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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Bilder aus dem Universitätsleben

und alle Hofleute, Gelehrte, Künstler und Dichter strömten selbst aus den ent¬
ferntesten Teilen des Reiches herbei, um sich das gepriesene Kunstwerk anzusehen.

Es war in der That eine unvergleichliche Schöpfung. Der in anmutigen
Linien aufsteigende, reich ausgearbeitete Fuß, der symmetrische Aufbau, die
entzückende Rundung, die reichen Ornamente, der kunstvoll gemeißelte, mit einem
Goldreifen wirkungsvoll umschlossene Hals und schließlich als besondre Eigen¬
tümlichkeit der aus einem mächtigen Achat geschliffene, mit Reliefs versehene
Deckel, den nur der Magier zu öffnen imstande war -- alles wurde von der
Gesellschaft eifrig beurteilt. Aber eine allgemeine Anerkennung, eine rückhaltlose
Bewundrung wollte nicht aufkommen. Hie und da machte sich nach einiger
Zeit sogar eine Opposition bemerkbar: man steckte die Köpfe zusammen, man
zischelte sich etwas ins Ohr, man zuckte die Achseln und sagte: Gewiß, sehr
schön, sehr schön -- aber --

Dem alten Könige entgingen diese lauen und abfülligen Urteile nicht,
und er machte den Magier etwas unwillig darauf aufmerksam. Der Magier
trat mit der Ruhe eines Weisen unter die Beschauer und sagte: Verehrte
Kunstfreunde, die plastische Schönheit, die edle Gestalt, die reiche Verzierung,
mit einem Worte die äußere Form dieser Vase, worauf ihr euern Sinn ge¬
richtet habt, ist nicht die Hauptsache. Die Vase ist nur die schlichte Hülle
für den über alle menschlichen Begriffe wertvollen Inhalt, Nicht das Gefäß
selbst, sondern was darin steckt, das ist das Staunenswerte und wahrhaft
Beseligende; darin liegt erst der Schatz, der unserm ganzen Volke und der
Nachwelt zum Entzücken und zum Segen gereichen wird. Ich sehe hier große
Geister unter euch, Gelehrte, Künstler und Dichter. Dem soll die Vase samt
dem Inhalt gehören, der errät, was in ihr steckt.

Diese Worte übten eine ungeheure Wirkung auf die Menge aus. Ein
neuer Strom des Kunsteifers, der Wißbegierde, der Begeisterung ging durch
die Männer, und alles drängte sich nach dem Saale, um sich in das Ge¬
heimnis der wunderbaren Vase zu versenken. Da saßen bald die großen
Denker stundenlang vor ihr auf weichen Polsterstühlen, den Kopf in die linke
Hand gestützt, ein Notizbuch und einen Bleistift in der Rechten, und suchten
den Inhalt des Gefäßes philosophisch zu ergründen. Da schritten oder schlichen
die Künstler mit mächtigen Mähnen auf den Köpfen, den weitkrümpigen Hut
in der Hand, und eine fliegende Schleife um den Hals, breitspurig oder auf
den Fußspitzen, prüfend um die Vase herum, als könnten sie aus den Orna¬
menten oder Reliefbildern den Inhalt erraten. Reiche, wohlgenährte Kunst¬
protzen blieben tagelang in dem Saal, wischten sich mit seidnen Tüchern den
Schweiß von der Stirn und zermarterten ihr Gehirn, um das Rätsel zu lösen
und auf diese Weise billig zu einem großen Werkstück zu kommen. Ganz
hinten an die Säulen gelehnt standen die Dichter mit verschränkten Armen,
den verschleierten Blick wie liebetrunken uns die Vase gerichtet.


Bilder aus dem Universitätsleben

und alle Hofleute, Gelehrte, Künstler und Dichter strömten selbst aus den ent¬
ferntesten Teilen des Reiches herbei, um sich das gepriesene Kunstwerk anzusehen.

Es war in der That eine unvergleichliche Schöpfung. Der in anmutigen
Linien aufsteigende, reich ausgearbeitete Fuß, der symmetrische Aufbau, die
entzückende Rundung, die reichen Ornamente, der kunstvoll gemeißelte, mit einem
Goldreifen wirkungsvoll umschlossene Hals und schließlich als besondre Eigen¬
tümlichkeit der aus einem mächtigen Achat geschliffene, mit Reliefs versehene
Deckel, den nur der Magier zu öffnen imstande war — alles wurde von der
Gesellschaft eifrig beurteilt. Aber eine allgemeine Anerkennung, eine rückhaltlose
Bewundrung wollte nicht aufkommen. Hie und da machte sich nach einiger
Zeit sogar eine Opposition bemerkbar: man steckte die Köpfe zusammen, man
zischelte sich etwas ins Ohr, man zuckte die Achseln und sagte: Gewiß, sehr
schön, sehr schön — aber —

Dem alten Könige entgingen diese lauen und abfülligen Urteile nicht,
und er machte den Magier etwas unwillig darauf aufmerksam. Der Magier
trat mit der Ruhe eines Weisen unter die Beschauer und sagte: Verehrte
Kunstfreunde, die plastische Schönheit, die edle Gestalt, die reiche Verzierung,
mit einem Worte die äußere Form dieser Vase, worauf ihr euern Sinn ge¬
richtet habt, ist nicht die Hauptsache. Die Vase ist nur die schlichte Hülle
für den über alle menschlichen Begriffe wertvollen Inhalt, Nicht das Gefäß
selbst, sondern was darin steckt, das ist das Staunenswerte und wahrhaft
Beseligende; darin liegt erst der Schatz, der unserm ganzen Volke und der
Nachwelt zum Entzücken und zum Segen gereichen wird. Ich sehe hier große
Geister unter euch, Gelehrte, Künstler und Dichter. Dem soll die Vase samt
dem Inhalt gehören, der errät, was in ihr steckt.

Diese Worte übten eine ungeheure Wirkung auf die Menge aus. Ein
neuer Strom des Kunsteifers, der Wißbegierde, der Begeisterung ging durch
die Männer, und alles drängte sich nach dem Saale, um sich in das Ge¬
heimnis der wunderbaren Vase zu versenken. Da saßen bald die großen
Denker stundenlang vor ihr auf weichen Polsterstühlen, den Kopf in die linke
Hand gestützt, ein Notizbuch und einen Bleistift in der Rechten, und suchten
den Inhalt des Gefäßes philosophisch zu ergründen. Da schritten oder schlichen
die Künstler mit mächtigen Mähnen auf den Köpfen, den weitkrümpigen Hut
in der Hand, und eine fliegende Schleife um den Hals, breitspurig oder auf
den Fußspitzen, prüfend um die Vase herum, als könnten sie aus den Orna¬
menten oder Reliefbildern den Inhalt erraten. Reiche, wohlgenährte Kunst¬
protzen blieben tagelang in dem Saal, wischten sich mit seidnen Tüchern den
Schweiß von der Stirn und zermarterten ihr Gehirn, um das Rätsel zu lösen
und auf diese Weise billig zu einem großen Werkstück zu kommen. Ganz
hinten an die Säulen gelehnt standen die Dichter mit verschränkten Armen,
den verschleierten Blick wie liebetrunken uns die Vase gerichtet.


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[0182] Bilder aus dem Universitätsleben und alle Hofleute, Gelehrte, Künstler und Dichter strömten selbst aus den ent¬ ferntesten Teilen des Reiches herbei, um sich das gepriesene Kunstwerk anzusehen. Es war in der That eine unvergleichliche Schöpfung. Der in anmutigen Linien aufsteigende, reich ausgearbeitete Fuß, der symmetrische Aufbau, die entzückende Rundung, die reichen Ornamente, der kunstvoll gemeißelte, mit einem Goldreifen wirkungsvoll umschlossene Hals und schließlich als besondre Eigen¬ tümlichkeit der aus einem mächtigen Achat geschliffene, mit Reliefs versehene Deckel, den nur der Magier zu öffnen imstande war — alles wurde von der Gesellschaft eifrig beurteilt. Aber eine allgemeine Anerkennung, eine rückhaltlose Bewundrung wollte nicht aufkommen. Hie und da machte sich nach einiger Zeit sogar eine Opposition bemerkbar: man steckte die Köpfe zusammen, man zischelte sich etwas ins Ohr, man zuckte die Achseln und sagte: Gewiß, sehr schön, sehr schön — aber — Dem alten Könige entgingen diese lauen und abfülligen Urteile nicht, und er machte den Magier etwas unwillig darauf aufmerksam. Der Magier trat mit der Ruhe eines Weisen unter die Beschauer und sagte: Verehrte Kunstfreunde, die plastische Schönheit, die edle Gestalt, die reiche Verzierung, mit einem Worte die äußere Form dieser Vase, worauf ihr euern Sinn ge¬ richtet habt, ist nicht die Hauptsache. Die Vase ist nur die schlichte Hülle für den über alle menschlichen Begriffe wertvollen Inhalt, Nicht das Gefäß selbst, sondern was darin steckt, das ist das Staunenswerte und wahrhaft Beseligende; darin liegt erst der Schatz, der unserm ganzen Volke und der Nachwelt zum Entzücken und zum Segen gereichen wird. Ich sehe hier große Geister unter euch, Gelehrte, Künstler und Dichter. Dem soll die Vase samt dem Inhalt gehören, der errät, was in ihr steckt. Diese Worte übten eine ungeheure Wirkung auf die Menge aus. Ein neuer Strom des Kunsteifers, der Wißbegierde, der Begeisterung ging durch die Männer, und alles drängte sich nach dem Saale, um sich in das Ge¬ heimnis der wunderbaren Vase zu versenken. Da saßen bald die großen Denker stundenlang vor ihr auf weichen Polsterstühlen, den Kopf in die linke Hand gestützt, ein Notizbuch und einen Bleistift in der Rechten, und suchten den Inhalt des Gefäßes philosophisch zu ergründen. Da schritten oder schlichen die Künstler mit mächtigen Mähnen auf den Köpfen, den weitkrümpigen Hut in der Hand, und eine fliegende Schleife um den Hals, breitspurig oder auf den Fußspitzen, prüfend um die Vase herum, als könnten sie aus den Orna¬ menten oder Reliefbildern den Inhalt erraten. Reiche, wohlgenährte Kunst¬ protzen blieben tagelang in dem Saal, wischten sich mit seidnen Tüchern den Schweiß von der Stirn und zermarterten ihr Gehirn, um das Rätsel zu lösen und auf diese Weise billig zu einem großen Werkstück zu kommen. Ganz hinten an die Säulen gelehnt standen die Dichter mit verschränkten Armen, den verschleierten Blick wie liebetrunken uns die Vase gerichtet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/182>, abgerufen am 08.05.2024.