel. Leipzig, Otto Spamer, 1892 Für ein geschichtliches Werk, das reifern Schülern ein wichtiges, vom Unter¬ richt oft nicht genügend behandeltes Kapitel vorführen will, klingt der Titel ziem¬ lich bescheiden. Aber gerade für das bourbvnische Königtum faßt er mehr in sich als anderswo. Denn nirgends ist das gesamte Staatsleben so unmittelbar an die Person des Herrschers und an das intime Hofgetriebe um ihn geknüpft gewesen wie im französischen Absolutismus. IViztat o'sse moi: Ludwig der Vierzehnte hatte ein Recht, dieses berüchtigte stolze Wort auszusprechen. Der Verfasser giebt in frisch fließender Erzählung ein anschauliches Bild von der Entwicklung und dem Falle der Bourbonen. Er hat besonders den reichen Stoff der Memoiren- und Brieflitteratur jener Zeit mit Geschick verwendet, um den Leser mitten in die Ereignisse hineinzuversetzen. Daß er es an einer klaren Beurteilung der Schäden des Absolutismus und an nachdrücklicher Hinweisung auf sie nicht fehlen läßt, daß er den oft heikeln Stoff mit gesundem Takt bewältigt hat, läßt uns das Buch für seineu nächsten Zweck durchaus geeignet erscheinen. Wir können ihm aber auch den weitern Leserkreis wünschen, auf den der Verfasser bei der Niederschrift schließlich doch gehofft haben wird. Die Bilder hätten wir der Verlagshandlung, abgesehn von einigen guten Zeitporträts wie dem des Blaise Pascal, Moliüres, Labruyeres, gern erlassen. Manche von ihnen erinnern doch gar zu sehr an die alte Spamersche Manier ü. 1i>,: „Friedrich von Schiller das Lied von der Glocke dichtend," und über solche Illu¬ strationen sind doch jetzt wohl auch unsre Primaner hinaus. Für die Redaktion verantwortlich: Dr. G, Wustmann in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_212475/488>, abgerufen am 19.05.2024.