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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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heit beherbergte, entfaltete sich in der Avenue zum Theater ein prächtiger
Korso, Es war eine Lust inmitten dieser schönen Frauen und Toiletten zu
lustwandeln! Allein dem größer" bürgerlichen Publikum gefiel wohl eine Zeit
lang die Zuschauerrolle, aber es konnte sich in dieser aristokratischen Sphäre
nicht heimisch fühlen, und die Popularität des Unternehmens sank in dem¬
selben Maße, als sein gesellschaftlich aristokratischer Charakter hervortrat.
Später hatte es freilich auch noch mit mancherlei Ungunst der Zeit und des
Wetters zu kämpfen, aber das hätte nicht viel ausgemacht, wenn seine
Schwächen nicht im Fundament gelegen hätten.

Wenn wir ganz aufrichtig sein sollen, so müssen wir auch gestehen, daß
wir sehr skeptisch von dem Werte der Ausstellung für die Wissenschaft denken.
Wenn man nicht auf dem Standpunkt steht, daß Robert König das Ideal
eines Literarhistorikers, daß ein Bilderatlas das Ideal einer Litteratur- und
Musikgeschichte sei, so kann man auch diese Ausstellung von Manuskripten,
Partituren, Dichter- und Kvmpvnistenporträts nicht sür wissenschaftlich bildend
halten. Wissen und Schauen sind ganz verschiedene Dinge, und ich denke,
man fördert nur den Dilettantismus, die Scheinbildung, wenn man den Leuten
einredet, ein Gang durch eine solche Ausstellung sei förderlich für ihre Bildung.
Bestenfalls merken sie sich einige Namen, und das ist dann doch nur das
alleräußcrlichste Wissen. Es entsteht eine sehr bedauerliche Verschiebung in
der Stellung der großen Menge zu deu verschiednen Künsten, wenn man sie
mit dem äußern Apparat oder den nebenbei interessanten Gegenständen der
Kunst vertraut macht. Nehmen wir ein drastisches Beispiel: Schillers Zimmer
war aus Marbach geholt und aufgestellt worden. Wird es an Ort und Stelle
betrachtet von Verehrern des Dichters, die eigens hinfahren, um die Stätte
seiner Geburt zu sehen, so mag die Stimmung der Pietät sehr wirksam sein. In
der Wiener Rotunde aber wurde das Schillerzimmer zwar von der Menge
viel umstanden, ob aber auch nur ein Tropfen mehr für die Verehrung Schillers
dadurch gewonnen wurde, muß man doch sehr bezweifeln. Gegenstände stiller, an¬
dächtiger Verehrung vou Menschen, die sich durch lauge Beschäftigung mit
deren Urheber oder Besitzer in ein poetisches Verhältnis zu ihnen gesetzt haben,
auf den lärmenden Markt zu bringen, ist der reine Nonsens! Sie werden
dadurch geradezu entweiht! Es geht damit wie mit der Reliquienverehrung
der Kirche. Eine einzelne Reliquie in einer einsamen Kirche bei dämmrigem
Licht mit gläubigem Auge gesehen, thut große Wirkung; versammelt alle Re¬
liquien der Welt und ruft die Menge herbei, und die ganze Stimmung, in
der so etwas gesehen und betrachtet sein will, ist vorbei. Was aber in der
Rotunde noch mehr die Stimmung verdarb, war der ungeheure Kultus der
Eitelkeit, der mit der Gegenwart getrieben wurde, die sich selbst plötzlich als
Historie fühlte und ihre eignen Reliquien bei Lebzeiten um sich versammelte,
wie es z. B. Friederike Goßmann mit dem "Grilleuzimmer" gethan hat, das


heit beherbergte, entfaltete sich in der Avenue zum Theater ein prächtiger
Korso, Es war eine Lust inmitten dieser schönen Frauen und Toiletten zu
lustwandeln! Allein dem größer» bürgerlichen Publikum gefiel wohl eine Zeit
lang die Zuschauerrolle, aber es konnte sich in dieser aristokratischen Sphäre
nicht heimisch fühlen, und die Popularität des Unternehmens sank in dem¬
selben Maße, als sein gesellschaftlich aristokratischer Charakter hervortrat.
Später hatte es freilich auch noch mit mancherlei Ungunst der Zeit und des
Wetters zu kämpfen, aber das hätte nicht viel ausgemacht, wenn seine
Schwächen nicht im Fundament gelegen hätten.

Wenn wir ganz aufrichtig sein sollen, so müssen wir auch gestehen, daß
wir sehr skeptisch von dem Werte der Ausstellung für die Wissenschaft denken.
Wenn man nicht auf dem Standpunkt steht, daß Robert König das Ideal
eines Literarhistorikers, daß ein Bilderatlas das Ideal einer Litteratur- und
Musikgeschichte sei, so kann man auch diese Ausstellung von Manuskripten,
Partituren, Dichter- und Kvmpvnistenporträts nicht sür wissenschaftlich bildend
halten. Wissen und Schauen sind ganz verschiedene Dinge, und ich denke,
man fördert nur den Dilettantismus, die Scheinbildung, wenn man den Leuten
einredet, ein Gang durch eine solche Ausstellung sei förderlich für ihre Bildung.
Bestenfalls merken sie sich einige Namen, und das ist dann doch nur das
alleräußcrlichste Wissen. Es entsteht eine sehr bedauerliche Verschiebung in
der Stellung der großen Menge zu deu verschiednen Künsten, wenn man sie
mit dem äußern Apparat oder den nebenbei interessanten Gegenständen der
Kunst vertraut macht. Nehmen wir ein drastisches Beispiel: Schillers Zimmer
war aus Marbach geholt und aufgestellt worden. Wird es an Ort und Stelle
betrachtet von Verehrern des Dichters, die eigens hinfahren, um die Stätte
seiner Geburt zu sehen, so mag die Stimmung der Pietät sehr wirksam sein. In
der Wiener Rotunde aber wurde das Schillerzimmer zwar von der Menge
viel umstanden, ob aber auch nur ein Tropfen mehr für die Verehrung Schillers
dadurch gewonnen wurde, muß man doch sehr bezweifeln. Gegenstände stiller, an¬
dächtiger Verehrung vou Menschen, die sich durch lauge Beschäftigung mit
deren Urheber oder Besitzer in ein poetisches Verhältnis zu ihnen gesetzt haben,
auf den lärmenden Markt zu bringen, ist der reine Nonsens! Sie werden
dadurch geradezu entweiht! Es geht damit wie mit der Reliquienverehrung
der Kirche. Eine einzelne Reliquie in einer einsamen Kirche bei dämmrigem
Licht mit gläubigem Auge gesehen, thut große Wirkung; versammelt alle Re¬
liquien der Welt und ruft die Menge herbei, und die ganze Stimmung, in
der so etwas gesehen und betrachtet sein will, ist vorbei. Was aber in der
Rotunde noch mehr die Stimmung verdarb, war der ungeheure Kultus der
Eitelkeit, der mit der Gegenwart getrieben wurde, die sich selbst plötzlich als
Historie fühlte und ihre eignen Reliquien bei Lebzeiten um sich versammelte,
wie es z. B. Friederike Goßmann mit dem „Grilleuzimmer" gethan hat, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/276>, abgerufen am 09.05.2024.