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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Albrecht von Roon

berufen werden müssen, und doch bestand sie zur Hälfte aus Familienväter",
sodaß im Bereiche der fünf mobilisirten Armeekorps über füufundfünfzigtausend
Familien von den Gemeinden und Kreisen hatten unterstützt werden müssen;
während tausende von kräftigen jungen Leuten frei ausgingen, nur weil der enge
Rahmen des stehenden Heeres keinen Raum bot, sie in den Dienst zu stellen.

Da entschloß sich Prinz Wilhelm. Er behielt zunächst die jünger" Jahr¬
gänge der Landwehr unter den Fahnen und bildete aus ihnen sogenannte koin-
binirte Regimenter, sodaß sich der Präsenzstand des Heeres fast verdoppelte.
Noch aber war damit freilich nichts entschieden, und für Roon folgten
noch Monate voll Spannung, Ärger und Anstrengung. Im September be¬
gannen, übrigens ohne Teilnahme des beurlaubten Bonin, die Beratungen der
Kommission, über deren Ergebnisse dann an den Prinzregeuten nach Baden-
Baden berichtet wurde. Roon selbst dachte sich in Pommern zu erholen, mit
seinem alten Zögling Moritz von Blankenburg "den Hühnern nachzulaufen."
Aber auf der Jagd traf ihn am 24. September eine Depesche des Prinz¬
regenten, die ihn uach Baden-Baden berief. Er eilte hin, hielt dem Regenten
Bvrtrag und kehrte dann nach Berlin zurück, um ihn dort zu erwarten und
ihn zur Zusammenkunft mit dem Zaren in Breslau zu begleiten. Endlich
kehrte auch Bonin vom Urlaub heim, empfing Roon sehr höflich, aber doch
voll kaum versteckter Empfindlichkeit und eignete sich in der Erkenntnis, daß
er sonst fallen müsse, Roons Vorschläge mit einemmale so vollständig an, daß
er sie beinahe für seine eignen ausgab. Selbstverleugueud meinte Roon: "Es
kommt gar nichts darauf an, wem die Sache zugeschrieben wird, wenn sie nur
uuverstümmelt ins Leben tritt." Aber er schalt eines ans dies "Gesindeleben,"
sehnte sich zurück nach seiner Familie und nach seiner "stillen, anspruchslosen
Düsseldorfer Tretmühle" und rief sich selbst dann doch wieder ermutigend zu:
"Halt aus, alter Bursch." Endlich am AI. Oktober hatte die umgebildete
Kommission für die Heeresreform ihre erste Sitzung, und da alles sehr glatt
verlief, schon am nächsten Tage die letzte. Roon dankte Gott, daß alles fertig
war, und freute sich der bevorstehenden Heimreise. Da sagt ihm am 4. November
der alte Feldmarschall Wrangel unter den lebhaftesten Freundschaftsbezeigungen,
er müsse Kriegsminister werden! Fast gewaltsam verschließt Roon die Augen
gegen das, was doch unaufhaltsam herankommen muß. "Erschrick nur nicht
-- schreibt er an demselben Tage seiner Frau --, daß daraus nichts wird, ist so
sicher, wie das Amen in der Kirche." Aber ein paar Tage später sagt ihm
Manteuffel in sehr ernstem, dringendem Tone dasselbe. Und doch reist er noch
um 1A. November nach Hause ab, ohne daß er eine Entscheidung erhalten hat,
"ungebeugt, aber unerquickt." Da läuft am 27. November abends eine De¬
pesche Alvenslebens ein, er solle unverzüglich nach Berlin kommen und sich
beim Prinzregenten melden. Bei der Ankunft erführe er, daß Bonin seine
Entlassung gegeben habe. Am 29. November früh erscheint er beim Regenten,


Grenzboten IV 1892 33
Albrecht von Roon

berufen werden müssen, und doch bestand sie zur Hälfte aus Familienväter»,
sodaß im Bereiche der fünf mobilisirten Armeekorps über füufundfünfzigtausend
Familien von den Gemeinden und Kreisen hatten unterstützt werden müssen;
während tausende von kräftigen jungen Leuten frei ausgingen, nur weil der enge
Rahmen des stehenden Heeres keinen Raum bot, sie in den Dienst zu stellen.

Da entschloß sich Prinz Wilhelm. Er behielt zunächst die jünger» Jahr¬
gänge der Landwehr unter den Fahnen und bildete aus ihnen sogenannte koin-
binirte Regimenter, sodaß sich der Präsenzstand des Heeres fast verdoppelte.
Noch aber war damit freilich nichts entschieden, und für Roon folgten
noch Monate voll Spannung, Ärger und Anstrengung. Im September be¬
gannen, übrigens ohne Teilnahme des beurlaubten Bonin, die Beratungen der
Kommission, über deren Ergebnisse dann an den Prinzregeuten nach Baden-
Baden berichtet wurde. Roon selbst dachte sich in Pommern zu erholen, mit
seinem alten Zögling Moritz von Blankenburg „den Hühnern nachzulaufen."
Aber auf der Jagd traf ihn am 24. September eine Depesche des Prinz¬
regenten, die ihn uach Baden-Baden berief. Er eilte hin, hielt dem Regenten
Bvrtrag und kehrte dann nach Berlin zurück, um ihn dort zu erwarten und
ihn zur Zusammenkunft mit dem Zaren in Breslau zu begleiten. Endlich
kehrte auch Bonin vom Urlaub heim, empfing Roon sehr höflich, aber doch
voll kaum versteckter Empfindlichkeit und eignete sich in der Erkenntnis, daß
er sonst fallen müsse, Roons Vorschläge mit einemmale so vollständig an, daß
er sie beinahe für seine eignen ausgab. Selbstverleugueud meinte Roon: „Es
kommt gar nichts darauf an, wem die Sache zugeschrieben wird, wenn sie nur
uuverstümmelt ins Leben tritt." Aber er schalt eines ans dies „Gesindeleben,"
sehnte sich zurück nach seiner Familie und nach seiner „stillen, anspruchslosen
Düsseldorfer Tretmühle" und rief sich selbst dann doch wieder ermutigend zu:
„Halt aus, alter Bursch." Endlich am AI. Oktober hatte die umgebildete
Kommission für die Heeresreform ihre erste Sitzung, und da alles sehr glatt
verlief, schon am nächsten Tage die letzte. Roon dankte Gott, daß alles fertig
war, und freute sich der bevorstehenden Heimreise. Da sagt ihm am 4. November
der alte Feldmarschall Wrangel unter den lebhaftesten Freundschaftsbezeigungen,
er müsse Kriegsminister werden! Fast gewaltsam verschließt Roon die Augen
gegen das, was doch unaufhaltsam herankommen muß. „Erschrick nur nicht
— schreibt er an demselben Tage seiner Frau —, daß daraus nichts wird, ist so
sicher, wie das Amen in der Kirche." Aber ein paar Tage später sagt ihm
Manteuffel in sehr ernstem, dringendem Tone dasselbe. Und doch reist er noch
um 1A. November nach Hause ab, ohne daß er eine Entscheidung erhalten hat,
„ungebeugt, aber unerquickt." Da läuft am 27. November abends eine De¬
pesche Alvenslebens ein, er solle unverzüglich nach Berlin kommen und sich
beim Prinzregenten melden. Bei der Ankunft erführe er, daß Bonin seine
Entlassung gegeben habe. Am 29. November früh erscheint er beim Regenten,


Grenzboten IV 1892 33
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/265>, abgerufen am 09.05.2024.