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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Kapitalismus

fabrikate auf den Markt geworfen werden, wo das Spiel von Angebot und
Nachfrage ihren Preis regelt, daß der letzte Verkäufer aus seinein Erlös dem
Verkäufer des letzten Produltionsabschnittes die Auslagen erstattet und den
Geschäftsgewinn meent, der des letzten Prodnktionsabschuitts dem des vor¬
letzten den gleiche"? Dienst erweist, dieser dein vorhergehenden bis zurück zu den
UrProduzenten, und daß die Unternehmer jedes Produktionsabschnittes ihren
Arbeitern den Lohn zuleiten, wiederum nach dem Gesetz von Angebot und
Nachfrage. Wie weit die Zuteilung der Gerechtigkeit entspricht, bleibt dem
Zufall überlassen, nur so viel ist klar, daß jeder Unternehmer die Macht hat,
ungerecht zu sein, sobald das Angebot an "Händen" seinen Bedarf übersteigt.
Gerade diese Industrien nun, in deuen nicht allein die Möglichkeit der ge¬
rechten Verteilung, sondern schon die Möglichkeit der Berechnung aufhört, sind
die Brutstätten jener Übel, an die man bei der Redensart "soziale Frage" zu¬
nächst zu denken pflegt, und es ist kaum eine Übertreibung, wenn man sagt,
daß die Sozialdemokrntie eine Frucht der Textilindustrie sei.

Demnach hat die Frage, ob der Arbeiter seinen vollen Arbeitsertrag er¬
halte, oder ob ihm der Unternehmer einen Teil davon vorenthalte, so allgemein
gestellt gar keinen Sinn. Denn es giebt Arbeiter, die ihren Arbeitsertrag mit
keinem Unternehmer zu teilen und niemandem etwas davon abzugeben haben
als dem Staate und der Gemeinde. Es giebt ferner Arbeiter, die mit Arbeits-
genossen, aber nicht mit Unternehmern teilen. Es giebt ferner Unternehmer
und Arbeiter, die gegenseitig mit einander zufrieden sind, und zwischen denen
gar kein Streit entsteht, weil die Abrechnung einfach und klar ist. Bei den
Arbeitern endlich, wo die Frage wirklich entsteht, ist sie ^ unlösbar.

Diese Lage der Dinge bestimmt uns, eine Reihenfolge ganz andrer Fragen
zu stellen. Wir fragen:

1. Macht es der Kulturfortschritt notwendig, daß die einfachen Verhält¬
nisse, in denen ein jeder seinen Arbeitsertrag überschauen und sein Recht daran
sichern kann, gänzlich verschwinden, und ein unlösbarer Wirrwarr an die Stelle
tritt? Und nachdem wir gefunden haben, daß dies keineswegs nötig sei, fragen
wir weiter:

2. Wie läßt sich verhüten, daß immer mehr Menschen in den Wirrwarr
hineingezogen werden, und dnrch welche Mittel könnte wohl die Zahl derer,
die sichern Grund und Boden unter den Füßen haben und sich eiues fest um¬
schriebnen Kreises von Vesitzrechten erfreuen, wieder vermehrt werden? So
lange aber eine große Anzahl unsrer Mitbürger mit ihrer Existenz dem Zufall
preisgegeben bleibt, fragen wir allerdings wie die Kathedersvzicilisten:

3. Was kann und soll der Staat thun, um die unter diesen Umständen
mögliche Ausbeutung der Schwachen durch die Starken zu verhindern? Der
Staat hat schlechterdings nicht notwendig, mit seinen Maßregeln zu warten,
bis die Gelehrten entschieden haben werden, wie weit das Recht auf den vollen


Weder Kommunismus noch Kapitalismus

fabrikate auf den Markt geworfen werden, wo das Spiel von Angebot und
Nachfrage ihren Preis regelt, daß der letzte Verkäufer aus seinein Erlös dem
Verkäufer des letzten Produltionsabschnittes die Auslagen erstattet und den
Geschäftsgewinn meent, der des letzten Prodnktionsabschuitts dem des vor¬
letzten den gleiche»? Dienst erweist, dieser dein vorhergehenden bis zurück zu den
UrProduzenten, und daß die Unternehmer jedes Produktionsabschnittes ihren
Arbeitern den Lohn zuleiten, wiederum nach dem Gesetz von Angebot und
Nachfrage. Wie weit die Zuteilung der Gerechtigkeit entspricht, bleibt dem
Zufall überlassen, nur so viel ist klar, daß jeder Unternehmer die Macht hat,
ungerecht zu sein, sobald das Angebot an „Händen" seinen Bedarf übersteigt.
Gerade diese Industrien nun, in deuen nicht allein die Möglichkeit der ge¬
rechten Verteilung, sondern schon die Möglichkeit der Berechnung aufhört, sind
die Brutstätten jener Übel, an die man bei der Redensart „soziale Frage" zu¬
nächst zu denken pflegt, und es ist kaum eine Übertreibung, wenn man sagt,
daß die Sozialdemokrntie eine Frucht der Textilindustrie sei.

Demnach hat die Frage, ob der Arbeiter seinen vollen Arbeitsertrag er¬
halte, oder ob ihm der Unternehmer einen Teil davon vorenthalte, so allgemein
gestellt gar keinen Sinn. Denn es giebt Arbeiter, die ihren Arbeitsertrag mit
keinem Unternehmer zu teilen und niemandem etwas davon abzugeben haben
als dem Staate und der Gemeinde. Es giebt ferner Arbeiter, die mit Arbeits-
genossen, aber nicht mit Unternehmern teilen. Es giebt ferner Unternehmer
und Arbeiter, die gegenseitig mit einander zufrieden sind, und zwischen denen
gar kein Streit entsteht, weil die Abrechnung einfach und klar ist. Bei den
Arbeitern endlich, wo die Frage wirklich entsteht, ist sie ^ unlösbar.

Diese Lage der Dinge bestimmt uns, eine Reihenfolge ganz andrer Fragen
zu stellen. Wir fragen:

1. Macht es der Kulturfortschritt notwendig, daß die einfachen Verhält¬
nisse, in denen ein jeder seinen Arbeitsertrag überschauen und sein Recht daran
sichern kann, gänzlich verschwinden, und ein unlösbarer Wirrwarr an die Stelle
tritt? Und nachdem wir gefunden haben, daß dies keineswegs nötig sei, fragen
wir weiter:

2. Wie läßt sich verhüten, daß immer mehr Menschen in den Wirrwarr
hineingezogen werden, und dnrch welche Mittel könnte wohl die Zahl derer,
die sichern Grund und Boden unter den Füßen haben und sich eiues fest um¬
schriebnen Kreises von Vesitzrechten erfreuen, wieder vermehrt werden? So
lange aber eine große Anzahl unsrer Mitbürger mit ihrer Existenz dem Zufall
preisgegeben bleibt, fragen wir allerdings wie die Kathedersvzicilisten:

3. Was kann und soll der Staat thun, um die unter diesen Umständen
mögliche Ausbeutung der Schwachen durch die Starken zu verhindern? Der
Staat hat schlechterdings nicht notwendig, mit seinen Maßregeln zu warten,
bis die Gelehrten entschieden haben werden, wie weit das Recht auf den vollen


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[0318] Weder Kommunismus noch Kapitalismus fabrikate auf den Markt geworfen werden, wo das Spiel von Angebot und Nachfrage ihren Preis regelt, daß der letzte Verkäufer aus seinein Erlös dem Verkäufer des letzten Produltionsabschnittes die Auslagen erstattet und den Geschäftsgewinn meent, der des letzten Prodnktionsabschuitts dem des vor¬ letzten den gleiche»? Dienst erweist, dieser dein vorhergehenden bis zurück zu den UrProduzenten, und daß die Unternehmer jedes Produktionsabschnittes ihren Arbeitern den Lohn zuleiten, wiederum nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage. Wie weit die Zuteilung der Gerechtigkeit entspricht, bleibt dem Zufall überlassen, nur so viel ist klar, daß jeder Unternehmer die Macht hat, ungerecht zu sein, sobald das Angebot an „Händen" seinen Bedarf übersteigt. Gerade diese Industrien nun, in deuen nicht allein die Möglichkeit der ge¬ rechten Verteilung, sondern schon die Möglichkeit der Berechnung aufhört, sind die Brutstätten jener Übel, an die man bei der Redensart „soziale Frage" zu¬ nächst zu denken pflegt, und es ist kaum eine Übertreibung, wenn man sagt, daß die Sozialdemokrntie eine Frucht der Textilindustrie sei. Demnach hat die Frage, ob der Arbeiter seinen vollen Arbeitsertrag er¬ halte, oder ob ihm der Unternehmer einen Teil davon vorenthalte, so allgemein gestellt gar keinen Sinn. Denn es giebt Arbeiter, die ihren Arbeitsertrag mit keinem Unternehmer zu teilen und niemandem etwas davon abzugeben haben als dem Staate und der Gemeinde. Es giebt ferner Arbeiter, die mit Arbeits- genossen, aber nicht mit Unternehmern teilen. Es giebt ferner Unternehmer und Arbeiter, die gegenseitig mit einander zufrieden sind, und zwischen denen gar kein Streit entsteht, weil die Abrechnung einfach und klar ist. Bei den Arbeitern endlich, wo die Frage wirklich entsteht, ist sie ^ unlösbar. Diese Lage der Dinge bestimmt uns, eine Reihenfolge ganz andrer Fragen zu stellen. Wir fragen: 1. Macht es der Kulturfortschritt notwendig, daß die einfachen Verhält¬ nisse, in denen ein jeder seinen Arbeitsertrag überschauen und sein Recht daran sichern kann, gänzlich verschwinden, und ein unlösbarer Wirrwarr an die Stelle tritt? Und nachdem wir gefunden haben, daß dies keineswegs nötig sei, fragen wir weiter: 2. Wie läßt sich verhüten, daß immer mehr Menschen in den Wirrwarr hineingezogen werden, und dnrch welche Mittel könnte wohl die Zahl derer, die sichern Grund und Boden unter den Füßen haben und sich eiues fest um¬ schriebnen Kreises von Vesitzrechten erfreuen, wieder vermehrt werden? So lange aber eine große Anzahl unsrer Mitbürger mit ihrer Existenz dem Zufall preisgegeben bleibt, fragen wir allerdings wie die Kathedersvzicilisten: 3. Was kann und soll der Staat thun, um die unter diesen Umständen mögliche Ausbeutung der Schwachen durch die Starken zu verhindern? Der Staat hat schlechterdings nicht notwendig, mit seinen Maßregeln zu warten, bis die Gelehrten entschieden haben werden, wie weit das Recht auf den vollen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/318>, abgerufen am 08.05.2024.